Halle 7 Ressource Liebe von Robert Woelfl


 

 

Kafka das Fürchten lehren

Als man Josef K. den "Prozess" machte, leistete dieser noch Widerstand. Er war nicht bereit, sich einer institutionellen Diktatur zu beugen, wenngleich er sich am Ende einer gesichtslosen Allmacht gegenüber sah. Was Kafka zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauf dämmern sah, ist heute längst akzeptierte Realität geworden. Moderne Unternehmen und Konzerne sind zu kafkaesken "Schlössern" mutiert, die nicht selten von gesichtslosen, moralisch degenerierten Wesen bewohnt werden und die massenhaft Individualitäten zerstören. Diese Individuen, leistungsbereite, von Sehnsüchten nach Selbsterfüllung beseelte Menschen unterscheiden sich heute allerdings deutlich von Josef K., der bis zuletzt aufbegehrte und nach einem Sinn suchte. Der heutige Mensch zieht es in seiner Selbst- und Realitätsentfremdung vor, das, was ihn zerstört, zu lieben. Notwendiger Weise, denn sonst riskiert er eine Stigmatisierung, die ihm eine Rückkehr ins System unmöglich macht.

Was Robert Woelfl aufs Papier und Claus Peter Seifert auf die Bühne des Theaters Halle 7 in der darkBox (Kultfabrik) brachte, würde Franz Kafka, einen Dichter mit großer Weitsicht, das Fürchten lehren. Mit "Ressource Liebe" sind Woelfl und Seifert der galoppierenden Realität verdammt dicht auf den Fersen.

Fünf Kolleginnen und Kollegen betreiben Standortbestimmung im eignen Leben und, was beinahe identisch ist, in der Firma. Line wollte eigentlich kündigen, denn, und alle stimmen ihr zu, die Firma beutet sie aus. Doch dann zieht man in ein neues Firmengebäude, in das sich Line Knall auf Fall verliebt. Nun bangt sie um ihren Job und unterscheidet sich in nichts von ihren Mitstreitern. Ihr Bekenntnis wird zum Auslöser und jeder bemüht sich seine Haltung und sein Verhältnis zur Firma und somit zum eigenen Leben zu definieren. Woelfls Mono- und Dialoge zielen nicht auf das Übliche, das sich mit diesem Thema inzwischen geradezu automatisch verbindet, wie Mobbing, Denunziation, Hackordnung, Neid und panische Angst. Obgleich Regisseur Seifert diese Dinge unterschwellig benennt und spielen lässt, bleibt der Betrachter auf einer philosophisch-existenziellen Ebene. Dieser Vorzug ist nicht hoch genug zu werten, denn dadurch erfährt der Betrachter Einblicke in die Wesenhaftigkeit dieses Systems und wird nicht wie üblich mit den Symptomen aufgeregt und abgespeist.

In Zeiten von plattem Antikommunismus und wahnhafter Angst vor allem, was von Links kommt, ist es schon mutig zu nennen, im Programmheft Karl Marx zu zitieren. Es geht ums Geld, die alles beherrschende und regulierende (oder besser deregulierende) Macht in der heutigen Realität. "Da das Geld als der existierende und sich betätigende Begriff des Wertes aller Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechselung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten."
 
   
 

Alexandra Höckenschnieder, Matthias Horbelt, Sven Schöcker, Petra-Lina Schulz, Sarah Gros

© Hilda Lobinger

 

 

Was gibt es authentischeres, wahrhaftigeres und menschlicheres als ein Gefühl? Was aber, wenn Gefühl kontraproduktiv ist? Was, wenn Gefühl langsam ausgeblendet wird aus der Realität? Dann muss die Lüge herhalten: "Diese Lügen bewirken, dass man mich für authentisch hält." Die Lüge und der mit ihr unweigerlich einhergehende endgültige Realitätsverlust ist Daseinsform geworden. Wie das konkret ausschaut, demonstrieren die fünf Darsteller aus unterschiedlichen Perspektiven heraus. Dabei kann sich der Betrachter nicht mehr auf tradiertes Verständnis von den Erscheinungen verlassen. Immerhin könnte die Liebe auch nur Depression sein. Eine Beziehung kann nicht gelebt werden, weil das Leben schon Ausschluss von Beziehung bedeuten kann und, und, und.

