Kammerspiele  Die Neger von Jean Genet


 

 

Welche Farbe hat Rassismus?

Sein Werk ist ohne Einschränkungen „politisch inkorrekt“. Es ist pure Provokation. „Ich will zunächst, dass mich die Menschen verachten“, schrieb Jean Genet im „Tagebuch eines Diebes“, eines der „widerlichsten und erschütterndsten Bücher unseres Jahrhunderts“, wie Georg Hensel bemerkte. 1948 durch Fürsprache von Cocteau, Sartre und Gide von einer lebenslangen Gefängnishaft verschont geblieben, gelang es nur unter Mühen, Genet davon abzuhalten, sich in einem Radiointerview über die unangemessene Milde gegen seine Person zu beschweren, die „den Verbrecher des Erlebnisses seiner Haft beraubt“.  Genet verstand sich als die Erfüllung dessen, was ihm die Gesellschaft abverlangte: Die Vollendung des absolut Bösen. Darauf bestand er mit Stolz.

Es war gerade dieser Ansatz, den Genet wählte, als er 1957 „Die Neger“ schrieb. Die Botschaft: Seid Neger! Seid es mit allen Konsequenzen und erfüllt alle Vorbehalte, Klischees und Mythen, die man euch nachsagt und die ihr selbst in euch tragt. Genet war unmittelbar inspiriert von der 1954 an der Goldküste aufgezeichneten Dokumentation „Les Maîtres Fous“, in dem Schwarzafrikaner Weiße spielen und mittels Tötung eines Hundes einen Exorzismus praktizieren. Kennt man diese Dokumentation, ist der Einstieg in die „Clownerie“ Genets wesentlich unproblematischer. So verstörend der Film auch sein mag, er ist auf faszinierende Weise nicht mehr und nicht weniger als ein Spiegel, der der weißen Rasse vorgehalten wird. Rassismus wird verblüffend real. Man riecht den Schweiß und das Blut, dass Weiße vergossen haben, um sich ihren heute noch existierenden fundamentalen Reichtum schaffen zu lassen. Genet war nicht nur erklärter Anhänger von Befreiungsbewegungen wie der PLO oder den Black Panthers, aber auch der RAF, er war auch Befürworter der denkbar radikalsten Methoden.

Die Handlung des Stücks ist ein Spiel, eine rituelle Veranstaltung oder ein Theater. Die Grundsituation: Schwarze spielen für im Zuschauerraum sitzende und auf der Bühne agierende Weiße einen Lustmord an einer weißen Frau. Sie fordern ein Tribunal ein, das sie für ihre Taten aburteilen soll. Dieses Tribunal besteht aus einer Königin, einem Gouverneur, einem Richter, einem Missionar und einem Diener. Alle tragen Masken, die nur unzureichend kaschieren können, dass es sich bei den Spielern um Schwarze handelt. Der Tanz um den weißen Leichnam ist schleppend, denn immer wieder müssen die Darsteller zu Ordnung, zur Handlung gerufen werden. Irgendwann allerdings entdeckt man auf der Bühne, dass es gar keine Leiche gibt und alles nur ein ekstatischer Wunschtraum war, eine symbolische Ermordung eines Weißen. Immerhin haben die Schwarzen sämtliche Erwartungen, die man gemeinhin an sie stellt, erfüllt. Nun sind die Weißen dran. Sie starten eine Strafexpedition in den Dschungel, ergehen sich in poetischen Rededuellen, werden schließlich von den Schwarzen mittels Worten gemeuchelt und ihre Leichen malerisch drapiert. Gemeinsam fahren sie in die Hölle, die sie eigens für die Schwarzen erdacht haben. Soweit die sichtbaren Vorgänge. Und die unsichtbaren:  Ein Bote verkündet, dass in der Kulisse gerade ein Schwarzer wegen eines Verrats abgeurteilt und hingerichtet worden ist. Die Schwarzen formieren sich neu zum Kampf gegen die Weißen.

Johan Simons Inszenierung beeindruckte fraglos. Geprägt war die Bühnenästhetik vom  Maskenspiel. Allerding waren die Masken vollständig gesichtslos, wiesen allenfalls einige Insignien einer gesellschaftlichen Stellung auf (Krone, Gesetzbuch). Die Verfremdung hin zur völligen Identitätslosigkeit war gespenstisch und verbreitete Unbehagen, denn man bekam kaum Kenntnis von handelnden Individuen. Ein wenig Bedauern löste diese Ästhetik schon aus, denn neben den wunderbaren Kammerspielschauspielern hatte Simons Darsteller wie zum Beispiel Anja Laïs, Christoph Luser, Maria Schrader oder Bettina Stucky verpflichtet, deren Gesichter man erst bei der Verbeugung sah. Das einzige reale Gesicht, in das der Zuschauer schauen konnte, war das von Felix Burleson, dem aus Surinam stammenden dunkelhäutigen Darsteller, der bereits in „Schande“ zu erleben war. Er repräsentierte das schwarze Element. Seine Anwesenheit veränderte die Bühne merklich. Über die reine Repräsentanz ging seine Darstellung allerdings kaum hinaus, obgleich er eigentlich als Archibald den Spielleiter auf der Bühne vorzustellen hatte. Diese Rolle übernahm Stefan Hunstein, der mit dem farbigen Gesicht von Felix Burleson ausgestattet, spielerisch aufwendig und dominant dessen Double gab.

