Cuviliestheater Das Schlangenei von Ingmar Bergman


 

Gefahr im Verzug

Die Geschichte spielt im November des Jahres 1923, in jenem Jahr, in dem ein kleiner, noch unbedeutender Lokalpolitiker namens Adolf Hitler einen Putsch inszenierte. Der wird zwar im Keim erstickt, doch 10 Jahre später kommt der Mann, wie hinlänglich bekannt ist, mittels Ausnutzung der demokratischen Instrumentarien ganz legitim an die Macht. Ingmar Bergman siedelte seinen Film vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse an. Er endet mit dem Scheitern des Putsches am 9. November 1923.

Abel Rosenberg war gemeinsam mit seinem Bruder Max und dessen früherer Ehefrau Manuela in Berlin gestrandet. Die Trapezartisten konnten wegen einer Handverletzung von Max nicht mehr auftreten und lebten nun in der Reichshauptstadt von ihrem Ersparten. Abel ergibt sich seiner Trunk- und Vergnügungssucht. Manuela arbeitet in einem Cabaret als Sängerin. Als Abel in der Woche vor dem 9. November angetrunken in das gemeinsame Zimmer einer Pension heimkehrt, findet er den Bruder tot im Bett sitzend vor. Max hat sich eine Kugel in den Kopf geschossen. Inspektor Bauer bearbeitet den Todesfall und er konfrontiert Abel mit weiteren mysteriösen Morden oder Selbstmorden, die in dieser Zeit vermehrt auftreten. Abel und Manuela können zur Aufklärung nichts beisteuern. Zu sehr sind sie mit ihrem täglichen Überlebenskampf beschäftigt.

Als die Dollars, die einzige stabile Währung, denn in Deutschland explodiert die Inflation, aufgebraucht sind, treffen sie einen alten Bekannten, der ihnen Hilfe anbietet. Hans Vergérus, die beiden waren ihm in Jugendtagen begegnet, war Abel wegen seiner bestialischen Neigungen in denkbar schlechter Erinnerung geblieben. Inzwischen ist Vergérus ein international anerkannter Mediziner, der in Berlin forscht. Er bietet Manuela seine Hilfe an und verschafft ihr eine Wohnung in dem Krankenhaus, in dem er arbeitet. Abel bekommt eine Beschäftigung im Krankenhausarchiv. Die Klinik entpuppt sich als ein kafkaeskes Labyrinth, aus dem es scheinbar kein Entrinnen mehr gibt. Als Abel nach durchzechter Nacht in die Krankenhauswohnung heimkehrt, findet er Manuela tot auf. Er verschafft sich gewaltsam Zutritt in die Forschungsräume und macht eine grauenvolle Entdeckung.

Regisseurin Anne Lenk hat eine Adaption des Films aus dem Jahr 1976/77 auf die Bühne des Cuvilliéstheaters gebracht. Dabei verzichtete sie auf nur ganz wenige Filmszenen, dafür aber gänzlich auf Bilder des Films. Das Bühnenbild von Judith Oswald zeigte eingangs einen schwarzen tunnelartigen Raum, der sich zum Bühnenhintergrund perspektivisch verengte. Das Bild stand gleichsam metaphorisch für eine düstere, nicht les- oder entschlüsselbare Zukunft. Am Ende wurden die Räume demontiert und gegeneinander verdreht, so, dass oben genanntes kafkaeskes Krankenhauslabyrinth entstand. Diese Räume wurden mit zirzensischen Attraktionen bevölkert, die allerdings den Charme und die Attraktivität eines theatralischen Leichenzuges hatten und die absurde Grundstimmung zusätzlich steigerte.

