Kammerspiele Der Kaufmann von Venedig von William Shakespeare


 

 

Kammerwerkstatt - mehr Demontage als Montage

Die Spannung war groß, denn die Übernahme der Intendanz an den Münchner Kammerspielen war bereits im Vorfeld mit einigen Aufregungen verbunden. Insbesondere die Ankündigung, das altbekannte Ensembletheater nicht in der Form fortzuführen, löste einige Befürchtungen aus. Der Wechsel ist vollzogen und mit Nicolas Stemanns Inszenierung „Der Kaufmann von Venedig“ von William Shakespeare der Weg in die neue Zukunft der Kammerspiele beschritten. Die Erwartungen an den neuen Hausregisseur waren hoch und neben den Intendanten der großen Münchner Häuser war auch die Presse zahlreich aufgelaufen. Bereits der Spielplan, in dem nicht wenige politische Aktivitäten ins Auge stechen, lässt vermuten, dass sich das Publikum einer neuen Diskurskultur stellen muss – oder auch nicht, denn das Publikum kann entscheiden.

Bekanntermaßen ist ja Wahl nicht selten mit Qual verbunden. Nicht so bei der Konzeption Stemanns für seine Inszenierung: „Um den vielen widersprüchlichen Fragen und Ansprüchen, den Forderungen und den Schulden, den Sowohl und dem als Auch zu begegnen, hat Nicolas Stehmann für die Inszenierung schließlich den, so schien es ihm, einzig möglichen Weg gewählt: den Schritt in die offene Form. Das heißt, er hat eine Spiel- und Inszenierungsweise befördert, die das Annähern kultiviert, das Werkstatthafte, die Anführungszeichen, die Camouflage und das Sich-Verwandeln.“ (Benjamin von Blomberg, Dramaturg der Inszenierung, im Programmheft) In dieser Formulierung findet sich leider ein Anachronismus, denn wenn man von dem „einzig möglichen Weg“ spricht, kann man schwerlich von Wahl sprechen.

 Die „vielen widersprüchlichen Fragen und Ansprüche“ drehen sich in erster Linie um das Thema Antisemitismus und wie kann, muss, soll man (politisch korrekt) damit umgehen. Wie wäre es, die politische Korrektness einfach mal beiseite zu lassen und Tacheles zu reden. Dann hätte man mal ein gutes, ehrliches Fundament für kritische Befragung und Diskurs. Stattdessen verhindert Sprachzensur das Zutagetreten von echten, verinnerlichten Anschauungen. Die Gesellschaft sollte dankbar sein für die „Pegidabewegung“, denn mit ihr tritt der Gesellschaft eine reaktionäre, dumme und wohlfeile Fratze entgegen, das ebenso real ist wie das erwünschte und geschminkte Antlitz. Die Sinnkrise der Gesellschaft, und in der Politik offenbart sie sich am deutlichsten, hat sich längt auch am Theater breit gemacht. Anschauungen und Haltungen sind augenblicklich suspekt, wenn sie nicht flexibel genug sind, um mit ihnen um die nächste weltanschauliche Ecke zu kommen.

Der „Kaufmann von Venedig“ ist eine Komödie und der Stoff stammt nicht von Shakespeare. Er war bereits Bestandteil des „Dolopathos“, einem in mittellateinischer Sprache verfassten Erzählwerk aus dem späten 12. Jahrhundert. Ser Giovanni, genannt Fiorentino, griff die Geschichte auf und einverleibte sie seiner Novellensammlung „Il Pecorone“, die er im Jahr 1378 begonnen hatte zu schreiben. 1558 ist sie mit einiger Wahrscheinlichkeit Shakespeare in die Hände gefallen. Es handelt sich also um einen uralten Stoff, der sich wegen seines Plots hervorragend zur Adaption eignet. Die Frage zu stellen, ist das Werk antisemitisch, ist müßig, denn den Begriff Antisemitismus, einer nationalistisch, sozialdarwinistisch oder rassistisch geprägten Anschauung, gibt es erst seit etwa 1870. Also kann man Shakespeare schwerlich Antisemitismus unterstellen. Tatsächlich gab es Ende des 16. Jahrhunderts überwiegend religiös motivierte antijüdische Stimmungen, ausgelöst durch einen Prozess gegen den Leibarzt Elisabeths I., einen portugiesischen Juden namens Rodrigo Lopez. Graf Essex hatte ihn beschuldigt, die Königin im Auftrag Phillip II. töten zu wollen. Tatsächlich wurde Lopez, nachdem er zum Christentum übergetreten war, hingerichtet.

