Marstall Dreck von Robert Schneider


 

 

Wider den tumben Ausländerhass

Sad ist dreißig Jahre alt und illegal aus dem irakischen Basra nach Deutschland eingewandert. Er studierte daheim Philosophie und Germanistik. In die deutsche Sprache verliebte es sich wegen des Wortes „Leica“. Er hat auch einige Bilder dabei, die mit eben so einer Kamera gemacht wurden. Er selbst ist Dreck, wie auch seine Landsleute und die vielen anderen Einwanderer. Seine Kultur ist eine minderwertige. Er frisst zu viele Zwiebeln, putzt sich die Zähne nicht und stinkt naturgemäß aus dem Mund. Seine dunklen Augen, seine Haut, sein Haar sind verabscheuungswürdig. Verrat ist in den Arabern genetisch verwurzelt, also Vorsicht! Alles das erzählt er dem Publikum im Brustton tiefster Überzeugung, gleichsam Verzeihung heischend. Woher er alles das über sich weiß? Von den deutschen Parkbankmenschen, den Hinter-vorgehaltener-Hand-Tuschlern, den Menschen an den Stammtischen und inzwischen auch aus den literarischen Ausscheidungen honoriger deutscher Politiker. Ja, er versteht alle diese wunderbaren Menschen, die doch nur um ihr schönes Deutschland besorgt sind. Und darum rät er diesen guten deutschen Bürgern, Menschen wie ihn, Einwanderer, Fremdländische, Ausländer zu beschimpfen, ihnen Scherben und Messer ins unwerte, streng riechende Fleisch zu stoßen, ihnen mit Eisenstangen Schädel und Knochen zu zertrümmern. Ja, dieses Recht gesteht er den Deutschen zu, denn er versteht deren Liebe zu und deren Angst um Deutschland, liebt er es doch selbst hingebungsvoll. Er rechnet stets damit, angegriffen zu werden, wenn er abends seine Tour durch die mehr als fünfzig Kneipen macht, um seine Rosen zu erkaufen. Angst hat er nicht.

Angst und Bange wird allerdings dem Zuschauer, der erkennen muss, dass dieser Text, von Robert Schneider 1993 verfasst, keine bloße Provokation ist, sondern Realität. Eine künstlerische, ohne Frage, denn wer kann sich einen Araber vorstellen, der in seiner Selbstverleugnung so weit gehen würde. Allein, die substanziellen Aussagen bleiben deswegen unbestritten. Deutschland und ganz Europa sind bemüht, Burgenbaupolitik zu betreiben. My home is my castle! Das Boot ist voll!

Regisseurin Manuela Kücükdag hat diesen einstündigen Monolog mit Münchner Jugendlichen auf die Bühne des Marstalls gebracht. Ioanna Pantazopoulou gestaltete dafür eine Bühne, die an einen weißen Hintergrundscreen, wie man ihn aus Fotostudios kennt, erinnert, auf dem impressionistischen Landschaften und Himmel projiziert werden. Alles ist in Schwarz-Weiß gehalten. Weiße Koffer und schwarzgewandete Akteure, einheitlich blond, bevölkern die Bühne. Eine gute Lösung, wenn man deutlich machen möchte, wie sich schwarz-weißes Denken anfühlt.

Es war ein mutiger Schritt von Manuela Kücükdag, diesen harten, grausamen Text mit Laien auf die Bühne zu bringen. Das Ergebnis war mehr als verblüffend. Heraus kam eine sehr lebendige, einfallsreiche Umsetzung, die auch wegen der erstaunlichen Professionalität einiger Darsteller bestach. Regisseurin Kücükdag verwies vorsichtshalber darauf, dass es sich um spiellustige Jugendliche handelte und ließ sie vor Beginn des Stücks bei offener Bühne Stimm- und Lockerungsübungen machen. Dieser Vorgang läuft normalerweise in der Garderobe ab, wurde hier zu einem einleitenden, sinnfälligen Verweis. Durch einen Lichtwechsel (durchgängig einfallsreich und effektvoll von Gerrit Jurda eingerichtet) stieg man unvermittelt in das Spiel ein. Koffer waren in der ersten Szene Dreh- und Angelpunkt. Eine gelungener Prolog zum Thema, angesichts von Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht von Repression, Hunger und lebensunwürdigen Umständen sind. Dann begannen die acht Darsteller den Monolog Sads zu sprechen, zu spielen. Manuela Kücükdag hatte den Text intelligent aufgesplittet, so dass zu keiner Zeit Irritationen über den Vorgang aufkamen.
 
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© Thomas Dashuber

 

Die jungen Darsteller agierten mit großer Ernsthaftigkeit, Disziplin und Verve. Ihnen war deutlich anzumerken, dass sie hinter dem Projekt standen, dass ihnen das Spiel zur Herzensangelegenheit geworden war. Das ist vielleicht der wichtigste Grund dafür, dass ihnen eine so beeindruckende Leistung gelang. Das darstellerische Vermögen der einzelnen Akteure war naturgemäß unterschiedlich. Obgleich sich alle sehr engagiert einbrachten, stach einer besonders heraus. Magnus Bauers konzentriertes, vom Wort getragenes Spiel verriet echtes Talent. Seine psychische Präsenz war zwingend, insbesondere in Augenblicken der leisen Töne. Klara Pfeiffers Präsenz war ebenso effektvoll, obgleich vornehmlich physisch. Mit erstaunlicher Wucht agierte Dorothea Mildenberger, ähnlich dem scheinbar unter Hochspannung stehenden Loris Kubeng. Durch Lisa Reuters mädchenhafter Anmut wurde der Anachronismus von Wort und Geste Fleisch. Die ungenannten Darsteller komplettierten das Spiel auf frische und unverbrauchte Weise.

Das bewegungsreiche Spiel war von der Regie in jeder Situation sinnvoll durchchoreografiert.
Manuela Kücükdag bewies ihr Talent für eine schlüssige und ideenreiche Umsetzung dieser dramatischen Vorlage, wobei besonders honoriert werden muss, wie es ihr gelang, die jungen Darsteller zu führen. Es bleibt zu hoffen, dass sie, zur Zeit als Regieassistentin am Residenz Theater beschäftigt, bald die Gelegenheit zur einer noch größeren Herausforderung bekommt. Ihre künstlerische Auffassung und ihr ästhetischer Stil würde dem Spielplan des Residenz Theaters gut zu Gesicht stehen.

Man kann diese Inszenierung nicht genug loben, denn sie erreicht insbesondere das jugendliche Publikum, also die späteren Abonnenten. Sie baut Schwellenängste vor der hehren Einrichtung Theater ab und fördert eine Inbesitznahme des Mediums durch die Jugend. Es war ein mutiger Schritt von allen beteiligten Seiten wider den tumben Ausländerhass, der sich als überaus sinnvoll erwies.

 
Wolf Banitzki

 

 

 


Dreck

von Robert Schneider

mit den Jugendlichen Dorothea Mildenberger, Klara Pfeiffer, Lisa Reuter, Tamara Theisen, Magnus Bauer, Michel Kopmann, Loris Kubeng, Til Schindler

Regie: Manuela Kücükdag
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