Cuvilliés Theater Ritter, Dene, Voss von Thomas Bernhard
Ein Polterabend für den Wahnsinn
Wahnsinn und Genie – das war schon immer eine Melange für gute Unterhaltung. Dass heute niemand weiß, wo die Grenzen zwischen beidem sind, ist dabei unerheblich, entscheidend ist, dass es Quote bringt. Genau dieser Quotensucht fiel schon Friedrich Hölderlin zum Opfer, als sein erster Biograf Wilhelm Waiblinger bei seinen konzeptionellen Überlegungen für einen Bestseller ausrief: „Ich brauche einen wahnsinnigen Dichter!“ Und so gilt Hölderlin noch heute als ein Dichter der wahnsinnig war. Wenn sich Thomas Bernhard diesem Thema nähert, dann ist es nie pathologischer Wahnsinn, sondern stets ein aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten resultierender.
So auch bei Ludwig Worringer, Sohn eines Großindustriellen, unbegrenzt vermögend und mit hochfliegenden, zugleich sinnsuchenden philosophischen Ambitionen. Gerade hatte er den zweiten Teil seiner „Logischen Abhandlung“ verfasst. Und wenn es der Geschichte an etwas gebricht, dann ist es Logik. Ludwig ist ein aus der Welt gefallener. Das Verhältnis zu den Eltern war traumatisierend. Es ist am Rande von Inzest des Achtzehnjährigen mit der Mutter die Rede. Ludwig, kaum flügge, nahm Reißaus; ging in eine Blockhütte in den Weiten Skandinaviens, besann sich auf seine philosophischen Ambitionen und versuchte sich an einer renommierten englischen Universität. Letztlich strandete er in Steinhof, einer psychiatrischen Klinik am Rande Wiens. Hier fand er sein eigentliches Zuhause. Ist er wirklich wahnsinnig? Wohl eher nicht, denn seine Hasstiraden auf die Welt, auf die Medizin, die Kunst und die Philosophie, sind die Hasstiraden Thomas Bernhards, und der war bei klarem Verstand, verbittert zwar, ausgestoßen und angefeindet, aber keineswegs wahnsinnig. Obgleich es ihm einige Zeitgenossen, insbesondere die, die sich ertappt fühlen, allzu gern unterstellen würden.
Ludwig hat zwei Schwestern, die eine müßiggängerisch, die andere autistisch-pedantisch, die gänzlich ohne Lebensinhalte dahinvegetieren. Beide nennen sich Schauspielerinnen und in der Tat, sie treten gelegentlich im Josefstädter Theater auf. Sie müssen nicht um die Gunst des Intendanten buhlen, um Rollen zu bekommen, denn der Vater erwarb einundfünfzig Prozent des Theaters und so ist der Intendant den Schwestern hörig. Ob Zweiminutenauftritte als Blinde oder große Rollen in Shakespearestücken, sie haben die freie Wahl.
Die ältere Schwester, hausbacken, blaustrümpfig und devot von Ulrike Willenbacher gespielt, holte Ludwig, den sie über Jahre aufopferungsvoll in der Anstalt gepflegt hatte, aus der Klinik heim. Schon die Umstände dieser Heimholung ließen Schlimmstes ahnen. Die jüngere Schwester, unglaublich lasziv, pantherhaft, renitent und kettenrauchend von Barbara Melzel gestaltet, duldete es, war aber eigentlich dagegen, da sie keinen wirklichen Sinn in der Dreisamkeit sah. Als Familie war dieses seltsame Gebilde ohnehin noch nie intakt. So war der erste Teil des Stückes ein Austausch der Schwestern über das Für und Wider. Dabei öffneten sich wichtige Fenster in die Psyche der geschwisterlichen Verhältnisse, in denen inzestuöse Neigungen, wie in anderen Texten Bernhards auch, immer eine unterschwellige, aber nicht unwichtige Rolle spielten.
Wahnsinn und Genie – das war schon immer eine Melange für gute Unterhaltung. Dass heute niemand weiß, wo die Grenzen zwischen beidem sind, ist dabei unerheblich, entscheidend ist, dass es Quote bringt. Genau dieser Quotensucht fiel schon Friedrich Hölderlin zum Opfer, als sein erster Biograf Wilhelm Waiblinger bei seinen konzeptionellen Überlegungen für einen Bestseller ausrief: „Ich brauche einen wahnsinnigen Dichter!“ Und so gilt Hölderlin noch heute als ein Dichter der wahnsinnig war. Wenn sich Thomas Bernhard diesem Thema nähert, dann ist es nie pathologischer Wahnsinn, sondern stets ein aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten resultierender.
