Kammerspiele Ruf der Wildnis nach Jack London


 

 

Whow? … wau wau

Beifälliges Geraune aus dem Publikum erfüllte die Kammerspiele, nachdem der Vorhang sich gehoben hatte. Sechs Hunde zogen die Aufmerksamkeit der Menschen an sich. Diese lagen auf sechs Sofas, welche einen Halbkreis auf der schrägen Bühnenfläche bildeten. Handgeknüpfte Teppiche in bunten Mustern, bekannte Attribute des Bürgertums bedeckten den Boden. Die Atmosphäre von Wohnstuben verbreitete sich unvermittelt und nachhaltig.

Der Amerikaner Jack London, Hafenarbeiter, Goldsucher und bekannter Autor schrieb im Jahre 1903 den Roman Ruf der Wildnis, sein wohl bekanntestes Buch. Der Hund Buck, Held der Geschichte, führt ein geruhsames und wohlbehütetes Leben auf einer Farm in Kalifornien. Als in Alaska das Goldfieber ausbricht, wird er entführt und heimlich verkauft, da es an Schlittenhunden mangelt. Buck besteht viele Abenteuer, entwickelt Kraft und Durchsetzungsvermögen im Rudel, gerät an seine Grenzen, bis er einen neuen und gerechten Herrn findet. In der Wildnis verwandelt er sich mehr und mehr vom Haushund zum Wolf, bis er schließlich wieder gänzlich in die Natur zurückfällt. Jack Londons Einfühlungsvermögen schuf einen hervorragenden Roman, erzählt aus der Perspektive des Tieres.

Kamen bei Jack London dem Hund Buck menschliche Züge zu, so verkehrte Alvis Hermanis den Vorgang und ließ die Menschen Tierisches hervorkehren. Sinnfällig? Vielleicht. Allein die übertriebene Offensichtlichkeit mit der dies geschah wirkte abstoßend, besonders auf Menschen, denen ein Hund nicht Lebenspartner ist und der sein, im Programmheft angesprochenes nächtliches „wölfisches Ich“ humanistisch kultiviert durch die Tage und Nächte trägt. Die Darsteller, in nachahmend hochgespielt hündischer Manier, beschnüffelten aneinander, schnüffelten über die Bühne, wälzten sich auf den Sofas, zerrissen diese und legten einander Hundeleinen an. Kunstakt oder Zirkusnummer?

Die Akteure gaben sechs einsame und einem Hund verbundene Menschen, welche abwechselnd in willkürlicher Reihenfolge Teile ihrer Lebensgeschichte vortrugen, auf die neben ihnen auf dem Sofa liegenden Hunde Bezug nahmen, diese streichelten und selbst für einige Szenen in die Rolle des Hundes Buck schlüpften. Sie zerpflückten die Sofakissen zu „schaumigem“ Schnee und liefen aufgeregt hin und her, gruben mit den Vorderpfoten nach Gold, streuten es um sich. Der Bezug auf Londons Roman und den Titel des Abends blieb auf wenige Passagen, auf Andeutungen beschränkt.

„… Vielleicht können wir als moderne, zivilisierte Menschen manche Gefühle nur nachempfinden, wenn wir uns in Tiere hinein versetzen. … Dieser ursprüngliche, kreatürliche Zustand ist etwas, was mich interessiert.“, so Alvis Hermanis. Wenn Schauspieler mit ihrer Persönlichkeit mit den Figuren verschmelzen, so wie der Regisseur es bei seiner Inszenierung erkannte und für das Programmheft äußerte, dann hat der Begriff Theater im klassisch ursprünglichen Sinn seine Auflösung erfahren. Die Extraktion des Instinktes oder die Welt im Wohnzimmer - war es das Anliegen des Regisseurs dies zu vermitteln? Doch ohne das geringste Angebot von Antworten, Lösungen zu neuer Erfahrung oder zumindest Ansätze dazu, blieben die vorgetragenen Geschichten der Menschen oberflächlich, gehaltlos. Jede der Erzählungen bot hinlänglich Bekanntes. Ist es künstlerisch und intellektuell ausreichend, einen Vergleich zwischen Mensch und Hund, Hund und Mensch durch Verbildlichung anzustellen? Wenn ja, so wären die geistigen Ansprüche der Zuschauer ebenfalls auf tierisches Niveau gesunken. Das weigere ich mich anzunehmen.

 
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Thomas Schmauser, Kristof van Boven, Walter Hess, Katharina Marie Schubert, Benny Claessens, Annette Paulmann

© Andreas Pohlmann

 

Die Suche nach dem „ultimativen Kick“ ist es, die die Menschen außergewöhnliche Leistungen vollführen lassen und sie doch nur wiederum auf ihre tierische Natur zurückwirft. Diese Ekstase bildet den Höhepunkt des Lebens (so der Text), „über die hinaus das Leben sich nicht mehr steigern kann. Und es ist das Paradox des Lebens, dass diese Ekstase einsetzt, wenn man am Lebendigsten ist. Sie lässt einen zugleich vergessen, dass man am Leben ist: …“ Um zwei Sätze so viel plakativ tierisch gestaltete Aktion?


Wie wäre die Vorstellung verlaufen, wenn der Regisseur stellvertretend mit Requisiten statt mit lebenden Hunden gearbeitet hätte, wenn nicht so offensichtliche Manipulation des Emotionalen stattgefunden hätte? Das Publikum reagierte gespalten, begeisterter Applaus war ebenso zu vernehmen wie lautstarke Buuhh-Rufe. Alvis Hermanis, Konrad-Wolf-Preisträger der Akademie der Künste, sonnte sich in beidem.

Am Ende standen die Sofas zerfetzt und demoliert, hochkant und umgekippt wie zu einem Müllberg zusammen. Dazwischen schnupperten und bewegten sich Schwanz wedelnd die Hunde auf der Bühne. (Textzitat) „Hört auf den Namen Buck. … Also Buck heißt du, alter Knabe. Wir haben unseren kleinen Auftritt gehabt, und das Beste, was wir tun können, ist, es dabei zu belassen. Verstanden?“. Vergleichsweise kurz ist auch die Zeit der Spezies Mensch auf Erden.


C.M.Meier

 

 


Ruf der Wildnis

nach dem Roman von Jack London

Benny Claessens, Walter Hess,  Annette Paulmann, Thomas Schmauser, Katharina Marie Schubert, Kristof van Boven

Regie: Alvis Hermanis
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