Gefährliche Liebschaften

Cuvilliéstheater Gefährliche Liebschaften von Christopher Hampton nach Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos


 

 

Große Gefühle und nordische Nüchternheit

Im Jahr 1774 erließ der König von Frankreich einen Erlass, der verhindern sollte, dass Adlige, die nicht mindestens in vierter Generation der blaublütigen Kaste zugehörig waren, in die höheren Offiziersränge aufsteigen. Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, dessen Eltern erst kurz vor seiner Geburt geadelt worden waren und ihrem bürgerlichen Namen den Namen de Laclos hinzugefügt hatten, steckte in der Sackgasse. Ein weiterer Aufstieg des ehrgeizigen Offiziers schien unmöglich.

Zutiefst frustriert schrieb er nach zwei längeren Parisaufenthalten in den Jahren 1780 und 1781 seinen Briefroman „Les Liaisons dangereuses“, der im Deutschen unter dem Titel „Gefährliche Liebschaften“ bekannt wurde. Tatsächlich heißt die wörtliche Übersetzung „gefährliche Beziehungen“, was ein deutlich größeres Feld der Handlungen und Zusammenhänge umreißt. Choderlos de Laclos` Roman, der die verwahrloste Moral des französischen Adels schonungslos offenlegte, wollte nicht nur vor den hemmungslos hedonistisch-libidinösen Beziehungen warnen, sondern grundsätzlich vor allen voreilig und ungeprüft eingegangenen gesellschaftlichen Beziehungen. Dieser Roman, aus moralischen Beweggründen vom Autor verfasst, wie er beteuerte, barg immense Sprengkraft. Die erste Auflage verkaufte sich binnen eines Monats. Es war das Buch eines zutiefst enttäuschten Militärs, der sich auch als Schriftsteller verstand und der sich mit diesem einzigen ernstzunehmenden Werk nachhaltig in die Annalen der Literaturgeschichte einschrieb. Zuletzt ist er schließlich doch noch General geworden, allerdings bedurfte es dazu eines Mannes, der die Verhältnisse in Frankreich grundlegend änderte: Napoleon Bonaparte.

Der Briefroman erzählt von den Intrigen der verwitweten Marquise de Merteuil und ihrem einstigen Liebhaber und späteren Freund/Vertrauten Vicomte de Valmont. Die  Marquise ist gerade von dem Comte de Gercourts verlassen worden. Sie sinnt auf Rache. Das willige und fähige Werkzeug ist der Vicomte de Valmont, der die zukünftige Ehefrau des Comte de Gercourts, die unbedarfte und naive Klosterschülerin Cécile de Volanges verführen und damit für eine Heirat von Stand unmöglich machen soll. Valmont hat allerdings andere Pläne. Das Objekt seiner Begierde ist die tugendhafte Madame de Tourvel, eine religiöse Ehefrau. Valmont nimmt es sportlich und die Herausforderung an, sowohl die eine zu entjungfern und die andere ihrer Tugendhaftigkeit zu berauben. Die Intrigen sind intelligent eingefädelt, psychologisch spitzfindig und gänzlich ohne Skrupel. Doch der Ausgang der Geschichte entpuppt sich als eine blutiger.

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Eva Schmidt, Friederike Ott, Genija Rykova, Ulrike Willenbacher, Philip Dechamps, vorne Mitte Michele Cuciuffo, Michaela Steiger

© Tanja Dorendorf/T+T Fotografie

 

Die Spielfassung, die im Cuvilliéstheater zur Aufführung kam, stammt von dem britischen Dramatiker Christopher Hampton. Sein Theatertext war Grundlage für das Drehbuch der grandiosen Verfilmung durch Stephen Frears mit Glenn Close und John Malkovich in den Hauptrollen, eine künstlerische Vorlage, die, kennt man sie, schwer aus dem Kopf zu bekommen ist. Die dänische Regisseurin Katrine Wiedemann traute sich, gegen die geradezu magischen Bilder des Films anzutreten. Und sie tat das mit einigem Erfolg. Maja Ravn, die auch für die etwas farb- und wenig reizvollen Kostüme verantwortlich zeichnete, zauberte ein beeindruckendes Bühnenbild, das aus einer vielstöckigen Pyramide aus Betten bestand. Das war sinnvoll, denn im Grunde ging es ja hauptsächlich darum, wer wen wie ins Bett oder auf die Matratze bekam. Und nach getanem Tagwerk wurde darin auch geschlafen.

