Cuvilliestheater Bunbury oder Von der Notwendigkeit, ernst zu sein von Oscar Wilde
Amüsement garantiert
Über ein Werk Oscar Wildes den Stab zu brechen ist leicht, folgt man einfach der Sichtweise des Autors. Der wurde einmal befragt, ob eine kürzlich stattgefundene Premiere denn von Erfolg gekrönt gewesen sei? Wilde gab ohne jeglichen Selbstzweifel zurück: „Das Stück war ein großer Erfolg; das Publikum ist allerdings durchgefallen.“ Tatsächlich war Oscar Wilde wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit erfolgsverwöhnt. Das hing durchaus auch damit zusammen, dass er nicht müde wurde, von seiner eigenen Genialität und Meisterschaft zu schwärmen. Er war seiner Zeit und der viktorianischen Gesellschaft in der Tat meilenweit überlegen. Seine Kommentare zur Realität waren desavouierend und zeugten von einer absoluten Ausnahmeintelligenz. Immerhin war Wilde selbstkritisch genug zu erkennen, dass er diese Intelligenz im Leben und nicht im Werk vergeudet hatte. Trotzdem war sein künstlerisches Werk, wenngleich einem extravaganten und zwecklosem Ästhetizismus verpflichtet, wegweisend. Der Einfluss seines Denkens ist noch heute spürbar. Viele seines Bonmots haben den Status von Sprichwörtern erlangt. Nachdem der Narziss und Ästhet wegen seiner homosexuellen Neigungen und Praktiken eine zweijährige Zuchthausstrafe in Reading verbüßt hatte, war er ein gebrochener Mann. Sein Geist indes blieb aufrecht und auf die Frage nach Selbstmord antwortete er: „Selbstmord ist das größte Kompliment, das man einer Gesellschaft machen kann.“
Mit der gefeierten Aufführung von „Bunbury oder Von der Notwendigkeit, ernst zu sein“ im Jahr 1895 stand Wildes Stern im Zenit. Dann machte er den Fehler, sich auf die Provokation des Marquess von Queensberry, mit dessen Sohn „Bosie“ Wilde eine intime Freudschaft unterhielt, einzulassen. Der Marquess hatte den Dichter in einer offenen Karte der „Somdomie“ bezichtigt, wobei er sich nicht scheute, seine orthografischen Schwächen öffentlich zu machen. Von „Bosie“ angetrieben, dem ungeliebten Vater den Prozess zu machen, schlitterte Wilde in die für ihn größtmögliche Katastrophe: Er wurde Katholik.
In besagter Komödie entwickelte Wilde die Philosophie des „Bunburysierens“. Dabei handelt es sich um die Schaffung einer virtuellen Parallelwelt, die es dem Protagonisten ermöglicht, aus den Zwängen des Alltags auszusteigen, um anderenorts seinen Lüsten zu frönen. Erfinder dieser Philosophie oder auch Lebensart ist Algernon Moncrieff. Um sich seinen gesellschaftlichen und häuslichen Pflichten zu entziehen, schuf er Bunbury, einen siechen Freund, der nach Bedarf erkranken konnte. Algernons Freund John Worthing, genannt Jack, hat sich seinerseits einen „versauten“ jüngeren Bruder (Marius von Mayenburgs Übersetzung) mit Namen Ernst zugelegt, dem immer wieder wegen seiner liederlichen Lebensweise aus der Patsche geholfen werden muss. Das System gerät ins Wanken, als beide bunburysierte Welten aufeinanderprallen und es zu Interessenskonflikten kommt. Algernon verliebt sich in Jacks Mündel Cecily, der er als Ernst entgegentritt. Algernons Cousine Gwendolen verliebt sich im Gegenzug in Jack, jedoch in dem festen Glauben, er sei Ernst. Der Schwindel fliegt irgendwann auf und es besteht Erklärungsbedarf. Da es sich um eine Komödie handelt, bekommt natürlich am Ende jeder was er sich wünscht.
Oskar Wildes Kritik an der viktorianischen Welt hat sich im Grunde längst überlebt, denn weder der Typus des fremdbestimmten, von gesellschaftlichen Zwängen korsettierten Gesellschaftsmenschen, noch die Prüderie des Viktorianismus existieren weiterhin. Trotzdem gibt es den grundsätzlichen Ansatz zum Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen oder privaten Befangenheiten noch immer. Beinahe jeder Ehebruch geht mit einer Bunburysierung einher. Und da wir in einer Genuss- und Suchtgesellschaft leben, entpuppt sich diese Technik als probates Mittel der Verschleierung. Bunburyismus ist eine Idee von Oscar Wilde. Und nimmt man die Maxime Wildes: „Die öffentliche Meinung existiert nur dort, wo es keine Ideen gibt!“ wörtlich, begreift man, wie wichtig solche Ideen sind.
