i-camp yoUturn von Christiane Mudra


 

 

Kehrtwendung oder Ich gegen die Welt

Die Ankündigung des Überwachungsexperimentes von Christiane Mudra versprach einen spannenden Abend: „Die Regisseurin setzt sich in dem Theaterexperiment „yoUturn“ mit dem Phänomen der Personenüberwachung aus verschiedenen Perspektiven auseinander und macht die Mechanismen von Angst und Paranoia in verschiedenen performativen Touren durch München für den Teilnehmer in 1:1 Situationen erlebbar.“ Und die Sicherheit zu wissen, dass es sich um einen Kunstakt und nicht um reale Realität handelte, verhinderte gottlob den allerletzten Kick. Haarscharf an den Grenzen wurde ausgelotet und manche bislang still gehütete Information fand hier den Weg in die Öffentlichkeit. Das Versprechen von Schutz überdeckte bislang die dunkle Seite der immer stärker und deutlicher um sich greifenden Überwachung durch die ordentlich eingesetzten Sicherheitsorgane. Längst sind hier die Grenzen verschwommen, die Übergriffe an der Tagesordnung, die Auslegung von Sachverhalten den Vorstellungen einzelner überlassen. Zu wessen Vorteil?

Wann immer der Mensch sich selbst gegenüber steht, und sei es in einem Spiegel, bricht die Angst aus. Von allen Ängsten ist die Angst in seiner Fehlbarkeit und Unvollkommenheit erkannt zu werden wohl eine der größten. Kampf, Flucht, List, Niedertracht, Scheinheiligkeit sind die unmittelbaren Reaktionen auf Entlarvung. Und um diese Unsicherheit gar nicht erst aufkommen zu lassen, manipuliert er. Er manipuliert nicht nur sich und sein Erscheinungsbild, er manipuliert auch seine Gegenüber. Zumindest versucht er es, scheint es doch leichter sich über die Schwäche eines anderen aufzubauen, als selbst Eigenheit und Stärke zu entwickeln.

Die moderne Stadtwelt besteht aus Spiegeln, besteht aus reflektierenden Glasflächen. Überall begegnet sich Mensch selbst, wird mit sich beschäftigt, um besser in Funktionsabläufe eingegliedert werden zu können. Um nicht, naturgemäß, sofort mit unkontrollierbaren Reflexen die Mechanismen zu stören. Die Verfolgung durch „wilde Tiere“, den „Nachbarstamm“, die Kontrollorgane der Gesellschaft, die Nachbarn, die Vorgesetzten, die Verkäufer ist prägend, allgegenwärtig präsent. Dazu kommt noch die Verfolgung durch sich selbst, das eigene Spiegelbild. Kein Wunder, dass Paranoia die Welthaltung beherrscht.

