Cuvilliéstheater Der Riss durch die Welt von Roland Schimmelpfennig


 

Hinter dem Riss die Apokalypse

Die junge Künstlerin Sophia erhält eine Einladung in die Villa des Industriellen Tom und dessen Ehefrau Sue. Sie hat Tom ein Konzept geschickt zu einem apokalyptischen Bild, das sie zu realisieren gedenkt und dafür Geld braucht. Ein gängiges Prozedere, wie die Gespräche zwischen Tom und Sue, aber auch die Kunstwerke in Toms Villa verraten. Der Mann ist ein Kunstsammler und ein Mäzen. Die Villa krönt eine Anhöhe über einem atemberaubend schönen Tal. Preis der Schönheit: kein Handyempfang, keine Nachbarn, kein Hundegebell. Dafür Rehe und Stille, einzig unterbrochen von einem Windspiel. Sophia ist nicht allein gekommen. Sie wird begleitet von Jared, auch Rico genannt, Knastname Bambi. Beide stellen angesichts der Villa und der Kunstwerke berühmter Maler klar, dass sie aus einer anderen Welt kommen, aus dem Ghetto, wo die Sklaven des Kapitalismus leben. Und so gestaltet sich die Kommunikation sperrig, schleppend und angereichert mit Missverständnissen.

Immer wieder propagiert Sophia ihre künstlerische Vision, den roten Fluss, angereichert mit Abfall, Gift und Müll, der sich zum Berg auftürmt und sich das Flussbett hinunter wälzt und zu einer klaffenden Wunde, zu einem Riss durch die Welt wird. Tom ist angetan von der Vision, mehr aber noch von der Frau, die er durchaus begehrt. Ähnlich verhält es sich zwischen Jared und Sue. Am Ende erträgt Tom die permanenten Anwürfe, seinen Reichtum, seine soziale Stellung betreffend nicht mehr und er redet Tacheles. Er schleudert den beiden das Geld vor die Füße, denn genau darum geht es immer, um Geld und Macht. Wie wenig ihm daran gelegen ist, beweist er, in dem er sein Portemonnaie mit sämtlichen Kreditkarten verbrennt. Leicht getan, wenn man superreich ist und was bedeutet es schon, seine Plastikkarten ins Feuer zu werfen. Es macht ihn nicht ärmer.

So in etwa sieht das Bild aus, das hinter dem Titel, „Riss durch die Welt“, einer Auftragsarbeit von Roland Schimmelpfennig steht. Doch so gestaltete es sich nicht auf der Bühne. Man stelle sich vor, dieses Bild sei auf Glas gemalt und der Autor schleudert einen Stein hinein. Das Bild zerbricht in genau 170 Scherben. Die werden dem Betrachter nacheinander präsentiert. Das beschreibt die Inszenierung von Tilmann Köhler auf der Bühne des Münchner Cuvilliéstheaters. Dafür hatte Bühnenbildner Karoly Risz eine große Wand auf die Drehbühne gestellt in den Farben von Mark Rothko (Black in Dark). Er ist ein Künstler, dessen Werke in der Villa hängen. Niemand weiß, wie sein Name tatsächlich ausgesprochen wird.

  Der Riss durch die Welt  
 

v.l. Carolin Conrad, Cathrin Störmer, Oliver Stokowski, Lisa Stiegler, Benito Bause

© Sandra Then

 

Es begann mit vier Stühlen an der Rampe, die Wand im Hintergrund. Man trank, versuchte Smalltalk und scheiterte. So zogen die Fragmente vorüber. Viele Bilder schienen sich nicht zu fügen und sie taten es auch auf der Bühne nicht, denn es ging nicht darum, das Puzzel zusammenzusetzen, sondern zu beweisen, dass es nicht gehen kann, denn ein Riss geht durch die Welt. Der trennt Arm und Reich, Glaube und Ideologie, Wohlstand und Sehnsucht.

Nur der Champagner aus derselben Flasche einte die Gesellschaft, allerdings nur temporär. Denn immer wieder schleuderte Jared, sehr dynamisch von Benito Bause gespielt, sein Glas gegen die Wand. Seine Figur blieb indes sehr schwer fassbar. Waren Sophia, ebenso körperbetont und erfüllt mit prallem Selbstbewusstsein gestaltet von Lisa Stiegler, und Jared ein Paar. War er tatsächlich im Gefängnis wegen Delikten wie Drogen, Körperverletzung, Raubüberfall? Ist es ein Klischee oder Realität, dass Menschen wie er vermeintlich über Erfahrungen verfügen, die ihn zu der Behauptung ermächtigt: „Du hast doch keine Ahnung!“ Der Vorwurf richtete sich insbesondere an Tom, den schwerreichen Unternehmer, der abgeschirmt vom vermeintlich wahren Leben sein museales Dasein in der hermetisch abgeschlossenen Villa lebt. Tom, mit großer Präsenz bei minimalistischem, aber effektvollem Spiel von Oliver Stokowski gegeben, nahm es lange Zeit gelassen. Er gestand, dass Ahnungslosigkeit sein Spezialgebiet sei und er ein Spezialist: alt, ahnungslos und reich. Aber er unterließ es nicht, Jared zu erklären, dass Reichtum bei Jared lediglich zu einem noch „teurerem Handy“ und noch „wahnsinnigeren Turnschuhen“ führen würde.