Am Ende ist klar, dass das heutige Wertesystem nur noch aus Variablen besteht, ganz der momentanen Ideologie verpflicht und pragmatisches veränderbar. Willkommen in einer Welt ohne Fundamente! Es verwundert nicht, dass Line als erste auf der Strecke bleibt, denn für die Betroffenen kommt ohnehin alles anders, als sie es sich vorstellen können. Sie sind nur noch Spielball, Marionetten, deren Fäden in nebulöser Höhe verschwinden. Es war spannend anzuschauen, was sich ebenerdig abspielte. Bühnenbildnerin Elena Kleist hatte gar nicht erst versucht, spektakuläre Architektur anzudeuten. Ihr Entwurf war eher der Gegenentwurf. Im sonst kahlen Rum gab es kleine Inseln aus trockenem Heu oder Flechten. Restleben, widerstandfähig und darum hoffnungsvoll, versteckte sich in Ecken und an Wänden.

Sarah Gros vermochte ihrer Line noch ein scheinbar gesundes Selbstbewusstsein zu verleihen. Selbst als ihr Verliebtsein in das Gebäude in die Sehnsucht umschlug, mit diesem Sex haben zu wollen, schienen die Dinge sich noch in menschlichen Kategorien zu bewegen. Das rief allerdings Eva auf den Plan. Sie verbat sich derartiges. Ihr wäre es unangenehm, in einem Gebäude arbeiten zu müssen, mit dem jemand Sex hat. Petra-Lina Schulze gab eine verstörte dünnhäutige Zeitgenossin, die Sex als Bedrohung empfand, ihn einem Raubüberfall allerdings vorzog. Ob Maren an Sex dachte, wenn sie von ihrer (haus-) "internen Beziehung" sprach, war scheinbar völlig nebensächlich. Alexandra Höckenschnieder entfaltete ein sehr weibliches, aber doch nur platonisches Liebesleben am Handy. Regisseur Seifert deutete immerhin an, dass sie ebenso der obligatorische Spitzel "für den Kreis der Führungspersönlichkeiten" sein könnte. Sven Schöcker war als Daniel ein augenscheinlich unzuverlässiger Kandidat. Immer wieder überfielen ihn hysterische Zweifel an seiner (Firmen-) Tauglichkeit. Und die Kollegen? Sie standen ihm bei in seiner Selbstzerfleischung. Man tat, was man konnte. Tom war eigentlich der, bei dem man sich wunderte, dass er noch im Rennen war. Matthias Horbelt gestaltete ihn als einen etwas tumben, wegen der eigenen Ambitionslosigkeit in Bezug auf die Arbeit (nicht in Bezug auf den Aufstieg) stupid wirkenden Mitmenschen, der schon mal auf die Gliedmaßen niedersank und animalische Kraft in einer Primatenhaltung schöpfte. Man hätte ernsthaft keinen Fünfer auf ihn gewettet. Aber alles kam anders und der Sinn bestand darin, dass es keinen verständlichen Sinn machte. Um das Risiko zu minimieren, blieb nur noch die hingebungsvolle und uneingeschränkte Liebe zum System. Wehe dem, bei dem sich Symptome zeigten …

Das erinnert doch sehr an Orwells "1984". Dort wurden die Opponenten auch erst dann liquidiert, wenn sie sich glaubhaft und uneingeschränkt liebend zum System bekannten. Wahrheiten schockieren immer, wenn sie Voraussagen sind. Sind sie eingetreten, hat man sich schon daran gewöhnt.

Wieder einmal bescherte das Theater Halle 7 München ein Bühnenereignis, das aufklärend wirkte und künstlerisch wirkungsvoll und unterhaltend zugleich war. Ein gelungener Auftakt für die Sommersaison.



Wolf Banitzki

 

 


Ressource Liebe

von Robert Woelfl

Sarah Gros, Alexandra Höckenschnieder, Matthias Horbelt, Sven Schöcker, Petra-Lina Schulze

Regie: Claus Peter Seifert

Halle 7 Jack und Jill unplugged von Jane Martin


 

 

Es ist ... sagt die Liebe

"Eine bittersüße Komödie um den ganz normalen Beziehungswahnsinn." , so heißt es in der Ankündigung zu "Jack und Jill unplugged" von Jane Martin auf der Studiobühne der Halle 7.