Für die Existenz, resp. Nichtexistent der weißen Leiche hatte man einen wächsernen Frauenkörper aufgebahrt, der über die knapp zwei Stunden Spieldauer hinweg schmolz. Das Spiel fand sowohl auf der Vorderbühne um die aufgebahrte Leiche herum als auch als farbiges Schattenspiel hinter einem großen papiernen Vorhang statt. Für die abstrakte und zugleich durch praktikable Bühne zeichnete Eva Veronica Born verantwortlich.
Stärkstes Ausdrucksmittel war neben der Sprache die körperliche Pose und hier hatte Spielleiter Simons ganze Arbeit geleistet. Neben der Radikalität des zum Teil sehr finsteren und abstoßenden Textes, erspielten die Darsteller aus der äußerlichen Formlosigkeit der agierenden Geschöpfe heraus immer wieder situationskomische Momente, die das düstere Stück nicht nur erträglich, sondern über weite Strecken auch unterhaltsam machte.

Es war ein beeindruckender Abend, nicht leicht zu rezipieren und vielleicht in der einen oder anderen Szene auch ein wenig zu lang. Doch es gelang auch dieser Inszenierung nicht, so provokant sie auch sein mochte, dem Publikum wirklich etwas zum Thema Rassismus an die Hand zu geben. Wieder einmal verließen weiße Zuschauer das Theater in dem unerschütterlichen Bewusstsein, für viel, sehr viel Elend auf der Welt verantwortlich zu sein. Dieser Schuldkomplex, und mit Schuldkomplexen kennt sich kaum jemand bessere aus als wir Deutschen, ist wieder einmal das letzte Gefühl. Warum stellt Genet eigentlich die Frage: „Was ist eigentlich ein Schwarzer. Und vor allem, welche Farbe hat er?“ Ganz einfach, weil er Schwarz und Weiß nicht akzeptiert. Die Frage ist doch: Welche Farbe hat ein Rassist? Wer sich ein wenig auf der Welt umgeschaut hat, der weiß, dass Rassismus jede Farbe haben kann und auch hat. Rassismus hat seinen Ursprung im Unbehagen oder in der Angst vor allem Fremden, fremd Aussehenden. Diese Angst ist jedem Menschen eigen. Er kann sie mittels Vernunft und empirischer Erfahrung mit dem Fremden überwinden, oder aber er wird Rassist, bewusst oder unbewusst.

Es war sehr wohltuend, das Wort „Neger“ immer und immer wieder auf der Bühne zu hören, denn die heutigen Tendenzen, Sprache, einzelne Wörter zu eliminieren, weil wir unsere (von den Vorvätern ererbte) Schuld nicht mehr aushalten, ist nicht nur dumm, sondern höchst lächerlich und auch gefährlich. Sprache ist materialisiertes Denken. Sprache verhindern hieße Denken verhindern. Wenn das Wort „Neger“ aus Kinderbüchern eliminiert wird, versucht man damit Geschichte auszulöschen. Sicher ist, dass das Wort nicht eliminiert werden kann. Sprache ich nicht rassistisch, nur das Denken hinter der Sprache. Sprache kann Ausdruck von Rassismus sein. Wenn das Denken hinter der Sprache nicht rassistisch ist, ist auch gegen die Sprache nichts einzuwenden. Wie wollen wir noch rassistisches Denken erkennen, wenn wir den Ausdruck dafür unsichtbar machen wollen? Man sollte in diesem Zusammenhang darüber nachdenken, Orwells „1984“ neuerlich ins Bewusstsein zu rücken, um derartigen schwachsinnigen und ideologischen Tendenzen entgegen zu wirken.

 

Wolf Banitzki

 

 


Die Neger

von Jean Genet
Eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen und dem Schauspielhaus Hamburg

Felix Burleson, Karoline Bär, Benny Claessens, Stefan Hunstein, Hans Kremer, Anja Laïs, Christoph Luser, Oliver Mallison, Maria Schrader, Bettina Stucky, Edmund Telgenkämper, Kristof Van Boven, Jeff Wilbusch, Gala Winter

Regie: Johan Simons

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