Der Spieler

Kammerspiele Der Spieler  nach dem Roman von Fjodor Dostojewski in der Übersetzung von Swetlana Geier


 

 

Drei lange Stunden

Mit „Der Spieler“ kam an den Kammerspielen, nach „Schuld und Sühne“ am Volkstheater, die zweite Dostojewski-Adaption innerhalb von zwei Wochen auf eine Münchner Bühne. Zufall? Wohl kaum, denn große Literatur ist zeitlos und deren Themen bleiben stets aktuell, denn sie reflektieren menschliche Unzulänglichkeiten, die, wie es scheint, unausrottbar sind und die in dramatischen Konflikten stets aufs Neue verhandelt werden müssen. Dostojewskis Romane sind, was die Form und Sprache anbelangt, nicht unbedingt genialische Werke. Wladimir Nabokov erhielt einmal von einem Schweizer Verleger den Auftrag, eine Anthologie der besten russischen Schriftsteller zusammenzustellen. Mit Entsetzen stellte der Mann fest, dass Nabokov Dostojewski übergangen hatte. Nabokov rechtfertigte sich sinngemäß, kein Werk Dostojewskis sei es wert, in eine Anthologie aufgenommen zu werden, es sei denn, man nehme das Gesamtwerk auf. Dostojewskis Werk zeichnet sich durch eine unvergleichliche Komplexität aus, mit der er beinahe alle Aspekte des menschlichen Lebens und der Gesellschaft beleuchtete und nuanciert, tief und breit, gelegentlich auch geschwätzig, spiegelte. In „Der Spieler“ tat er das aus ureigener Erfahrung. 1865 reiste der Schriftsteller zum dritten Mal nach Westeuropa. Er wurde von seiner jungen Geliebten Polina Suslowa begleitet. In der Spielbank in Wiesbaden verspielte er am Roulettetisch 3000 Rubel, seinerzeit ein kleines Vermögen.

Die Versuchung, allein durch Spiel zu Reichtum zu gelangen, war zu allen Zeiten übermächtig. Bereits Tacitus (55 – 120) legte in seiner „Germania“ Zeugnis ab über die selbstzerstörerische Hemmungslosigkeit unserer Vorfahren, das Würfelspiel betreffend: „Dabei sind sie in Bezug auf Gewinn oder Verlust von einer so blinden Leidenschaft, dass sie, wenn sie alles andere verspielt haben, mit dem letzten entscheidenden Wurfe um ihre Freiheit und um ihre eigene Person kämpfen. Wer verliert, geht willig in die Knechtschaft, (…), er lässt sich binden und verkaufen.“ (Publius Cornelius Tacitus: Germania. Kapitel 25) Warum der Blick in die ferne Vergangenheit? Um vorab schon einmal klar zu stellen, dass Spiel eine, wenn auch zweifelhafte, kulturelle „Errungenschaft“ ist und kein maßgebliches Charakteristikum des Kapitalismus. So ist „Roulettenburg“ ein Topos der Versuchung, nicht aber das Herz des goldenen Kalbs. Und so ging es Dostojewski nicht darum, das Wesen des Kapitalismus zu entlarven, sondern das Wesen einer Krankheit, der er selbst verfallen war.

Die Frage nach dem sozialen Status war und ist fraglos an Besitz gekoppelt, zumindest in Gesellschaften, in denen die Mitglieder durch Besitz voneinander geschieden sind. So lässt Dostojewski seinen Protagonisten Aleksej Iwanowitsch, Hauslehrer beim General Sagorjanski, dessen Stieftochter und Angebeteten rigoros erklären: „Sie fragen, wozu ich Geld brauche? Was heißt – wozu? Geld ist alles.“ Würde er sich an dieser Stelle erklären und ihr seine Liebe gestehen, nähme die Geschichte vielleicht eine andere Wendung. Stattdessen erklärt er ihr, was der Besitz von Geld ihm bedeutet: „Es ist weiter nichts, als dass ich im Besitz von Geld auch für Sie ein anderer Mensch und kein Sklave sein werde.“ Das Schicksal, durch das Geld, resp. den Besitz desselben voneinander geschieden zu sein, teilen Aleksej und Polina mit dem General und Mademoiselle Blanche, er, vom Spiel ruiniert, aber in Erwartung eines Erbes, sie auf der Suche eines verlässlichen Versorgers. Chancenlos, wie sich herausstellt, denn die Großtante, die einzige Vermögende, verbietet dem General die Ehe und droht, bei Zuwiderhandlung ihr Vermögen am Spieltisch zu verschleudern. Blanche bleibt zuletzt an dem Franzosen Marquis des Grieux hängen, der sie zwar versorgt, ihr Bedürfnis nach Liebe aber nicht stillen kann. Das Dilemma ist vollkommen und lässt niemanden aus. Einzig der Engländer Mr. Astley bleibt von der Spielsucht verschont. Er hält Anteile an einer Zuckersiederei und verdient sein Geld. Er arbeitet; zumindest ist er wertschöpfender Unternehmer.

  Der-Spieler  
 

Thomas Schmauser, Niels Bormann, Anna Drexler, Ivana Uhlířová, Zoë von Weitershausen

© David Baltzer

 

Christopher Rüping, Jahrgang 1985, wird von der kommenden Spielzeit Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen sein. Er gab mit seiner Inszenierung gleichsam seinen Einstand. Der fiel beinahe wie erwartet aus, denn Intendant Lilienthal hat sich bei der Wahl seiner Regisseure dafür entschieden, die Kammerspiele gänzlich umzukrempeln, Ensembletheater ist perdu, offene Formen werden ebenso bevorzugt wie alternative. Anstelle des ästhetisch in sich geschlossenen Kunstwerkes, an das sich der Zuschauer noch nach Jahren deutlich erinnert wie an ein großartiges Gemälde, ist eine Diskurskultur getreten, bei der Politik oder zumindest politische Einflussnahme zelebriert wird. Das ist ihm in den ersten fast hundert Tagen vortrefflich gelungen, allerdings um den Preis, dass viel Theater, wie man es liebte, verlustig ging.

