Prinz Friedrich von Homburg R

Residenztheater Prinz Friedrich von Homburg von Heinrich von Kleist


 

 

Das Dilemma Recht

Als Heinrich von Kleist 1810 nach monatelangem verschollen seins in Berlin auftauchte, brachte er einen Stoff mit, der gleichsam als Vollendung seiner Dramatikerexistenz gelten kann. Während die „Hermannsschlacht“ (1808 entstanden) noch ein den blinden Hass präferierendes zeitgenössisches Tendenzstück war, das sich bestens für chauvinistische Volksverhetzung eignet, zeigt „Prinz von Homburg“ große weltanschauliche Verantwortung für die angesprochene Thematik. Das Schauspiel zielt weniger auf die Aktion, die schnell erzählt ist: Der Prinz von Homburg, errang nach zwei Niederlagen in der entscheidenden Schlacht bei Fehrbellin (1675) einen Sieg über die Schweden, weil er sich, seiner Intuition und seinem Temperament folgend, über die Order seines Dienstherren hinweg gesetzt hatte. Noch im höchsten Glücksgefühl schwelgend, ereilt ihn das Kriegsgericht, dass, dem Gesetz folgend, die Todesstrafe gegen ihn verhängt. Er ruft den Kurfürsten an, Gnade walten zu lassen. Seine Begründung: Er hat dem Fürsten den Sieg geschenkt. Der lehnt aus zweierlei Gründen ab. Er möchte seine Siege nicht dem Zufall geschuldet wissen und er kann und will sich nicht über das Gesetz erheben. Der Kurfürst offenbart sich als aufgeklärter Monarch und nimmt durchaus eine Vorbildfunktion als Staatslenker ein, obgleich er tiefe Sympathien für den Heißsporn hegt, zumal sich seine Nichte dem Prinzen aus Liebe versprochen hat. Als das Offizierskorps Partei für Homburg ergreift, sich eine Rebellion andeutet, ist das Dilemma perfekt, denn sie fordern ihn auf, sich über Recht und Gesetz zu erheben, womit sie, ohne es recht zu wissen, eine Restauration des alten monarchistischen (vorkantschen) System verlangen. Der Kurfürst lässt den Prinzen wissen, dass er das Urteil augenblicklich annulliert, wenn der Prinz ihn bedeutet, dass er sich ungerecht behandelt fühlt. Der Prinz muss das Urteil akzeptieren und erkennen, dass er sein eigener Richter und Henker zugleich ist. Jetzt, und das ist die versöhnliche Variante Kleists, kann er begnadigt werden.

Es ist ein genialer Plot, der vielerlei Fragen ermöglicht, die in der Münchner Inszenierung von David Bösch, zuletzt überzeugte er im Residenztheater mit Ibsens „Peer Gynt“ (Premiere 19.11. 2014), allesamt (z.T. schmerzlich) ans Licht kamen. Es stellte sich die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen für das Ganze ebenso wie die Frage nach der Unterordnung des Individuums  unter das Gesetz, unter den Fürsten, unter den Staat und unter die Gesellschaft. Es ist selten, eine derartige Dimension in einer „Homburg“-Inszenierung zu erleben, in deren Ergebnis sich dem Betrachter das philosophische Problem des Rechts und dem immanenten Dilemma, abgehandelt an den Fragen von Gehorsam oder selbstverantwortlichem Handeln als Grundlage für eine freiheitliche Gesellschaft, offenbart.