Die Zeitlosigkeit der Kostüme suggerierte, dass es sich auch um ein zeitloses Thema handele. Obgleich die Sprache sehr hochgestochen und unverkennbar barock war, gelang es Katrine Wiedemann durch einen recht simplen Trick, diesen starken Eindruck zu mildern. Die Protagonisten Marquise de Merteuil, von Michaela Steiger enorm kraftvoll und unerbittlich gestaltet, und der Vicomte de Valmont, den Michele Cuciuffo sehr natürlich und schnörkellos, aber temperamentvoll spielte, sprachen miteinander in der ersten Person Singular. Das nahm dem Text ein Großteil der Gestelztheit und verschönte ihn auf natürliche Weise. Die nüchterne Inszenierung, die dennoch nicht frei war von komischen Einfällen und überaschenden szenischen Lösungen, setzt ganz und gar auf den Text. Das Buch war in seiner Geschichte mehrfach verboten, da man viele Begebenheiten darin als unmoralisch und sogar pornografisch verstand. Das ist in der heutigen Zeit längst kein Thema mehr und es ist beinahe schon Pflicht (dem Markt gegenüber – Sex sells), regelmäßig gegen den „guten Geschmack“ zu opponieren. Obgleich beinahe ununterbrochen über Erotik, Sex, Verführung und die Kunst derselben gesprochen, vieles davon auf der Bühne auch darstellerisch umgesetzt wurde, blieben die Damen in ihrer fleischfarbenen Unterwäsche und ihren glänzenden Strumpfhosen sonderbar unerotisch.

Doch das muss wohl fester Vorsatz der Regie gewesen sein, denn anders ließen sich Bauchweghosen in hautfarbenem Stretch kaum erklären. Das tat der großartigen Geschichte auch keinen Abbruch, die so vielschichtig gestrickt und psychologisch durchtrieben war, dass sie zwei Stunden und vierzig Minuten lang fesselte. Die Darsteller agierten maßvoll und dennoch mit deutlichen Akzenten. Friederike Otts  Cécile de Volanges war ein naiv-trotteliges Geschöpf, noch immer gefangen im Korsett klösterlicher Erziehung, als hätte sie den Stock verschluckt mit dem gezüchtigt wurde. Genija Rykovas Präsidentin de Tourvel war sichtlich zerrissen von religiösem Gehorsam, ehelicher Treue und sexueller Begierde. Den jugendlichen Chevalier Danceny gab Philip Dechamps als ungelenken Schlacks, dem es mehr als einmal die Sprache verschlug, weil er den Intrigen macht- und vor allem ahnungslos ausgeliefert war.

Es war über weite Strecken eine nüchterne Inszenierung, die dennoch ausgesprochen komödiantisch angelegt war, denn viele der Figuren eigneten sich in ihrem lächerlichen Rokoko-Habitus durchaus für karikierende Momente. Die wurden unaufgeregt, solide und maßvoll  in Szene gesetzt. Umso erstaunlicher war die immense Wirkung des Showdowns, der fast an eine griechische Tragödie erinnerte. Die Inszenierung trägt eine bemerkenswerte künstlerische Handschrift, wie man sie nicht alle Tage zu sehen bekommt: Große Gefühle und nordische Nüchternheit.                                                       

Wolf Banitzki

 


Gefährliche Liebschaften

von Christopher Hampton nach Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos

Michaela Steiger, Ulrike Willenbacher, Friederike Ott, Michele Cuciuffo, Arthur Klemt, Eva Schmidt, Genija Rykova, Dascha Poisel, Philip Dechamps

Regie: Katrine Wiedemann