Der Autorenname Jane Martin ("America's best known, unknown playwrihgt") bleibt ohne Figur, ohne Hintergrund, und der ist in diesem Fall auch nicht von Belang, da eine Fülle von Ratgebern für den Text Pate gestanden haben könnten. Die Buchhandlungen sind voll dieser Ratgeber für Psychologie, Selbstverwirklichung und Beziehungen. Wenn alle diese Weisheiten in den Beziehungen nachvollzogen werden, so verwundert es keineswegs, dass die Zahl der Singles im Steigen begriffen ist. Geht es doch darum, die perfekte Beziehung zu finden, zu leben. Und wer will schon zurückstecken oder gar nachgeben? Frau jedenfalls erstmal nicht.

Jack und Jill spielen sie durch, die verschiedenen Variationen von verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, verliebt ... In einer Bibliothek nimmt die Geschichte zwischen den Beiden ihren Anfang. Mann möchte und Frau doch eigentlich nicht, da sie erst schlechte Erfahrungen gemacht hat. Jack gelingt es, Jill zu überreden mit ihm Kaffee zu trinken und abends, da es von allen Seiten klemmt, hilft ein kleiner Joint den Gefühlen aus ihren Verstecken. Es muss wohl die Liebe sein, die sie danach verbindet, vor den Traualtar führt, den Wohnort wechseln lässt und ihre Karrieren ebenso sowie das Scheitern voran bringt.
 
   
 

Wolfgang Mondon, Daniela Voss

 

 

Regisseur Claus-Peter Seifert, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnete, inszenierte unspektakulär doch dafür wohl durchdacht. Das Podium in der Mitte des Raumes bespielten die Liebenden. Die Garderoben, rechts und links im Hintergrund, dienten der Verwandlung und dem Szenenwechsel und an der Rampe bildete das Publikum gleichsam den Spiegel für die Protagonisten. Sie traten davor, sprachen das Publikum und doch nur ihr eigenes Spiegelbild an. So wurde das Beziehungsspiel verdeutlicht, der Wechsel zwischen Wir, Du und Ich vollzogen. Daniela Voss gab, ein wenig zu unkaprizös, eine moderne junge Frau, die sich gerne als schwierig bezeichnen ließ. In ihrer Darstellung wechselten Dynamik und Selbstbewusstsein einander glaubhaft mit Unsicherheit und Verzweiflung ab. Ihr Gegenpart, Wolfgang Mondon, erfüllte sensibel die Rolle des netten verbindlichen Mannes, der nicht nur um das eigene Selbstverständnis rang, sondern bei dem auch die Beziehung Gewicht hatte.

Eine Komdie, heißt es in der Ankündigung und das Publikum quittierte die Szenen und nur allzu bekannten allgemeinen Aussagen mit erkennendem Lachen. Die Liebhaber psychologischer Betrachtungsweise kamen hier durchaus auf ihre Kosten.

 
C.M.Meier

 

 


Jack und Jill unplugged

von Jane Martin

Daniela Voss, Wolfgang Mondon

Regie: Claus-Peter Seifert

Halle 7 Nicht in den Mund von Simona Sabato


 

 

Familienaufstellung

Erster Auftritt der WhiteBOX als neuer Spielort des Theaters Halle 7. Leider präsentiert sie sich als brav abgehängter und - welch Überraschung - ganz in weiß gehaltener Guckkasten (Bühne: Holger Weißgerber) und damit unter ihren Möglichkeiten. Bedenkt man das Potential der weitläufigen, mehrgeschossigen Räumlichkeiten auf dem Kultfabrik-Gelände, macht sich leise Enttäuschung breit.

Ercan Karacayli, ehemaliger Film- und Fernsehschauspieler und bereits im vergangenen Jahr als Regisseur beim Festival für Neue Dramatik dabei, inszeniert Simona Sabatos preisgekröntes Stück "Nicht in den Mund". Die Entscheidung für das Werk über die Tücken des Tagesmutter-Daseins ist angesichts aktueller Endlos-Diskussionen über mangelnde Krippenplätze und die unzureichende Betreuungssituation von Kleinkindern begrüßenswert.

