Cuvilliestheater Die schmutzigen Hände von Jean-Paul Sartre


 

Sartre und der Welten Lauf

„Ausnahmezustand“, so das Motto des Residenztheaters für die Spielzeit. Unmittelbar nach „Die Räuber“, gleichsam ein Exkurs zum Thema revolutionärer Gewalt und Willkür, nun das 1948 uraufgeführte Drama „Die schmutzigen Hände“ von Jean-Paul Sartre in der Regie von Martin Kušej. Das Stück erzählt die Geschichte des jungen Revolutionärs Hugo, der, seine bürgerliche Herkunft negierend, einer revolutionären Partei beitritt, wo er fieberhaft auf einen Einsatz lauert. Doch er wird aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten vorerst als Redakteur eingesetzt. Seine Stunde ist gekommen, als sich ein wichtiger Genosse aus taktischen Gründen auf Verhandlungen mit dem Feind einlässt. Hoederer, er gehört zu den Mitbegründern der Bewegung, ist ein politischer Pragmatiker. Sein Schritt spaltet die Partei und so erhält Hugo den Auftrag, Hoederer zu töteten. Hugo gelingt es, in den inneren Zirkel um Hoederer einzudringen, weil er alle Auswahlkriterien erfüllt. Er genügt den Anforderungen, die an einen Sekretär gestellt werden, und er ist verheiratet. Seine Ehefrau Jessica begleitet ihn. Damit soll verhindert werden, dass Hugo die „Festung“ verlässt, um „draußen“ seine physischen Bedürfnisse zu befriedigen. Dem letzten Sekretär wurde dieser Drang zum Verhängnis; man fand ihn tot in einem Teich.

Das Drama zeigt sowohl die ideologischen wie auch die psychischen Beweggründe der handelnden Figuren auf. Angefangen mit der Frage, warum der Pfad der Revolution beschritten wurde, bis hin zu der Frage, wie legitim das Töten im Namen einer Sache oder auf Befehl ist. Sartre lotete nicht nur in diesem sehr lebendigen und wenig kathederhaften oder moralinsaueren Drama eine Vielzahl menschlicher und ideologischer Handlungsgründe in weltanschaulichen Fallbeispielen aus. Natürlich werden diese Fragen auf unterschiedlichste Weise beantwortet. Angesichts der Botschaften, die sich aus seinem philosophisch-dramatischen Konstrukt ergaben, wurde Sartre dafür mehr angefeindet als ihm vielleicht lieb war. Mehr noch störte ihn allerdings der Zuspruch aus dem bürgerlichen Lager. Doch einen Mann wie Sartre, der den Nobelpreis zurückwies, konnte das nicht wirklich anfechten. Wer nun aber glaubt, Sartre hätte das Stück geschrieben, um pazifistische Impulse auszulösen, irrt gewaltig. Er verstand sich unbeirrt als ein „kritischer Wegbegleiter des Kommunismus“. Den politischen Mord erachtete er unter bestimmten Voraussetzungen als unverzichtbar. Wirklich besser ist die Welt seit Sartre auch ganz sicher nicht geworden. Seine Dramen sind nach wie vor Alltag.

  Die schmutzigen Haende  
 

Christian Erdt, Lisa Wagner, hinten Ensemble

© Julian Baumann

 

Martin Kušej ließ sich von Bühnenbildner Stefan Hageneier einen durchsichtigen Kerkerbau auf die Bühne des Cuvilliéstheater stellen, einen Käfig im Käfig, gleichsam innerer und peripherer Raum. Alles Spiel fand in den Käfigen statt und ein „Außen“ gab es praktisch nicht. In den Käfigen hatten sich Menschen versammelt, deren Äußeres unter den Bedingungen des konspirativen Kampfes sehr gelitten hatte. Beinahe jeder trug Verwundungen. Das mag klischeehaft erscheinen, schuf aber eine akzeptable und annehmbare Grundstimmung und Athmosphäre. Die Umgangsformen waren rüde, was nicht verwunderte, denn der Tod war ständig präsent auf der Szene.