Genija Rykova, Lukas Turtur © Matthias Horn |
Marius von Mayenburgs Übersetzung/Bearbeitung weicht nur geringfügig von den üblichen Übersetzungen ab und diente vornehmlich dazu, die kleine begrenzte viktorianische Gesellschaft Londons in einen internationalen Jetset zu verwandeln. So ließt Jack seinen Bruder Ernst nicht in Paris sterben, sondern in Las Vegas. Diese Perspektivverlagerung wurde im Bühnenbild deutlich, denn wichtigstes Element auf Nina Wetzels Bühne war eine große Leinwand. Dort flimmerten unentwegt surreale, verfremdete und gelegentlich sehr witzige Bilder von gigantischen metropolischen Stadtlandschaften. Im zweiten Akt wurden diese von von ländlichen Bildern abgelöst, an deren Horizonte gewaltige Schlote giftigen Rauch ausstießen und kurioser Weise auch einatmeten, texanische Ölpumpen den Reichtum einer kleinen Gesellschaft, die die Protagonisten repräsentieren, aus dem Boden saugten. Allein diese Videos waren ausgesprochen sehenswert.
Regisseur von Mayenburg inszenierte darüber hinaus in bester Boulevardkomödienmanier, ließ mit hohem Tempo spielen, trieb die Darsteller zu überzeichneter Darstellung an und sparte Slapstick nicht aus. Lukas Turturs Algernon war ein Bo in bester Wildeschen Tradition. Seine Darstellung ließ vermuten, dass sich Autor Oscar in dieser Rolle ein Stück weit selbst verewigte. Gunther Eckes John Worthing oder auch Jack war hingegen von Selbstzweifeln beherrscht. Sein Selbstvertrauen in Bezug auf seine Liebeswerbung war eher gering und so löste jeder kleine Erfolg in seinem Werben um Gwendolen Übersprunghandlungen aus, wie man sie von jungen Hunden kennt. Die Angebetete Gwendolen wurde von Katrin Röver gespielt. Von Mayenburg hatte die Figur mit einem Handicap ausgestattet, das sich als running Gag wunderbar verkaufen ließ. Sie litt unter Narkolepsie und wann immer sie in große Erregung geriet, fiel sie schlafend und schnarchend zu Boden. Genija Rykovas Cecily zeigte durchgängig eine starke Neigung zu perversem Sadismus. Selbst im letzten Bild noch zückte sie einen Revolver und tötete einen Dalmatiner. Der wurde, wie auch die Butlerrollen Lane und Merriman von Simon Werdelis gespielt. Seine Darstellung entbehrte gänzlich der üblichen Klischees. Ganz anders als die Rolle Dr. Canon Chasubles. Thomas Gräßle spielte die Rolle des Geistlichen als einen vordergründig perversen Fummler, der sowohl nach der Hauslehrerin Miss Prism (Beatrix Doderer) wie auch nach dem Messdiener gierte, der korrupt, eitel und machtlüstern seinem „Geschäft“ nachging. Und schließlich gab es noch Lady Bracknell, Gwendolens Mutter. Cornelia Froboess verwandelte diese Rolle in einen gesellschaftlichen Pitbull. Sie selbst war von der unerschütterlichen Vorstellung besessen, dass das ganze Empire ohne sie und ihre ordnende Hand längst untergegangen wäre.
Der Abend war nicht nur sehenswert, weil die Schauspieler sämtlich zu Hochform aufliefen und es richtig krachen ließen. Er war auch ästhetisch sehr einprägsam Dank der Transformation einer muffigen, auf Wortwitz und Skurrilität angelegten Salongeschichte in die großen Bilder des weltweiten, nicht minder dekadenten Jetsets. Nun könnte man konstatieren, dass wir mit der Geschichte kaum mehr etwas anfangen können, denn sie hält einem Vergleich mit der Realität in der Form nicht mehr wirklich und überzeugend stand. Abstrahiert man einmal von der Realität, erkennt man durchaus einige menschliche Eigenschaften und Charakterzüge, deren Halbwertszeit über die Bildungsmaßnahmen vergangener Gesellschaften hinausreichen. Aber auch das machte den Wert des Abends nicht aus. Der bestand unbestritten in seiner Unterhaltung. Und diesen Wert sollte man nicht geringschätzen. Es war Amüsement auf hohem intellektuellem und darstellerischem Niveau. Also, nichts wie hin und anschauen!
Wolf Banitzki
Bunbury oder Von der Notwendigkeit, ernst zu sein
von Oscar Wilde
Gunther Eckes, Lukas Turtur, Thomas Gräßle, Simon Werdelis, Cornelia Froboess, Katrin Röver, Genija Rykova, Beatrix Doderer / Ulrike Willenbacher
Regie Marius von Mayenburg