Der Abend beginnt mit von Angelika Plötz live eingespielter Klaviermusik, die den weiteren Spielverlauf in Stummfilm-Manier strukturiert und kommentiert. Einem etwas sinnfreien Prolog mit ballklauender Großmutter (sie wird als mehr oder weniger "running"-gag noch mehrmals auftauchen) folgt ein erster Blick auf Hanne (bemerkenswert: Nina Rahlff), Irene und deren Sohn Adam. Erst am Ende der Vorstellung wird man die Tragweite dessen, was diese drei Figuren verbindet, verstehen.

Es folgt der Aufmarsch der sieben Protagonistinnen: Hanne, Gabi, Kubi, Cornelia, Karin, Rose und Rita. Gemeinsam ist ihnen der Job als professionelle Tagesmutter, man trifft sich auf dem Spielplatz. Dort ist nicht nur die Sitzordnung strengstens reglementiert. Karacayli zeigt die Frauen zunächst als Gefangene eines festgefahrenen Alltags. Die im wahrsten Sinne des Wortes bunt zusammengewürfelte Truppe (Kostüme: Bianca Schmid-Hedwig) sitzt auf einer Mauer und unternimmt in wechselndem Turnus musikalisch untermalte Gänge an die Rampe (vermutlich der etwas unglückliche Versuch, die Kommunikation mit den nur als gedämpfter Soundteppich anwesenden Kindern darzustellen). Zwischen lautstark geäußerten Ge- oder Verboten für Klein-Torben, Stine, Luis und Guido wird lapidar und in Kurzform das eigene Elend besprochen. Ob Krebsverdacht, Unfruchtbarkeit, der dröge, dauergrillende Ehemann oder fünf Jahre Arbeitslosigkeit, existentielle Ängste werden mit der gleichen Beiläufigkeit geäußert wie Banalitäten.

Doch dann bringt ein tragischer Unfall - Hannes Schützling Adam ertrinkt in einem unbeobachteten Moment - das Kartenhaus der berufsbedingten Solidarität zum Einsturz. Von Selbstvorwürfen und Gabis (giftig: Ariane Erdelt) Anschuldigungen gequält flieht Hanne in den Supermarkt zu Lover Supermark (Martin Skoda bleibt als mit Samtstimme grüne Bohnen anpreisender Kittelträger mit einem Faible für Blow-Jobs am Arbeitsplatz eher blass). Trost findet sie nicht. Das den Abend beschließende Gespräch mit Irene - geführt mit aufgeschnittenen Pulsadern - wird ihr letztes sein. Die darin angedeuteten Tatsachen lassen die Tragik der Situation umso schwerwiegender hervortreten: Irene verliert an diesem Tag ihren Sohn und ihre Geliebte. Starker Tobak in einer Inszenierung, die leider erst in den letzten ruhigen Minuten die ihr zu wünschende Intensität erreicht.

 
Tina Meß

 

 


Nicht in den Mund

von Simona Sabato

Nina Rahlff, Arlette Wahlen, Martin Skoda, Ariane Erdelt, Bettina Hamel, Ulrike Gronow, Ina Meling, Julia Jaschke, Christine Maaß, Till Hamel, Patrick Hellenbrand, Anton Koelbl

Regie: Ercan Karacayli

Halle 7 MinenSpiel von Wolfgang Sréter


 

 

Kurzsichtig betrachtet

Es herrscht Krieg im Land und das kleine Dorf mit Aussicht auf das Meer ist ein Trümmerhaufen. Schutt türmte sich auf der Bühne der White Box zu Wolfgang Sréters "MinenSpiel". Ein Mann haust zwischen den Steinbergen und teilt die wenige Nahrung mit einem Jungen. Erst heimlich, doch als der Junge sich verletzt, wohl an einer Mine, wie der vehementen Klangkulisse zu entnehmen war, beginnt der alte Mann ihn zu pflegen und versorgen. Zu Beginn widerwillig nimmt der Junge an. Adam Markiewicz gab diesen von Schrecken geprägten und kindlich das Spiel des Krieges nach vollziehenden Jungen durchaus überzeugend. Schwankend zwischen Trotz und der Sehnsucht nach menschlicher Nähe war er vielschichtig und doch immer als das Kind auszumachen. Der Alte trägt die Lasten, die da heißen, Menschlichkeit, Heimat und persönliches Lebensidyll. Michael Sattlers Darstellung war zurückhaltend, fürsorglich und doch war sein Mann nicht weniger verloren als der Junge. Als ein Soldat durch das Dorf streift spitzen sich die Emotionen zu. Der Soldat sucht sich freizukaufen und bietet dem Mann den Kaufvertrag für ein Haus am Meer. Der Mann hatte sich aus einer fremden Großstadt in die Heimat aufgemacht um ein solches Idyll zu erwerben. Er wollte seinen Lebensabend am Meer verbringen, doch hatte er die Heimat in Schutt und Asche vorgefunden und die Rückreise verhinderten Soldaten. Krieg.