So auch bei Ludwig Worringer, Sohn eines Großindustriellen, unbegrenzt vermögend und mit hochfliegenden, zugleich sinnsuchenden philosophischen Ambitionen. Gerade hatte er den zweiten Teil seiner „Logischen Abhandlung“ verfasst. Und wenn es der Geschichte an etwas gebricht, dann ist es Logik. Ludwig ist ein aus der Welt gefallener. Das Verhältnis zu den Eltern war traumatisierend. Es ist am Rande von Inzest des Achtzehnjährigen mit der Mutter die Rede. Ludwig, kaum flügge, nahm Reißaus; ging in eine Blockhütte in den Weiten Skandinaviens, besann sich auf seine philosophischen Ambitionen und versuchte sich an einer renommierten englischen Universität. Letztlich strandete er in Steinhof, einer psychiatrischen Klinik am Rande Wiens. Hier fand er sein eigentliches Zuhause. Ist er wirklich wahnsinnig? Wohl eher nicht, denn seine Hasstiraden auf die Welt, auf die Medizin, die Kunst und die Philosophie, sind die Hasstiraden Thomas Bernhards, und der war bei klarem Verstand, verbittert zwar, ausgestoßen und angefeindet, aber keineswegs wahnsinnig. Obgleich es ihm einige Zeitgenossen, insbesondere die, die sich ertappt fühlen, allzu gern unterstellen würden.
Ludwig hat zwei Schwestern, die eine müßiggängerisch, die andere autistisch-pedantisch, die gänzlich ohne Lebensinhalte dahinvegetieren. Beide nennen sich Schauspielerinnen und in der Tat, sie treten gelegentlich im Josefstädter Theater auf. Sie müssen nicht um die Gunst des Intendanten buhlen, um Rollen zu bekommen, denn der Vater erwarb einundfünfzig Prozent des Theaters und so ist der Intendant den Schwestern hörig. Ob Zweiminutenauftritte als Blinde oder große Rollen in Shakespearestücken, sie haben die freie Wahl.
Die ältere Schwester, hausbacken, blaustrümpfig und devot von Ulrike Willenbacher gespielt, holte Ludwig, den sie über Jahre aufopferungsvoll in der Anstalt gepflegt hatte, aus der Klinik heim. Schon die Umstände dieser Heimholung ließen Schlimmstes ahnen. Die jüngere Schwester, unglaublich lasziv, pantherhaft, renitent und kettenrauchend von Barbara Melzel gestaltet, duldete es, war aber eigentlich dagegen, da sie keinen wirklichen Sinn in der Dreisamkeit sah. Als Familie war dieses seltsame Gebilde ohnehin noch nie intakt. So war der erste Teil des Stückes ein Austausch der Schwestern über das Für und Wider. Dabei öffneten sich wichtige Fenster in die Psyche der geschwisterlichen Verhältnisse, in denen inzestuöse Neigungen, wie in anderen Texten Bernhards auch, immer eine unterschwellige, aber nicht unwichtige Rolle spielten.
Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Stefan Hunstein © Thomas Dashuber |
Tom Schenk gestaltete ein sehr realistisches Bühnenbild. Aus einer leicht schrägen schachbrettartigen Bühne wuchs die großbürgerliche Pracht der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zu bedrückender Spießigkeit. An allen Wänden zeugten Porträts der Familienpatriarchen, von bedeutenden Künstler gemalt und längst in die Kunstgeschichte eingegangen, von schlechtestem Kunstgeschmack, wie Ludwig meinte. Der Geist, der das Leben der drei Geschwister zerstört hatte, war allgegenwärtig. Und dann waren da die Soßen zum Fleisch, viele Soßen, Lieblingssoßen, in denen alles Gefühl ertränkt wurde. Ludwig schwamm in den Soßen, bis er plötzlich um sich schlug wie ein Ertrinkender. Es waren die Brandteigkrapfen, die seine Fähigkeiten zur Selbstkontrolle außer Kraft setzen. Von da an gab es nur noch Scherben, einen Polterabend für den Wahnsinn, der der Situation innewohnte, nicht den Personen.
