Cuvilliéstheater Insgeheim Lohengrin von Richard Wagner
Mein lieber Schwan
Es gibt sie und es wird sie immer geben, die Wagnerianer. Trotzalledem!, muss man wohl sagen, denn seit dem Erscheinen von Wagners Opern sind sie bald hochgejubelt und bald verfemt worden. „Man erteilte vorzüglich der Romantik und damit Richard Wagner eine programmatische Absage. Die überwältigende Mehrheit der Hörer versagte aber all diesen Versuchen die Gefolgschaft – ihr Glaube und ihre Liebe gehören der Oper, wie sie seit Jahrhunderten als unschätzbares Kulturgut in all ihrer Vielgestaltigkeit von der naiven reinen Musizieroper bis zu den gigantischen Gipfelwerken der Wort-Ton-Dichtungen Richard Wagners ihre magische Gewalt ausübt.“ So der Dirigent Hans Knappertsbusch im Jahr 1952.
In dieser Zeit waren die Wagnerschen Opern in der östlichen Hemisphäre, hinter dem Eisernen Vorhang, tief in Misskredit geraten. Zum einen waren sie durch die hingebungsvolle Bewunderung Hitlers, der „Rienzi“ hatte aus Hitler einen „Revolutionär“ gemacht, äußerst suspekt. Während man sich in Bayreuth auf dem Grünen Hügel noch immer mit 88 begrüßte, empfanden die ostdeutschen Kulturideologen insbesondere den „Lohengrin“ als jugendgefährdend. Bereits Nietzsche beschrieb die Musik des Vorspiels als „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“. Woody Allen formulierte seine Skepsis wie folgt: „Immer wenn ich Wagner höre, spüre ich den inneren Drang, in Polen einmarschieren zu müssen.“ Klar ist, Wagnerianer haben es nicht immer leicht.
In München taten sich 2017 fünf Wagner-Enthusiasten in einem geschlossenen konspirativen Kreis zusammen, um ihrer Leidenschaft „Insgeheim“ zu frönen. Alvis Hermanis machte dies unter dem Titel „Insgeheim Lohengrin“ im Cuvilliéstheater öffentlich und brach eine Lanze für die Verfolgten. Sämtliche Wagner-Oper waren im Kreis bereits gehört worden, übrig blieb nur noch der „Lohengrin“, der „Gipfel der Romantik“, wie Thomas Mann das Werk nannte. Danach wollte man sich trennen und gegebenenfalls auch verleugnen.
Musikgeschichtlich gilt das Werk als Vollendung der romantischen Oper und gleichsam als Beginn einer neuen Kunstform, des Musikdramas. Und so stieg der Zuschauer gemeinsam mit den fünf Aufrechten mit dem Vorspiel in das Werk ein. Das Gehörte glich einem Klangmysterium, in dem Wagner die Macht der göttlichen Liebe, deren Sinnbild der heilige Gral ist, beschwört. Die Verzückung auf der Bühne kannte keine Grenzen, und als die Ekstase ihren Gipfel erreicht hatte, schritt der edle Schwanenritter dank der Vorstellungskraft der Enthusiasten durch den Raum.
Ulrike Willenbacher, Manfred Zapatka, Charlotte Schwab © Andreas Pohlmann |
Wieder im Zustand der Nüchternheit verständigten sich die fünf Protagonisten über ihren jeweiligen Zugang zum Werk und über ihre bevorzugten Interpreten. Es waren völlig normale Leute: der Bäcker Eskil (Wolfram Rupperti), die Friseurin Helga (Charlotte Schwab), die Bibliothekarin Kathi (Ulrike Willenbacher), der Busfahrer Otto (Paul Wolff-Plottegg) und der Fotoingenieur Heiner (Manfred Zapatka).
Wie das Musikwerk, strukturierte Alvis Hermanis sein Bühnenwerk in drei Akte. Das Spiel begann sehr zögerlich und die Beteiligten kommunizierten nur minimalistisch, gemäß den Regeln der Konspiration. Doch dann wurde der Austausch intensiver. Man zitierte profunde Kenner wie Thomas Mann und Friedrich Nietzsche, erzählte Anekdoten und sprach vom genialen Schöpfer auch schon mal als „pickligen Gnom“. Man spielte sich gegenseitig auf dem Smartphone unterschiedliche Interpretationen von Arien vor, kam angesichts des Missklangs wieder zur Vernunft, um sodann den Schallplattenspieler wieder in Gang zu bringen, dessen Musik sie erneut in Ekstase versetzte. Um eine Schlüsselszene nachzuspielen, ließ man auch mal die Hose herunter. Was tut man nicht alles für die große Kunst. Aber keine Bange, es blieb bei Feinrip.
Das Spiel war unaufgeregt und leise, denn man hat herausgefunden, dass in der Oper geschrien, im Schauspiel allerdings geflüstert wird. Warum? Alvis Hermanis, ein mit vielen Wassern gewaschener Theatermacher weiß, dass es die Konzentration steigert. Ein anderes wichtiges Mittel, um fesselnde Atmosphäre zu erzeugen, ist das Bühnenbild. Alvis Hermanis, der seine Bühnenbilder selbst entwirft, setzt auf detailversessenen Realismus. Bereits 2012 überzeugte er an den Kammerspielen mit diesem Konzept zu seiner Inszenierung „Wassa“ von Maxim Gorki auf beeindruckende Weise. Auf der Bühne des Cuvilliéstheater befand sich ein vollkommen eingerichtetes Zweizimmerappartement inklusive Küchenzeile, in dem wahrlich nichts fehlte. Heimelige Stimmung mit Musik. Selbst ein Blümchen durfte nicht fehlen, das die Bibliothekarin Kathi (Ulrike Willenbacher) zu jedem Treffen mitbrachte.
Dass eine Menge über Wagner und auch über das Werk „Lohengrin“ zu erfahren war, lag auf der Hand, dass sich echte Wagnerianer auch in heikel-komische Situationen bringen, ebenso. So war es ein Theaterabend voller Heiterkeit, die aber den „Wagnerianer“ an sich nicht diffamierte. Als sich im dritten Akt die fünf Verschworenen zu einem Abschiedsessen (Pizza vom Lieferdienst) trafen, waren sie einander inzwischen so nah gekommen, dass jeder seine Geschichte erzählen konnte. Es waren keine spektakulären, eher banale Geschichten, die allerdings ein verbindendes Dilemma offenbarten. Jeder für sich war allein, und jeder für sich sehnte sich nach einem Menschen, durch den er die Liebe erfahren könnte, die er so nur durch die Musik Wagners erlebte. Und genau hierin scheint der Erfolg der Wagnerschen Musik begründet zu sein. In jedem von uns steckt ein Romantiker, der genau dann zu Tage tritt, wenn wir uns selbst unseren quälenden Sehnsüchten ausgeliefert sehen.
Es war eine gelungene, sehr besondere Inszenierung, die einen kurzweiligen und dennoch tiefsinnigen Abend bescherte. Dass Wagner so viel Spaß machen kann, hätten viele Zuschauer wohl nicht vermutet. Hat er aber. Mein lieber Schwan!
Wolf Banitzki
Insgeheim Lohengrin
von Richard Wagner
Wolfram Rupperti, Charlotte Schwab, Ulrike Willenbacher, Paul Wolff-Plottegg, Manfred Zapatka
Regie und Bühne: Alvis Hermanis