Regisseur Claus Peter Seifert schuf in dieser sehenswerten Inszenierung berührende doch nie überzogene Bilder und setzte stark auf Körpersprache und Mimik. Den Schrecken des Krieges ließ er per Gitarre (Manuel Renken) akustisch wahrnehmbar machen und das traf bisweilen auch schmerzhaft das Publikum. Krieg. Katrin Gerheuser zeichnete für eine stimmige und die Vorgänge verdeutlichende Bühne und Ausstattung verantwortlich.

   
 

Michael Sattler, Adam Markiewicz

 

Das Stück "MinenSpiel" geht aber zu keinem Zeitpunkt über die ohnehin hinlänglich bekannten Klischees von Krieg, Kinder und Soldaten hinaus. Die Geschichte wirkt wie ein lockerer Faden, der die einzelnen Szenen, Klischeebilder zusammen hält. Auch an Pathos wird im Text nicht gespart: "Der Tod ist groß, wir sind die Seinen."


Jürgen Flügge (Juror - Jugend-Dramatiker-Preis 2006) nennt das "Großes Theater auf kleinstem Raum" und kommentierte wie folgt: "Das Stück von Wolfgang Sréter beschreibt eine Wirklichkeit, die häufig verdrängt wird. Die Kriege im 21. Jahrhundert sind auch die Kriege, in denen Kinder zu Soldaten gemacht werden und in denen Kinder gleichzeitig die Opfer der Auseinandersetzungen sind. Jedes Kind bei uns kennt inzwischen die Bilder dieser Kriege aus den Medien. .... welche die aktuelle Lage von Kindern in unserem von Kriegen geplagten Jahrhundert sehr verständnisreich reflektiert ..." Nun, es ist naiv zu glauben, dass Kinder nie in die Kriege involviert gewesen waren, die in den letzten Jahrtausenden auf der Erde stattfanden, dass sie nie als Söldner verkauft oder als Kanonenfutter vorgeschoben worden waren. ... der werfe den ersten Stein.

Ist es nicht so, dass wir das alles ohnehin schon wissen? Ist es nicht so, dass wir das alles, nach dem Moment der Wahrnehmung auch gleich wieder vergessen? Immerhin, es ist eine verständnisvoll erzählte Geschichte, die das Wissen zusammen fasst. Doch zu welchem Ende? Das Publikum applaudierte artig, verließ seine Plätze und ...



C.M.Meier

 

 


MinenSpiel

von Wolfgang Sréter

Michael Sattler, Adam Markiewicz, Manuel Renken

Regie: Claus Peter Seifert

Halle 7 Liebe ist nur eine Möglichkeit von Christoph Nußbaumeder


 

 
Man(n) spricht Deutsch

Eine Dorfkneipe irgendwo in Deutschland. Die Theke bevölkert von den üblichen Verdächtigen. Wirt Günther (Leonid Semenov) - oder besser gesagt Gattin Eva - bewirtet seine Kumpane, es fließen reichlich Bier und Selbstgebrannter. Noch ist die Welt von Werner, Bernhard und Holgi in Ordnung in Markus Schlappigs Inszenierung von Christoph Nussbaumeders "Liebe ist nur eine Möglichkeit". Man ahnt, dass sich dies, wie es sich für ein kritisches Volksstück gehört, bald ändern wird.