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Walter Hess, Thomas Schmauser, Jelena Kuljić, Julia Riedler, Niels Bormann, Haqssan Akkouch

© © David Baltzer / Bildbühne

 

Die antijüdische Stimmung wurde zudem von einem Theaterstück angeheizt, das mit großem Erfolg gespielt wurde: „Der Jude von Malta“ von Christopher Marlow, der zu dieser Zeit bereits ermordet worden war. Dieses Stück handelt von dem dämonischen Juden Barrabas, der ein abgefeimter Schurke, Mörder, Verräter und Christenhasser war. Betrachtet man dagegen den Shylock und sein Los, war Shakespeares Werk beinahe ein politischer Affront. Immerhin hatte sich Königin Elisabeth lange Monate gegen die Hinrichtung von Lopez gesträubt und nur sehr widerwillig zugestimmt. Überdies ist es nicht sehr sinnvoll, nach pro- oder antijüdischer Gesinnung bei den Elisabethanern zu fragen, denn die Juden waren aus England per Gesetz verbannt. Der konkrete lebendige Jude war in England unbekannt und existierte nur als Mythos, mit dem man nach Belieben verfuhr.

Warum diesen Ausflug in die Historie, wird sich der eine oder andere Leser fragen? Weil damit zutage tritt, dass es sich in dieser Komödie von Shakespeare nicht um die Frage von Antisemitismus dreht, sondern in erster Linie um Liebesbeziehungen. Die Geschichte um Shylock ist vornehmlich dramaturgisches Transportmittel. Aber der heutige Homo politicus kann nach Holocaust und Auschwitz nicht mehr umhin, sofort in Kategorien wie Antisemitismus zu denken, sobald das Wort Jude fällt. Der Umgang mit diesem Thema, und das spricht die Inszenierung durchaus auch an, ist nicht objektiv, sondern hysterisch, und dieser hysterische Umgang wird langsam und scheinbar unaufhaltsam auf andere Religionen und Weltanschauungen übertragen.

Es ist nicht leicht, Nicolas Stemanns Inszenierung mit dem üblichen Instrumentarium zu besprechen, dann es gibt sowohl ästhetisch wie auch inhaltlich kaum Verbindliches. Die „offene Form“ bedeutete erst einmal, dass Schauspieler Rollen kaum gestalteten und damit nur sehr bedingt erlebbare Figuren schufen. Die Texte wurden von allen gesprochen, ungeachtet des Geschlechts. Jeder konnte jeder sein. Dadurch entstand auch kein dramatisches Beziehungsgeflecht, das Empathie oder Antipathie beim Betrachter auslöste. Es ist schon sehr empfehlenswert, das Stück in den Grundzügen zu kennen, denn die Inszenierung kann schon einige Verwirrungen erzeugen. Der Handlungsfaden durchzog den Abend durchaus, allein, es hatte den Anschein, als ob Nicolas Stehmann ihn an bestimmten Stellen, die ihm für seinen Disput angemessen erschienen, mehr oder weniger gewaltsam kappte. Wenn sich der durchtrennte Handlungsfaden auseinanderdröselte, ging es in die Breite. Als Shylock seinen berühmten Monolog begann: „Ich bin eine Jude. Hat nicht ein Jude Augen?...“, wurde unvermittelt eine andere Stimme laut: “Ich bin Roma. …“. Und noch eine: „Ich bin schwul. …“ Eine weitere: „Ich bin Frau. …“ Schließlich beendete Thomas Schmauser den Irrsinn mit: „Ich bin eine Mann und heterosexuell.“ Das hatte neben einigem Unterhaltungswert durchaus auch Erhellendes. Zumindest verhinderte es das übliche Pathos, mit dem gern auf die Drüsen gedrückt wird. Aufgesetzter indes erschien die Szene, in der das Stück zur Komödie erklärt wurde. Nils Borman verteilte bei den auf der Bühne befindlichen Akteuren Charlie Hebdo – Zeitungen, auf denen die Mohamed-Karikaturen zu sehen waren. Mit vorgehaltener Waffe, gestreckter Daumen und Zeigefinger, wurde zum Lachen aufgefordert. Wer nicht lachte, wurde bedroht, wer lachte, erschossen.