  Das Schlangenei  
 

Franz Pätzold, Nora Buzalka

© Thomas Aurin

 

Franz Pätzold spielt seinen Abel Rosenberg als einen unerschütterlicher Zyniker, unentwegt rauchend und saufend. Ihm oblag es auch, die Sprachkulissen zu schaffen und die Szenen einzufügen, die ungespielt blieben. Zum Beispiel die Szene, in der Abel einen Ziegelstein in das Schaufenster eines Wäschereigeschäftes schleuderte, dessen Inhaber ebenfalls Rosenberg hieß. Pätzold war, im Gegensatz zur Darstellung von David Carradine, nicht von seinen Ängsten überwältigt. Er zeigte wenig Regungen gegenüber der sich zersetzenden Ordnung, des aufkommenden Mobs und seinen grauenvollen Entdeckungen, die er in seinem letzten Gespräch mit Hans Vergérus machen musste. Thomas Lettow hingegen hatte einen ganz ähnlich Spielduktus, wie der im Film gestaltende Heinz Bennent. Kalt und gleichgültig der menschlichen Kreatur gegenüber, blieb er seiner Gesinnung und seiner Vision von einem vollkommenen Menschen treu. Gleiches galt für Oliver Nägele in der Rolle des Inspektors Bauer. Er brauchte einen Vergleich mit Gerd Fröbe nicht zu scheuen. Wesentlich zurückgenommener war die Figur der Manuela von der Regie angelegt. Nora Buzalke war es nicht vergönnt, die Figur so weit auszuformulieren, wie es Liv Ullmann tat.

Der direkte Vergleich sei an dieser Stelle nachgesehen, denn immerhin war die Vorlage der Film selbst und kein Roman oder eine Erzählung. Regisseurin Anne Lenk gelang eine sehr eigene und zeitgemäße Interpretation auf hohem künstlerischen Niveau. Allerdings hatten die ersten zwei Drittel der Inszenierung einige Längen, die wohl dem Fehlen der opulenten Bilderwelt Bergmans geschuldet waren. Der „Showdown“ riss indes wieder mit und entließ die Zuschauer nach knapp zwei Stunden mit einer starken rationalen und einer ebenso starken emotionalen Botschaft. Die rationale Botschaft provozierte der Inspektor Bauer mit den letzten Worten des Stücks, die lauteten: „Der Putsch von Herrn Hitler ist fehlgeschlagen. Das Ganze war ein einziges Fiasko. Herr Hitler und seine Horden haben die Stärke der deutschen Demokratie unterschätzt.“ Bald sollte sich herausstellen, wie jeder weiß oder zumindest wissen könnte, dass die deutsche Demokratie Herrn Hitler und sein Horden unterschätzt hatten. Die emotionale Botschaft resultierte aus den unübersehbaren Parallelen in der heutigen Gesellschaft. Und wer nicht wenigstens ein Unbehagen spürt, missversteht wieder einmal den Zustand der Gesellschaft.

Bergmans Film und auch die Inszenierung von Anne Lenk sind verstörend. Es liegt auf der Hand, dass die Inszenierung mehr ist, als nur eine Hommage auf den großen Filmemacher, der eine Zeit lang auch am Residenztheater gearbeitet hat und dessen 100. Geburtstag nächstes Jahr ins Haus steht. Gezeichnet vom eigenen Schicksal, er emigrierte aus Schweden wegen Bürokratiewillkür, war dieser Film sein erster politischer. Bis dahin hatte er sich als großer Psychologe ausgezeichnet, ein Ansatz, der im Film eine große Rolle spielt. Denn fehlender Altruismus oder gar Empathielosigkeit sind Auswüchse von Psychen denen es an Engagement fehlt, deren Egoismus das Maß der Dinge sind. Aber auch die Psyche ist in hohem Maß das Produkt ihrer Umwelt und wenn existenzielle Leere nicht mehr als Manko angesehen wird, weil man sie mit lächerlichen Ideologien, verschrobenen Religionen oder banalem Konsumismus auffüllt, ist Gefahr in Verzug.

 

Wolf Banitzki

 


Das Schlangenei

von Ingmar Bergman

Deutsch von Heiner Gimmler

Franz Pätzold, Nora Buzalka, Oliver Nägele, Thomas Lettow, Ulrike Willenbacher, Wolfram Rupperti

Regie: Anne Lenk
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