Katrin Gerheuser ( Bühne und Kostüme) verwandelt die darkBOX mit Hilfe von Teppichfliesen, beiger Tapete und diversen, teils abenteuerlich aufgetürmten Couchgarnituren in einen Spielplatz für die tumbe Dorfgemeinschaft. Im Laufe des Abends wird diese mit vereinten Kräften den beiden Außenseitern den Garaus machen, die es wagen, ihr Glück abseits der ihnen zugeschriebenen Rollen zu suchen. Bernhard (Jens Wassermann gelingt der Wandel vom naiven Gutmenschen zum frustrierten Affektmörder nicht ganz) und Graziella (Alexa Wilzek zunächst dauerlächelnd, gegen Ende desillusioniert) erwartet kein Happy End, auch wenn es zunächst so aussieht.

Sie beide sind Randfiguren einer Gesellschaft, die ihre eigenen Regeln hat. Bernhard wird geduldet, so lange er sich von seinen Freunden und dem herrisch-rechtslastigen Bruder Gerd (Martin Herse) bevormunden lässt, Graziella von Anfang an für ihr Eindringen in den Mikrokosmos Dorf geächtet. Die plüschige Sofa-Trutzburg im hinteren Teil der Bühne gewährt nur kurz Schutz für den (noch nicht enttarnten) Analphabeten und seine mangels williger weiblicher Alternativen aus dem Katalog erworbene Liebste.

Er "Tatort", sie dishes
Auch wenn es mit der Verständigung zunächst nur bedingt klappt - Bernhard referiert auf Deutsch über die ideale Abspül-Temperatur, Graziella klärt mit englischen Phrasen über die patriarchalischen Strukturen ihrer Heimat auf - kommt man sich schnell näher (obgleich die im Programm verkündete tiefe Liebe der beiden auf der Bühne zuweilen etwas blass wirkt). Die Hochzeit folgt auf dem Fuß.

Das Glück der frischgebackenen Eheleute ist jedoch nur von kurzer Dauer. Der kollektive Unmut der Dorfgemeinschaft ist Auslöser für einen Strudel aus Lügen, Gewalt und (moralischer) Erpressung, aus dem es kein Entkommen gibt. Kommunikation wird zur Unmöglichkeit, obwohl Graziella in der zweiten Vorstellungshälfte Deutsch spricht. Gatte Bernhard plagen angesichts ihrer zaghaften Emanzipationsversuche (Arbeit als Putzfrau!) Verlustängste denen er, von Vater und Kumpels bestätigt, mit Alkohol und Aggression begegnet: "Frauen müssen ab und zu schlecht behandelt werden".

Sympathiepunkte sammeln sie nicht an diesem Abend, die markigen Männer. Schlappigs Frauenfiguren sind jedoch keinen Deut besser. Weit entfernt von der Opferrolle (Graziella einmal abgesehen) tragen sie ihr Gutteil zur miefig-angespannten Atmosphäre bei. Dreck am Stecken haben sie alle: Macho Günther, Stammtisch-Nazi Gerd, der schwule Holgi (!), der sich nicht zu outen wagt, die blonde Dumpfbacke Susi (Susanne Muhr), die Ex-Freund Werner ein Neugeborenes unterjubelt, das nicht nur schwarze Haare hat... Nussbaumeder greift tief in die Klischeekiste. Tragisch nur, dass er damit der Realität häufig näher kommt, als einem lieb ist. Etwas mehr Biss hätte Schlappigs Inszenierung angesichts dieses alltäglichen Wahnsinns durchaus nicht geschadet.

Das Ende ein (Liebes-)Drama: Holgi denunziert Bernhard als Analphabeten und bezahlt mit dem Leben dafür, dass er seiner homoerotischen Leidenschaft letztendlich freien Lauf lässt. Von Graziella bleiben nur eine Abschiedsnotiz, die ihr Mann nicht lesen kann und eine Stimme aus dem Off.
Stadtleben hat offensichtlich seine Vorteile. Applaus.

 
Tina Meß

 

 


Liebe ist nur eine Möglichkeit

von Christoph Nußbaumeder

Jens Wassermann, Alexa Wilzek, Martin Herse, Karen Heim, David Scholz, Leonid Semenov, Elda Sorra, Robert Sachsenhauser, Wolf E. Rahlfs, Susanne Muhr, Franziska Piesche

Regie: Markus Schlappig
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