Cuvilliéstheater Hotel Capri von Thomas Jonigk


 

 

Verschenkt

Ein schmuddeliges Hotelzimmer wird vom Hotelbetreiber Bruchmoser mit viel Emphase schöngeredet. Geradezu paradiesisch ist die Vision, die allerdings erst in drei oder vier Jahren Gestalt annehmen wird. Bis dahin, nun ja … Werner von Späth ist es egal. Ihn interessiert das Hotelzimmer im derzeitigen Zustand, denn er ist nach Jahrzehnten an diesen Ort zurückgekommen, um Erinnerungen zu beschwören, Erinnerungen an seine erste große Liebe oder auch nur seine ersten angstfreien sexuellen Erfahrungen. Franz war derjenige, der ihm damals bescherte was bislang nur Fantasie war. Also haben sich Werner und Franz im Hotel Capri, im Zimmer Nummer 11 verabredet. Die Zeit bis zum Eintreffen von Franz, dem Werner aus gutem Grund mit Unbehagen entgegen sieht, gestaltet sich überaus burlesk. Plötzlich steht Christine, eine redselige, schrille Blondine im Raum und behauptet, sie hätte das Zimmer Nummer 11 ebenfalls angemietet. Doch da sie ein Problem mit dem Alleinsein hat, und sie ist allein, denn sie hat sich gerade von Hubert getrennt, fügt es sich doch für beide, wie sie meint, prächtig. Werner ist selbstverständlich anderer Meinung, zumal er herzkrank ist und seine Medikamente starke Nebenwirkungen wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen bereiten. Nur mit diesen Nebenwirkungen ist es erklärbar, warum er sich plötzlich Jahrzehnte zurückversetzt sieht und dem Liebesspiel zwischen sich und Franz beiwohnen kann. Als Franz endlich erscheint und ihm an den Kopf schmettert: „Du hast mein Leben ruiniert!“ bewahrheiten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Doch in „Hotel Capri“ gibt es viele Momente und Augenblicke, die gänzlich anders sind, als sie scheinen.

Thomas Jonigks Auftragsarbeit für das Residenztheater ist eine melancholische Komödie zum Thema Homosexualität. Gebaut ist das Stück wie ein szenisches Puzzle. Erst am Ende kennt der Zuschauer die ganze Wahrheit. Im Programmheft zur Inszenierung hat Jonigk einige Gedanken zum Thema, und warum es noch immer aktuell ist, geäußert. Quintessenz des Textes ist, dass sich Schwulenfeindlichkeit nicht über der reinigenden Flamme der Vernunft verflüchtigt hat. Schwule sind noch immer ein willkommenes Feindbild (Russland, Polen, Ukraine oder Ungarn). Aber auch in Deutschland gestaltet sich das Verhältnis seltsam. Die scheinbar unerschütterliche Bundeskanzlerin verlor die Contenance, als sie zum Thema Adoptionsrecht für homosexuelle Paare befragt wurde. Die Umarmungen der Politiker gerade in der Wahlkampfphase lassen ganz nebenbei den Schluss zu, dass Homosexuelle ja auch Wähler sind. Die Wirtschaft hat längst erkannt, dass in dieser Bevölkerungsschicht viel Kapital schlummert. Thomas Jonigk bringt es auf den Punkt: „Kapitalismus macht’s möglich!“ Und trotz allem Toleranzgebaren äußerte ein prominenter Ex-Fußballer erst kürzlich öffentlich, dass er es besser fände, wenn sich schwule Fußballer nicht outen würden. Die Brisanz des Themas ist also unbestritten.

  HotelCapri  
 

Lambert Hamel

© Thomas Dashuber

 

Jonigks Text hat zweifellos nicht nur komische Qualitäten und bei der Starbesetzung mit Juliane Köhler (Christine) und den mit dieser Inszenierung an das Residenztheater zurückgekehrten Lambert Hamel (Werner von Späth) hätte der Abend zu einem Riesenspaß werden können. Juliane Köhler gab eine nicht mehr ganz taufrische high-speed-Tussi in Rosa, die ätzender und penetrierender kaum hätte sein können. Naturgemäß war sie vom Autor als der Gegenentwurf zum alternden Apotheker von Späth gedacht, um ein größtmögliches Spannungsfeld zu erzeugen, doch Lambert Hamel blieb so blass,  dass er über weite Strecken gar nicht anwesend zu sein schien. So verpuffte das nicht selten mechanisch klingende Sprachfeuerwerk Juliane Köhlers ohne nennenswerte Farben. Beinahe jede Pointe, jeder Sprachwitz wurde verschenkt, ging unter in der pseudoanarchischen Mischung aus Realem und Wahn.

Tina Lanik bewies mit dieser Inszenierung einmal mehr, dass psychologisches Theater nicht unbedingt ihre Stärke ist. Ihr Metier sind Bilder. Eines schuf sie immerhin noch am Ende, wenn die Schmuddelbude von Bühnenbildner Stefan Hageneier ihrer Wände entkleidet wurde und der Betrachter den „Durchblick“ auf den rotleuchtenden Schriftzug „Hotel Capri“ bekam. Der Wahn hob ab. Dieser Einfall konnte jedoch nichts mehr retten, denn die Zuschauer waren längst ausgestiegen aus der Geschichte. Wenn überhaupt, schufen Katrin Röver als cellulitebeschwertes Zimmermädchen Jessica mit Hang zu klaren Aussagen („Das Telefon ist im Arsch!“) und Götz Schulte als visionärer und selbstbetrügerischer Hotelier Bruchmoser fassbare Figuren aus Fleisch und Blut, die glaubhaft waren und das Wenige, was ihnen ihre Rolle bot, wirkungsvoll ans Publikum brachten. Wolfram Rupperti blieb als Hubert, eine plakative Witzfigur mit Drogerieladen, der seiner Liebsten in seinem Geschäft auch nach der Trennung 10 % Rabatt auf alles - außer Elektrogeräte - einräumte, in der Geschichte ebenso unverbindlich wie Arnulf Schumacher in der Rolle des Franz.

Schade, denn es hätte ein vergnüglicher Abend werden können, der nur dann, und so war es vom Autor wohl auch gedacht, seine Botschaft transportiert hätte. So blieb das Stück von durchschlagender Wirkungslosigkeit. Fazit: Verschenkt! Bleibt zu hoffen, dass „Hotel Capri“ eine weitere Chance bekommt.

 

Wolf Banitzki



 


Hotel Capri

von Thomas Jonigk

Lambert Hamel, Juliane Köhler, Arnulf Schumacher, Wolfram Rupperti, Katrin Röver, Götz Schulte, Simon Werdelis, Clemens Ansorg

Regie: Tina Lanik
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