Die Geschichte begann mit der Haftentlassung Hugo Barins, genannt Raskolnikof, der sich im ehemaligen Hauptquartier seiner revolutionären Zelle, der Wohnung Olgas, einfand. Christian Erdts Hugo, der aus besten bürgerlichen Verhältnissen stammende, sensible jung Mann war psychisch ein Wrack. Er hatte zwar die gegen ihn verhängten fünf Jahre Haft nicht absitzen müssen, war aber von der Tatsache, dass die Genossen bereits im Gefängnis versucht hatten, ihn mundtot zu machen, extrem verunsichert. Er galt als Verräter. Olga, Anna Graenzer wechselte spielend zwischen Mitgefühl, vielleicht sogar Liebe, und revolutionärer Härte. Die Tatsache, dass sie Hugo begehrte, verschuf dem jungen Mann eine Nacht Aufschub, denn die Genossen, allen voran Michele Cuciuffo als narbenübersäter Louis, hatte seinen Revolver bereits entsichert. Olga gab vor, den Fall noch einmal zu prüfen, ob Hugo für die Partei nicht doch noch „verwendbar“ sei. Der erzählte seine Geschichte, beginnend mit dem Einzug im Quartier von Hoederer, bis zum bitteren Ende. Hoederer gab Norman Hacker, einen Mann den man sich väterlicher kaum vorstellen kann, der aber über einen politischen Mord, so er notwendig werden würde, nicht greinte. Neben Hacker dominiert Lisa Wagner als Hugos Ehefrau Jessica den Abend. Ihr gelang es mehrfach, Komik zu erzeugen, die durchaus textimmanent war, die im Kontext dieser Geschichte und in der bedrückenden Düsternis des Bühnenbildes freizusetzen unbedingt Respekt abforderte. Sie meldete sich mit einem wunderbaren Auftritt im Ensemble des Residenztheaters zurück.

Kušejs bedachtsame Führung der Darsteller verlieh auch Nebenrollen die ihnen zustehende Bedeutung. Thomas Gräßles  Prinz Paul war sowohl der verschlagene Aristokrat wie auch der eloquente Machtpolitiker, der in dieser Spielsituation gar keine Macht mehr hatte, außer die seines Verhandlungsgeschicks. Manfred Zapatkas Karsky, Anführer der konkurrierenden revolutionären Bewegung hatte indes etwas von einem Paten, stur und imposant. Arthur Klemts Georges und Philip Dechamps´ Slick gaben die Vollstrecker, die Männer aus dem einfachen Volk, brutal und ergeben, die Revolutionäre geworden waren, damit sie was zwischen die Zähne und in den Magen bekamen.

Martin Kušej verzichtete auf ästhetische Überhöhung und handelte das Stück nüchtern und effizient ab. Der Wirkung tat es keinen Abbruch und so wird dieses handwerklich solide und intellektuell aufbereitete Drama ganz sicher das Publikum erreichen. Das Premierenpublikum ließ daran keinen Zweifel. „Glaubst du, man kann unschuldig herrschen?“ Das war einer der Schlüsselsätze des Abends. Auch wenn die Einsichten über die Wirkungsweisen von Terrorismus, revolutionärer Bewegungen, tyrannischer oder einfach nur Realpolitik heute kaum noch Empörung erzeugen, weil der Glaube an eine saubere Geschichte längst perdu ist, weckte der Abend doch immerhin Erinnerungen an Zeiten voller Ideale und Utopien. Wenn die Welt nicht wieder zu solchen zurückkehrt, gibt es kaum Hoffnung. Der erste Schritt dahin beginnt mit dem Verstehen und darum ist es unumgänglich, sich damit auseinanderzusetzen, um endlich wieder zu klaren Haltungen zu gelangen. Der politische Mord sollte unbedingt eine Ächtung erfahren, wie jeder andere Mord auch. Der Tod war noch nie ein brauchbares Fundament für eine menschliche Ordnung.

Wolf Banitzki


Die schmutzigen Hände

von Jean-Paul Sartre

Norman Hacker, Christian Erdt, Lisa Wagner, Anna Graenzer, Manfred Zapatka, Thomas Gräßle, Michele Cuciuffo, Arthur Klemt, Philip Dechamps

Regie: Martin Kušej