Es wurde lax und ungezwungen gespielt, was den Abend leichtfüßig aber auch unverbindlich gestaltete. Rollengestaltung war, wie gesagt,  nicht wirklich gefordert und so verließ sich jeder Schauspieler auf seine natürlichen Stärken. Es ist höchst fraglich, ob diese Einstellung zur Aufgabe des Schauspielers einen künstlerischen Fortschritt bedeutet oder ob es doch nur eine temporäre Attitüde ist. Besonders Thomas Schmauser konnte seine Kapriziosität im Ausdruck, die auch schon mal in wirklich sehenswerter Gespreiztheit gipfelte, ausleben. Unterhaltsam und ansprechend waren zudem die Gesangseinlagen von Jelena Kuljić, in denen mit jazzige Stimme und musikalischer Begleitung (Musiker Thomas Kürstner/Sebastian Vogel) shakespearesche Texte mit gesteigerter Eindringlichkeit wiederholt wurden.

Katrin Nottrodts Bühnenbild begann bereits an der Rampe. Die Portale links und rechts waren mit silberner Folie abgehängt, auf denen blutrote Streifen waren. Dieses Bild wurde in der Gerichtsszene durch einen silbernen Vorhang gedoppelt, der vom Bühnenboden in den Bühnenhimmel hochgezogen wurde, wobei die leblosen, messerbewehrten Akteure in den Vordergrund rollten. Es waren die Farben von blankem Stahl und Blut. Auf bis zu sieben Monitoren wurden schrille Travestieszenen, (Video Claudia Lehmann), Standbilder, Filmsequenzen („Jud Süß“, Michael Redfords „Kaufmann“-Verfilmung mit Al Pacino) oder auch Texte eingespielt. Bunt und zappelig ging es zu. Hassan Akkouch brachte überdies bemerkenswert akrobatisches Tanztheater ein, in dem er die Zwiespälte Jessicas, der abtrünnigen Tochter Shylocks, körperlichen Ausdruck verlieh. Am Ende gab es dann doch noch ein Hauch Komödie, als die beiden Frauen Portia (Julia Riedler) und Nerissa (Jelena Kuljić) die Ringe, Pfänder der Liebe, von ihren Männern Bassanio (Thomas Schmauser) und Graziano (Niels Bormann) einforderten, die diese an ihre Ehefrauen, nicht wissend, dass sie es sind, zurückgegeben hatten.

So wie die Formen, nämlich offen, war auch der Gesamteindruck: Offen. Es gab Momente, in denen ungewöhnliche Wendungen von ausgetretenen Denkpfaden wegführten. Es taten sich Fragen auf, die aus heutiger Sicht und unter Gebrauch von Shakespeares Text legitim und gut waren. Allerdings wurden keine wirklichen Antworten gegeben, allenfalls vage Andeutungen. So blieb ein schaler Nachgeschmack beim Betrachter, zumindest bei dem, der das Stück hinreichend kannte. Werkstatt ist gut, wenn denn am Ende ein Vehikel steht, das etwas Substanzielles transportiert. Das ist mit dieser Inszenierung nur mäßig gelungen. Es fand mehr Demontage als Montage statt.

 

Wolf Banitzki

 


Der Kaufmann von Venedig   

von William Shakespeare

Hassan Akkouch, Niels Bormann, Walter Hess, Jelena Kuljić, Julia Riedler, Thomas Schmauser

Regie: Nicolas Stemann

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