Die Hauptfigur war „naturgemäß“ (ein Lieblingswort von Thomas Bernhard) der Bruder Ludwig. Stefan Hunstein bekam mit dieser Rolle die Möglichkeit zur einer Gestaltung, wie man es bei ihm bisher selten sah. Er spielte eine Menge psychischer Macken, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Er war ein Gehetzter, dessen intensive und hypertrophe Gedanken sprunghaft durch die Szenerie geisterten. Sein ruheloser Blick, die ganze Bandbreite von Hass bis Verwunderung beschreibend, glich einem Irrlicht im Sumpf bürgerlicher Verlogenheit. Wenn er aus seinem Tagebuch las, tat er das nur mit einem Auge. So war der Einäugige der Sehende unter den Blinden. Heraus kam ein bedauernswerter Mensch, dessen Verbogenheit sich durch sich selbst erklärte.
Regisseur Antoine Uitdehaag, 1951 in Hertogenbosch in den Niederlanden geboren und somit noch unter dem Einfluss des lebenden und sehr umstrittenen Autors Bernhard gereift, setzte in seiner Inszenierung auf das komödiantische Talent der Darsteller, ohne die Quintessenz des Stückes aus den Augen zu verlieren. Das ist nicht nur in den Dramen von Thomas Bernhard schwierig, denn er verlor sich in seinen Texten lustvoll in endlosen Wiederholungen, Tiraden, Abschweifungen und Sprunghaftigkeiten. Als Stefan Hunstein am Ende in sich zusammengesunken bekannte, dass ihm eine Aspirantur auf den Doktor der Universität Oxford versagt geblieben war, wusste der Zuschauer um die Tragik des begabten, aber durch den Fluch seiner Herkunft fehlgeleiteten Menschen. Der ganze vermeintliche Wahnsinn wurde plötzlich relativ.
Mit dieser Inszenierung hat das Residenz Theater ein Stück im Spielplan, das das Publikum anziehen wird. Es war ein düster-heiterer Abend, der am Ende mit viel Applaus und Bravos für die exzellenten Darsteller und für das Team um Regisseur Uitdehaag bedacht wurde.
Die Hauptfigur war „naturgemäß“ (ein Lieblingswort von Thomas Bernhard) der Bruder Ludwig. Stefan Hunstein bekam mit dieser Rolle die Möglichkeit zur einer Gestaltung, wie man es bei ihm bisher selten sah. Er spielte eine Menge psychischer Macken, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Er war ein Gehetzter, dessen intensive und hypertrophe Gedanken sprunghaft durch die Szenerie geisterten. Sein ruheloser Blick, die ganze Bandbreite von Hass bis Verwunderung beschreibend, glich einem Irrlicht im Sumpf bürgerlicher Verlogenheit. Wenn er aus seinem Tagebuch las, tat er das nur mit einem Auge. So war der Einäugige der Sehende unter den Blinden. Heraus kam ein bedauernswerter Mensch, dessen Verbogenheit sich durch sich selbst erklärte.
Regisseur Antoine Uitdehaag, 1951 in Hertogenbosch in den Niederlanden geboren und somit noch unter dem Einfluss des lebenden und sehr umstrittenen Autors Bernhard gereift, setzte in seiner Inszenierung auf das komödiantische Talent der Darsteller, ohne die Quintessenz des Stückes aus den Augen zu verlieren. Das ist nicht nur in den Dramen von Thomas Bernhard schwierig, denn er verlor sich in seinen Texten lustvoll in endlosen Wiederholungen, Tiraden, Abschweifungen und Sprunghaftigkeiten. Als Stefan Hunstein am Ende in sich zusammengesunken bekannte, dass ihm eine Aspirantur auf den Doktor der Universität Oxford versagt geblieben war, wusste der Zuschauer um die Tragik des begabten, aber durch den Fluch seiner Herkunft fehlgeleiteten Menschen. Der ganze vermeintliche Wahnsinn wurde plötzlich relativ.
Mit dieser Inszenierung hat das Residenz Theater ein Stück im Spielplan, das das Publikum anziehen wird. Es war ein düster-heiterer Abend, der am Ende mit viel Applaus und Bravos für die exzellenten Darsteller und für das Team um Regisseur Uitdehaag bedacht wurde.
Wolf Banitzki
Ritter, Dene, Voss
von Thomas Bernhard
Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Stefan Hunstein Regie: Antoine Uitdehaag |