Am Rande der Geschichte kreiste Sue, verunsichert, staunend und angezogen von Jared, gespielt von Carolin Conrad. Sie verstand nicht, was Ghetto für Jared und Sophia bedeutet, schließlich kam sie aus derselben sozialen Schicht und vom selben Ort. Auch verstand sie das Wort Sklave in diesem Zusammenhang nicht, schon gar nicht, dass sie die Sklavin Toms sei. Ihr wurde sogar unterstellt, dass ihre Schwangerschaft Strategie und Garant für den Eintritt in den Reichtum war. Und schließlich gab es in dieser Geschichte noch eine Moderatorin, Maria, die Haushaltshilfe (und natürlich Sklavin). Cathrin Störmer trat zu bestimmt auf, als dass man sie als Sklavin begreifen konnte. Sie machte ihren Job und kommentierte die Vorgänge, ja sie bewertete sie sogar unterschwellig. Tatsächlich war sie die einzige, die den Eindruck erweckte, frei zu sein. Ihr Angestelltenverhältnis könnte sie jederzeit beenden und sich etwas Neues suchen. Die anderen indes befanden sich alle in einem extremen Abhängigkeitsverhältnis voneinander, sowohl ökonomisch wie auch emotional.

Unterlegt war die Geschichte, die letztendlich in Sprachlosigkeit und Scheitern endete, von Zitaten der ägyptischen Plagen, die Gott dem Pharao gesandt hatte, weil dieser Moses und sein (versklavtes und auserwähltes) Volk nicht ziehen lassen wollte. Bei Schimmelpfennig sind die Plagen menschengemacht, Ausdruck des Klimawandels und einer gescheiterten Zivilisation und deren Gesellschaften. Diese Bilder hatten Poesie und apokalyptische Wucht, waren aber nicht immer leicht einzuordnen und blieben häufig alptraumartige Einsprengsel und Splitter.

Es war Tom, der zuletzt die Forderung aufmachte: „Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsentwurf.“ Doch über diese Forderung hinaus geschah nichts. Man sah zu, wie Maria die Trümmer des Hagelschlags (die 7. Plage) beseitigte und schwieg. Es macht Sinn, vorab zum Alten Testament (2. Buch Mose) zu greifen, und sich über die Plagen noch einmal zu belesen. (Sie sind im Programmheft abgedruckt.) Das schafft mehr Verständnis für die Analogien, die Schimmelpfennig in seinem Text unterbrachte. Und es hebt die ganze Geschichte noch auf eine mythologische Ebene. Mythen sind im Grunde nichts anderes als Folien für das menschliche Verhalten in allen Zeitaltern. Wenn uns oder die gesellschaftlich Verantwortlichen, die wissenschaftlichen Fakten schon nicht beeindrucken, dann vielleicht die Überlieferungen unserer Vorfahren, deren schlimmste Voraussagen sich zu erfüllen beginnen.

Vieles in der Inszenierung von Tilmann Köhler war wirkmächtig und aussagestark, doch ganzheitlich wurde das Werk nicht. Vielleicht konnte es das bei dem ästhetischen Konzept auch nicht werden, denn schließlich handelte es sich um „170 Fragmente einer gescheiterten Unterhaltung“. Das Apokalyptische der biblischen Überlieferung gewann eindeutig die Überhand und wer mag sich darauf schon einlassen? Dabei soll die Musik von Matthias Krieg nicht unerwähnt bleiben. Beinahe unsichtbar wurde der unaufdringliche, aber bedrohliche Klangteppich live von Dorothea Bender/Svenja Hartwig und Matthias Krieg erzeugt. Die Vielzahl der textuellen Wiederholungen ohne sichtbar veränderten Spielkontext führte zu Längen und nicht unbedingt zu Steigerungen des dramatischen Levels.

Der Riss durch die Welt, der uns warnen, aufrütteln, bewegen sollte, war zwar hörbar im Gestammel der Protagonisten, nicht aber fühlbar, bestenfalls ahnbar. Alles das tat der Begeisterung des Premierenpublikums jedoch keinen Abbruch. Und dass der Regisseur letztlich kein Apokalyptiker ist, bewies die Tatsache, dass er nicht zur Verbeugung erschien, da er am Vormittag des Premierentages unerwartet und etwas verfrüht Vater geworden war. Gratulation!

Wolf Banitzki

 


Der Riss durch die Welt

170 Fragmente einer gescheiterten Unterhaltung von Roland Schimmelpfennig

Mit: Oliver Stokowski, Carolin Conrad, Lisa Stiegler, Benito Bause, Cathrin Störmer
Musiker: Dorothea Bender/Svenja Hartwig, Matthias Krieg

Inszenierung: Tilmann Köhler
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.