Christopher Rüping selbst gab (widerwillig) im Programmheft Auskunft zu „Der Spieler“. Sehr deutlich wird darin der Widerwille erklärt: „Immer wieder stoßen wir beim Proben auf neue Gedanken, die die alten überschreiben. Alles ändert sich, nur diese Zeilen (im Programmheft – Anm. d. Verf.) nicht. Die lasten wie ein Grabstein auf unserem Abend. Oder wie Atommüll. Jedenfalls wie nichts Gutes.“ Es folgen Gedankenbrocken, aufgereiht wie zu einem Parcours. Hat man die Inszenierung gesehen, versteht man, was Rüping damit meinte, denn der Abend ließ eins mit Sicherheit vermissen, ein durchgearbeitetes, schlüssiges Konzept. Es war also eine in den Proben gewachsen Inszenierung. Das Ergebnis sah wie folgt aus: Fünfzig Minuten wurde die Szene von den Kindern Mischa und Nadja, gespielt von Nikolai Huber, Jasper Kohrs, Zoë von Weitershausen und Marlene Witzigmann dominiert. Ihretwegen war Aleksej vom General als Hauslehrer engagiert worden. Joachim Wörmsdorf, Souffleur, er stellte gleichsam den schweigsamen Mr. Astley vor, entrissen die Kinder das Textbuch und veranstalteten eine szenische Lesung. Sie waren bezaubernd anzuschauen und durchaus unterhaltsam in ihrer Unbefangenheit und Originalität. In dieser Zeit wurde auch das Bühnenbild von Jonathan Mertz, bestehend aus zu Videowänden aufgestapelten Umzugskartons, mehrfach umgeräumt und schließlich zum Einsturz gebracht.

Dann gab es für zehn Minuten Theater, das fesselte. In diesen zehn Minuten entblätterten Anna Drexler als Polina und Thomas Schmauser als Aleksej ihre zarte Beziehung zueinander und diskutierten die oben bereits zitierte Passage zum Thema: Was bedeutete Geld. Die Szene endete damit, dass Polina Aleksej aufforderte, einer deutschen Baronin einen französischen Satz ins Ohr zu hauchen, um deren Gatten zu entzürnen. Sie wollte sich daran weiden, wie Aleksej vom Baron  mit dem Stock gezüchtigt werden würde. Thomas Schmauser stieg von der Bühne und sprach seinen Satz in das Ohr einer Zuschauerin. Vermutlich war es: „Madame, j'ai l'honneur d'être votre esclave.“ Im Roman ist das der Wortlaut. Dann kamen alle anderen Darsteller auf die Bühne und prügelten eine Weile mit Schaumstoffschlangen aufeinander ein. Kurz vor Ende des ersten Teils verwandelte sich Thomas Schmauser mittels Rock, Perücke und einer schrillen Stimme in die vermeintlich sterbende, aber dann doch mopsfidele Großtante und hängte die ganze Bagage hin. Das geschah im wahrsten Sinn des Wortes. Die Darsteller baumelten zur Pause und auch danach auf halber Höhe der Bühne.

Substanzieller wurde es auch nach der Pause nicht. Die Darsteller, insbesondere Thomas Schmauser, von der spielleitenden Leine gelassen, blödelten sich mit großem körperlichen Aufwand und schrillen Manierismen durch den Roman. Dabei wurden die Figuren nicht deutlicher. Gundars Āboliņš, der den General gab, war schon zu Beginn in einen lächerlichen Tanzbären verwandelt worden. Niels Bormann, ein Schauspieler mit einer exzellenten Präsenz, hatte seine großen fünf Minuten am Ende, als er, eigentlich Marquis des Grieux,  sitzend und ohne Überflüssigkeiten den Text des Mr. Astley sprach, mit dem der Roman endet. Dabei stellte und beantwortete er sich selbst die Fragen Aleksejs. In diesem Augenblick begriff man als Zuschauer, was einem eigentlich vorenthalten worden war.

Die Inszenierung, die lebendig sein wollte, war zappelig und konfus. Ästhetisch ging kaum etwas zusammen und die Geschichte, eine große Geschichte, löste sich in Plattitüden auf. Dabei fand man die Einfälle der Kinder, die sie in den Probenpausen nebenher aufs Papier gekritzelt hatten, immerhin so witzig, dass man sie einbaute. So fragte sich Großtante Schmauser auf der Toilette, wo denn wohl die Roulette sei. Wenn man weiß, woher einige der Einfälle kamen, erübrigt es sich natürlich, der Inszenierung Infantilität vorzuwerfen. Immerhin war alles korrekt englischsprachig übertitelt, was dem Spektakel (Ein Wort, das mehrfach im Text vorkam!) zwar kein internationales Format, jedoch dem Theater den Anstrich von Weltoffenheit verlieh. Drei lange Stunden und die Begeisterung hielt sich bei dem nach der Pause noch verbliebenen Publikum der zweiten Vorstellung in Grenzen.

 

Wolf Banitzki

 


Der Spieler

Nach dem Roman von Fjodor Dostojewski in der Übersetzung von Swetlana Geier

Gundars Āboliņš, Niels Bormann, Anna Drexler, Thomas Schmauser, Ivana Uhlířová, Kaspar Huber, Nikolai Huber, Jasper Kohrs, Zoë von Weitershausen, Marlene Witzigmann, Joachim Wörmsdorf

Regie: Christopher Rüping

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