  Prinz-von-Homburg-2015  
 

Shenja Lacher

© Andreas Pohlmann

 

Großartiges, präzises und ganz dem Text verpflichtetes Schauspiel paarte sich mit kühler Regieintelligenz und äußerster Konsequenz. Heraus kam eine richtungsweisende Lesart. David Bösch hat in Shenja Lacher (der auch Peer Gynt verkörperte) einen kongenialen Darsteller gefunden. Lacher verfügt über die Meisterschaft und das Maß, einen Text präzise und hochinterpretatorisch zu vermitteln, ohne auch nur eine einzige Silbe zu verschenken. Dabei beschränkt er sich physisch auf das Notwendigste, ohne die Lebendigkeit der Figur aufs Spiel zu setzen. Nicht der leiseste Anflug von künstlichem Sentiment verwässerte die Figur oder die Szene. Minimalistisch eingeschworen agierten Johannes Zirner in der Rolle des Grafen Hohenzollern, Franz Pätzold als jugendlicher Freund und Mitstreiter Rittmeister von der Golz und Simon Werdelis als Graf Reuß. Sämtlich in düsteren langen Soldatenmänteln (Kostüme: Meentje Nielsen) gewandet, oblag es ihnen nicht, ausgefeilte Figuren zu schaffen. Vielmehr verkörperten sie im Block die Soldateska, die das Fundament der Handlung bildete. Als Gegenpol zu dem zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Angst und militärischem Wagemut  agierenden Homburg spielte  Oliver Nägele als Kurfürst von Brandenburg geradezu monumental und mit leisen, sehr gefühlvollen Tönen dennoch nicht geizend. Zwischen diesen Polen operierten Gerhard Peilstein als Obrist Kottwitz, Anführer der Sympathisanten Homburgs, und Arnulf Schumacher als gehorsamer und pflichtbewusster Feldmarschall Dörfling. Die weiblichen Parts entfielen auf Ulrike Willenbacher als Kurfürstin und Friederike Ott in der Rolle der Prinzessin Natalie von Oranien und Braut Homburgs. Letztere hatte es nicht leicht, bei der lapidaren Wucht ihrer Kollegen nicht unterzugehen. Umso mehr erstaunte es, dass sie ihre Befehlsgewalt, die sie als Chefin eines Dragonerregiments hatte, durchaus überzeugend auszuüben vermochte.

Bei näherer Betrachtung ist es ein sehr düsteres Stück, das mit Krieg beginnt und am Ende, obgleich ein Friede möglich und in greifbarer Nähe ist, mit Krieg fortsetzt. Darum war das Bühnenbild von Falko Herold in jeder Hinsicht zutreffend. Mit einer kaskadenartigen Treppe in die Bühnentiefe aufsteigend, erinnerte es an einen Schlund, einen Schlund des Krieges. Alles, selbst die Kostüme waren schattig anthrazit und grau – Patina einer kriegerischen Geschichte, die seit Jahrhunderten andauert. An den Seiten und in der Decke rhythmisch durchbrochen, verwandelte das Licht von Tobias Löffler den Raum immer wieder auf sehr suggestive Weise. Allein, düster blieb es allemal und die bedrohlichen Klänge von Bernhard Moshammer denunzierten den Ort zusätzlich als einen lebens- und menschenfeindlichen. Somit ließen sowohl Ausstattung als auch die Inszenierung keine Sympathien für soldatischen Wagemut, Heldentum und kriegerisches Pathos aufkommen. Allerdings will die gewaltige existenzielle Verunsicherung, die diese Inszenierung auslöst, ausgehalten sein. Im Zusammenhang damit sei die Lektüre des Abdrucks des Gesprächs mit dem Philosophen Christoph Menke im Programmheft zur Inszenierung unbedingt empfohlen.

David Böschs Schluss überrascht und verwirrt auch für den Augenblick. Nach Überwindung der Schockstarre stellt man allerdings schnell fest, dass es keine „wahrhaft richtige“ Lösung gibt und es durchaus Sinn macht, die Dualität, oder sollte man besser sagen Zerrissenheit der Geschichte noch einmal zu betonen. Fazit: Eine großartige, sehr zeitgemäße und nachhaltige Inszenierung.

Wolf Banitzki

 


Prinz Friedrich von Homburg   

von Heinrich von Kleist

Oliver Nägele, Ulrike Willenbacher, Friederike Ott, Shenja Lacher, Gerhard Peilstein, Johannes Zirner, Franz Pätzold, Arnulf Schumacher, Simon Werdelis

Regie: David Bösch

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