„Theater ist per se und seit seiner „Erfindung“ politisch. Meine Wahrnehmung des globalen Geschehens ist es auch.“, so Christiane Mudra. Ihr Anliegen ist es, für das Phänomen der Überwachung zu sensibilisieren und die Fülle der Missstände aufzudecken. Das Überwachungsexperiment „yoUturn“ ist eine ungewöhnliche Erfahrung in einem Land, in dem, allem Anschein nach bzw. glaubt man den Medien, Überwachung und Kontrolle der Bürger „nicht wirklich“ betrieben wird. Man könnte meinen, die unzähligen auf die Straßen und Gebäude gerichteten Kameras dienen lediglich dem Wachstum der Konjunktur, den Bankkonten der Hersteller und damit den Arbeitnehmern in der Produktion. Auch werden in diesem Land effiziente Systeme für die Ausspähung von Bürgern anderer Länder entwickelt und man verdient lediglich an den Ängsten von umstrittenen Machthabern weltweit. An der Verfolgung von anderen Bürgern ist man „eigentlich nicht schuld und beteiligt“ und so besteht auch keine Notwenigkeit Asylsuchende aufzunehmen. Diese Borniertheit ist wohl kaum zu überbieten, oder ist alles nur noch Geschäft. Staatsgeschäft.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts lag das Wesen bzw. Unwesen der Geheimen Staatsdienste überwiegend im Dunkel der herrschenden Ordnungsmacht. Seit der Einführung der Medien wie Radio und Fernsehen, seit der aufklärenden Verbreitung von spannender Literatur rückte dieses Unwesen deutlicher ins allgemeine Bewusstsein und erfährt auf diese Weise Legitimation. Als Unterhaltungsfaktor unabdingbar und ebenso lukrativ geworden, soll es den einzelnen an die geforderte Konformität erinnern und ihn ihr verpflichten. Und da es scheinbar nur zwei Seiten gibt – die Gute vs. die Böse – erscheint es logisch vernünftig sich für eine Haltung zu entscheiden. Dennoch ist es so, dass der „gute Staat“ eine Organisation „zu seinem Schutz“ installiert, die absolut in den „Bereich des Bösen“ zuzuordnen ist. Zumal diese doch weitestgehend ohne ethische Grenzen agiert – MfS, BND, SS, CIA, KGB etc. etc. etc.. Die Taten „der Guten“ sind also keineswegs so gut, dass sie allein durch ihre Auswirkungen überzeugen, nein, sie müssen unbedingt verteidigt und geschützt werden. Der Gute bewaffnet sich, um die drei Gramm Selbstherrlichkeit seines kleinen Egos zum Mittelpunkt des Geschehens aufzublasen. Ein albernes Spiel, das seit ... nun Urzeiten läuft. Naturgesetz: Das Rudel organisiert sich. Futter wird ausgespäht, beobachtet und erlegt. Das stärkste Tier im Rudel bläht sich auf und macht sein Tun zu geltendem Gesetz, reißt seinen Anteil Fleisch zuerst aus der Beute. 21. Jahrhundert?

Im Trenchcoat und mit tief in die Stirn gezogenem Hut war ich mit dabei. Ich machte die Erfahrung von direkter Verfolgung, erfuhr das Gefühl von Beobachtung ohne den Beobachter ausmachen zu können, nahm Spuren auf, stand ratlos im Dschungel der Stadt. Es schien wie ein Spiel und war doch Spiegel von tatsächlichen gesellschaftlichen Gepflogenheiten, Gewohnheiten. Die Informationen die ich auf dem Weg erhielt, ergänzten eigenes Wissen um die Paranoia der Machthaber. Das Experiment kann als „auf Teufel komm raus“ gelungen betrachtet werden, veranschaulichte es doch unmittelbar, was sich in die Gesellschaft längst eingeschlichen und breit gemacht hat. Und wer die Spannung, den Nervenkitzel sucht, wird sie erfahren ...

 

C.M.Meier

 

Die Akteure des Experiments - durchweg durch den Prozess der Globalisierung, der Vernetzung der letzten zwei Jahrzehnte geprägt (Auslandsstudien, Zusammenwirken mit internationalen Künstlern) – vollzogen den Vorgang der Grenzüberschreitung auf eben dieser Ebene. Künstlerische Verbindungen ermöglichen neue Sichtweisen, zeigen Unterschied und Egalität. Es findet offener Austausch, kreative Anregung und kulturelle Bereicherung statt und diese wird zu Selbstverständnis, wird zu Alltag. Und gerade hierin liegt die Chance zu menschlicher Entwicklung jenseits der kleinen Horizonte. Die Aspekte von Sein (also u.v.a. auch die naturgegebene Wachsamkeit) zu leben, ohne einem einzelnen davon Übergewicht zuzusprechen, bedeutet dem Frieden einen Schritt näher zu kommen.

3 Mal täglich erwarten 5 verschiedene „yoUturns“ die Zuschauer. Eine Beschreibung, literarische Umsetzung zum mentalen Nachvollzug, des von mir erfahrenen turns habe ich bewusst unterlassen, gilt es doch sich selbst auch dem körperlichen Erlebnis auszusetzen, um zu umfassender Erkenntnis zu gelangen.

Kartenreservierung: you.turn(at)aol.com

 

 

 

 


yoUturn

Ein Überwachungsexperiment von Christiane Mudra

Emre Akal, Kostis Kallivretakis, Monika Lembke, David Müller, Heidelore Rutz

Regie/Konzept/Text: Christiane Mudra
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