Cuvilliéstheater Das Ende des Regens von Andrew Bovell
Wir befinden uns im Jahr 2039 in Alice Springs / Australien. Gabriel York erhält einen Anruf von seinem Sohn Andrew Price. Seit Monaten regnet es und in Bangladesch sind bereits ein halbe Million Menschen ertrunken. Die Zeichen stehen auf Weltuntergang und daher hatte Andrew beschlossen, seinen Vater, den er eigentlich nicht kennt, endlich einmal zu besuchen. Gabriel gerät in Panik, denn obgleich er selbst nichts zu essen hat, hat er den Sohn leichtfertig zum Essen eingeladen. Im Moment der höchsten Not regnet es einen Fisch. Das Essen ist gerettet und im Zustand relativer Entspanntheit beginnt Gabriel die 80jährige Geschichte seiner Vorfahren zu erzählen. Es ist eine verworrene Geschichte, in der es einige dunkle Punkte gibt.
Es wird nicht chronologisch erzählt. Scheinbar willkürlich springt die Erzählung in den Zeiten, beginnend in den 1950er Jahren und den Familien Law und York über vier Generationen hin und her. Es bedarf keiner übermäßigen Anstrengung, der Geschichte zu folgen, wenngleich gerade Namensgleichheiten verwirrend sein können. Das Entscheidende ist, dass die Verstrickungen z.T. tragischer Natur sind und Opfer fordern. Die erste Verfehlung, die unsägliche sexuelle Orientierung Henry Laws hat tödliche Folgen für mehr als nur einen Menschen. Die betroffenen Familienmitglieder überschauen die Verstrickungen selbst nicht. Einzig der Zuschauer ist am Ende der Wissende, wenn Gabriel seinem Sohn einige Artefakte aus der Familiengeschichte überreicht, denn der Zuschauer hat erfahren, welche Rolle die Gegenstände spielten.
Wie auch bei „Lantana“ (Metropoltheater im Oktober 2006), handelt es sich um ein dramatisches Konstrukt, das dem Prinzip eines Puzzles folgt. Erst am Ende kennt der Betrachter die Geschichte, ein Prinzip, welches David Lynch zu bisher unübertroffener Vollkommenheit entwickelte. Literarische Konstrukte dieser Art haben häufig einen entscheidenden Mangel: Obgleich die Geschichte meisterlich entwickelt und erzählt ist, mangelt es häufig an literarischem „Blut und Fleisch“ und packt daher nicht unwiderstehlich nach dem Betrachter. Andrew Bovell griff schon in „Lantana“ zu einem sehr probaten Mittel, das die Geschichte zu einem guten Amalgam verschmelzen ließ: Schuhe. In „Das Ende des Regens“ sind es Fische. Ob er sich dabei von Filmen wie „The big fish“ von Tim Burton oder „Arizona Dream“ von Emir Kusturica inspirieren ließ, bleibt dahingestellt. Aber warum etwas nicht mehrfach auflegen, wenn es so gut funktioniert?
Katharina Schmidt, Tom Radisch © Thomas Dashuber |
Dem Regisseur Radu Afrim schien diese Geschichte auf den Leib geschneidert zu sein. Er, der zum ersten Mal in Deutschland inszenierte, entdeckte darin ein großes poetisches Potential und schuf einen faszinierenden Bilderreigen, in dem der (die) Fisch(e) eine nicht unerhebliche Rolle spielte(n). Radu Afrim ist eher ein visueller Regisseur, der den Text von Bovell in poetische, z.T. surreale Bilder decodierte. Helmut Stürmers Bühnenbild im Münchner Cuvilliés Theater war ein in („gebrochenem Weiß“) metallisch grau (der Code für Tristesse) gehaltener großer Raum, der durch drehbare Tore strukturiert wurde, ohne zu begrenzen oder einzuengen.
Es gab viele bewegende Szenen im Stück. Wenn beispielweise die junge Gabrielle York, agil und natürlich gespielt von Michaela Steiger, Gabriel Law erklärte, warum sie ihm seine Unschuld geschenkt hatte, weiß man, dass die beiden für einander bestimmt waren. Gabriel York, der nach Australien aufgebrochen war, um seinen Vater Henry Law zu suchen, konnte nicht ahnen, wie verhängnisvoll diese Reise werden würde. Tom Radisch spielte diese Rolle mit einer virulenten unterschwelligen Nervosität, die sich letztlich über das ganze Geschehen ausbreitete. Lukas Turtur, der den sexuell abnormen Vater spielte, leitete diese bedrückende Spannung mit seinen Qualen vor einem unausweichlichen, weil erzwungenem Coming out ein. Die Bedrohlichkeit endete erst mit dem letzten Gespräch zwischen Gabriel York, Götz Schulte gab einen einsamen Mann an den Grenzen zur Verwahrlosung, und dessen Sohn Andrew Price, gestaltet vom jungenhaften Franz Pätzold. Und als endlich alles gesagt war, war da noch immer der Fisch…
Der Versuch, die Geschichte verständlich und einleuchtend wiederzugeben, kann im Rahmen einer Kritik kaum gelingen. Das soll auch nicht Sinn der Übung sein. Letztlich wünscht sich der Leser einen klaren Hinweis darauf, ob es eine sehenswerte Inszenierung ist. Diese Frage kann guten Gewissens mit einem Ja beantwortet werden. Es sollen nur drei Attribute aufgezählt werden, warum es eine gelungene Geschichte war. Sie war spannend, weil schon ziemlich früh eine Ahnung davon aufkommt, wie kurios, wie verrückt und unberechenbar das Leben mitunter verfährt. Sie war phantastisch, weil in ihr Bilder zu sehen waren, die eine poetische Entsprechung des alltäglichen Lebens waren und sind. Um diese zu malen, bedurfte es allerdings eine Talentes wie Radu Afrim. Und sie war eine gelungene Geschichte, weil sie berührte. Dank des wunderbaren Spiels aller Darsteller geriet ein dramatisches Konstrukt, das ziemlich verrückt anmutete, überaus glaubhaft.
Das Ende des Regens
von Andrew Bovell
Barbara Melzl, Oliver Nägele, Franz Pätzold, Tom Radisch, Katharina Schmidt, Götz Schulte, Michaela Steiger, Lukas Turtur, Andrea Wenzl Regie: Radu Afrim |