Metropol Theater Manderlay von Lars v. Trier


 

 

Vom Scheitern der Philantrophie

Freiheit ist ein großes Wort. Freiheit ist aber auch eine große Sache. Und eigentlich gibt es sie gar nicht. Tatsächlich schenkte uns die Philosophie über Jahrtausende eine Vielzahl von Erklärungsversuchen, was Freiheit denn eigentlich sei. Einig sind sich die Denker dabei nur in einem Punkt: Es gibt die von der Realität abstrahierte Vorstellung von Freiheit und die reale Freiheit. Wobei es letztere, wie bereits gesagt, nicht gibt, was erstere so bedeutsam macht, denn dieser Vorstellung hechelt der Mensch hinterher, seit er angefangen hat zu denken. Dabei gelingt es ihm immer wieder recht erfolgreich, die Wahrwerdung des Ideals zu verhindern.

Grace hat gerade so etwas wie Freiheit wiedererlangt, denn in Dogville, einem kleinen Ort am Fuße der Rocky Mountains, war sie zuletzt an ein Wagenrad geschmiedet, Sklavin jedes Bewohners und Lustobjekt beinahe jedes männlichen Wesens im Ort. Dogville hat teuer bezahlt für diesen Frevel. Einer nahm sich die Freiheit, den Ort und seine Bewohner auszulöschen: Der Vater von Grace, ein Gangsterboss. ‚Du bist arrogant, weil deine Ideen vom Menschen nichts mit dem Menschen gemein haben’, hatte der Vater sinngemäß erwidert, als Grace ihm, dem kriminellen Diktator, Arroganz vorgeworfen hatte. Auf dem Weg zu neuen Claims für die kriminellen Machenschaften kommt der Gangesterboss mit seinem Tross nach Alabama. Auf Manderlay soll ein Sklave ausgepeitscht werden. Man schreibt das Jahr 1933 und die Sklaverei ist laut Gesetz seit siebzig Jahren abgeschafft. Grace entschließt sich, auf Manderlay zu bleiben und der Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen. Sie schafft Verträge, Gesetze ab, und versucht sie durch Motivationen zu ersetzen. Am Ende ist sie es, die den Sklaven Timothy, dem sie sich zuvor hingegeben hat, auspeitscht.
 
   
 

Josephine Kohler

© Hilda Lobinger

 

 

Lars von Trier hat auch mit diesem zweiten Teil seiner Amerika-Trilogie mehr als nur die Nation USA in Frage gestellt; er attackierte die Moralvorstellungen der „modernen“ Welt, zu der auch wir uns zählen. Seine Logik ist verstörend und nicht zuletzt destruktiv, denn Antworten im Sinne von: Wie können wir es besser machen?, blieb er bisher schuldig. Immerhin, Begriffe wie Freiheit und Demokratie auf ihren tatsächlichen Wert zurück zu führen, ist eine unbestreitbare Leistung.

Bedrückend ist allerdings die Grundtendenz aller Filme von Lars von Trier, die dem Menschen letztendlich wohl die Fähigkeit zu einer menschlichen Gesellschaft im Sinne der großen Ideale abspricht. Darin unterscheidet er sich deutlich von Bertolt Brecht, dessen „Die Seeräuber Jenny oder Träume eines Küchenmädchens“ inspirative Quelle für „Dogville“ war. Bedrückend ist aber auch, mit welcher suggestiven Meisterschaft Lars von Trier sein Publikum in diesen Fatalismus führt. Aber sei es drum, denn dieser Fatalismus ist allemal weniger verlogen, als das Geschwätz der Politik, die den Bürgern die reale „freiheitlich-rechtliche“ Ordnung wider alle gefühlte Unfreiheit, als die beste aller möglichen verkaufen will.

Jochen Schölchs Inszenierung am Metropol Theater war, genau wie die filmische Vorlage, die unmittelbare Fortsetzung seiner Inszenierung von Dogville in der Spielzeit 2006/2007. Dem Besucher von „Manderlay“ begegnete das selbe Bühnenbild (Ausstattung: Christl Wein) und die gleiche Theaterästhetik, nämlich die des Epischen Theaters von Brecht. Verfremdet und damit deutlich sichtbarer wurden die Vorgänge durch das Spiel mit Masken (Maskenbau: Ninian Kinnier-Wilson). Brechts Anliegen war es, den Zuschauer durch die Entfremdung nicht suggestiv ins Spiel und damit auf die eine oder andere Seite zu zerren, sondern ihn bei sich selbst zu belassen, ihn nicht durch Emotionalität seiner Kritikfähigkeit zu berauben. In diesem Punkt ging Jochen Schölch über Lars von Trier hinaus, wofür ihm unbedingt Dank gezollt werden muss, denn er befähigte den Zuschauer damit, den emotionalen Vorgaben von Triers zu widersprechen.

Die Inszenierung war trickreich und kurzweilig. (Die filmische Vorlage „Manderlay“ weist gegenüber „Dogville“ einige Längen auf.) Das Spiel der Studenten der Bayerischen Theaterakademie geriet trotz Masken facettenreich und keineswegs formalistisch. „Manderlay“ war die gelungene und ebenso qualitativ hochwertige Fortsetzung von „Dogville“. Die Wiederaufnahme der ersten Inszenierung macht Sinn, denn der Zuschauer wird durch beide Stücke weltanschaulich und theaterästhetisch herausgefordert. Das ist, was Theater leisten kann und eigentlich auch sollte.

 
Wolf Banitzki

 

 


Manderlay

von Lars v. Trier

Peri Baumeister, Marius Borghoff, Claudia Carus, Nahuel Hafliger, Rudi Hindenburg, Josephine Kohler, Philipp Lind, Matthias Renger, Sophie Rogall, Lea Woitack
Harmonium: Friedrich Rauchbauer

Regie: Jochen Schölch
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