Cuvilliéstheater Kinderkriegen von Kathrin Röggla


 

 


Von der Komik des Kinderkriegens

Unsere Kinder sind unsere Zukunft! Was aber, wenn Bestrebungen sichtbar werden, Deutschland aussterben zu lassen? Was, wenn wir immer wieder Menschen ausmachen müssen, die sich ihrer natürlichen Pflicht, die fraglos auch eine moralische ist, entziehen? Die auch noch ganz dreist dazu stehen, dass sie sich nicht fortpflanzen wollen? Dabei gibt es doch nichts Wunderbareres als Kinder! Gut, einmal abgesehen davon dass sie nerven, schmutzen, viel, sehr viel Geld kosten, sich nicht so entwickeln, wie es sich die Eltern vorstellen, letztlich gar nicht mehr funktionieren, mit fünfundzwanzig Jahren noch in der elterlichen Wohnung hocken, Drogen nehmen, nach dem Erbe schielen, das Auto des Vater zu Klump fahren (ohne Führerschein natürlich) und so weiter, und so weiter. Aber ansonsten sind Kinder doch etwas ...

Leider ist es ziemlich schwierig geworden, sich Kinder zu leisten. Man riskiert dabei nichts Geringeres als den Verlust eines Arbeitsplatzes ohne Chance auf Wiedereinstieg  und Armut. Auch kann es passieren, dass man in der schicken Mittelstandssiedlung als asozial betrachtet wir, hat man mehr als 1,2 Kinder. 1,2 Kinder sind gut. So genormt, findet man Verbündete auf Spielplätzen, in fremdsprachigen (vorzugsweise englisch-, aber auch chinesischsprachigen) Kindergärten, wo es wichtig ist, die durch Fernsehen, Computerspielen und Videos pathologisch hyperaktiven Kinder, die allerdings hochbegabt genannt werden, davon abzuhalten, sich umzubringen. Dabei tun sich Mütter und Väter hervor, die es in dieser Form in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat. Hut ab vor der Evolution. Es sind wahre Philosophen, für die die Frage nach Bio oder Nicht-Bio eine existenzielle ist, für die ein gut strukturiertes, auf Argumentation aufgebautes, von gegenseitigem Respekt kündenden Gespräch mit dem 14 Monate alten Spross darüber, ob man dem Nachbarskind die Exkremente ins Gesicht schmieren darf oder nicht, wichtiger ist als die Polio-Impfung. Heraus kommt, dass man die Exkremente grundsätzlich schmieren darf, aber nur in das eigene Gesicht. Alles andere ist nämlich undemokratisch.

Kathrin Rögglas Textvorlage ist eine anarchisches Werk, das weder auf Argumentation, noch auf innere Logik setzt, sondern alle denkbaren Ansätze wuchern lässt, bis sie sich als absurd selbst disqualifizieren. Seltsamerweise verkehrt sich dieser Vorgang in der Realität nicht selten, und die Absurditäten qualifizieren sich um. Sie werden sogar politiktauglich und Bundestagsabgeordnete (Arnulf Schumacher gab einen solchen jovial und unverbindlich) neigen der Situation das Ohr zu. Unsere Kinder sind unsere Zukunft! So verwaschen dieser Satz auch sein mag, punkten kann man damit allemal. Hier findet sich ein ganzes Volk geeint in einer tränentreibenden Befindlichkeit wieder. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im fetten, feisten Deutschland eine halbe Million Kinder hungern oder mangelhaft ernährt sind. 8,8 Mio. Kinder verhungern jährlich weltweit. Das sind in einem Jahr beinahe 3 Mio. mehr, als Juden vom NS-Regime ermordet wurden. Letzteres ist für uns immer noch unfassbar. Ersteres interessiert uns eigentlich gar nicht. Nun, politische Dimensionen hat Kathrin Rögglas Musikstück nur indirekt, ebenso wenig wie die Inszenierung von Tina Lanik. Es war vielmehr ein fulminanter Anarchotrip durch die „Hölle“ des Kinderkriegens, des Kindererziehens und des Elternseins.
 
kinderkri

Ensemble

© Thomas Dashuber

 

Dabei wurden Menschen vorgeführt, die ihre Aufgaben als Eltern stets am Rande des Wahnsinns zu erfüllen suchten. Juliane Köhler, die als „Alte Mutter“ die Welt erst reichlich spät mit ihrer Nachkommenschaft beglückte, ließ gelegentlich sogar Stolz durchblicken, aber nur, wenn sie ihrer Erschöpfung oder ihrer Verwirrung Herr geworden war und der unendlichen Müdigkeit widerstand. Leopold von Verschuer als spätberufener Vater schien mit seiner Vaterschaft ebenfalls die letzte existenzielle Stufe vor der Senilität, der Demenz oder eines wie auch immer gearteten Siechtums erreicht zu haben. Elternschaft ist zu einer unüberwindbaren Hürde geworden, da die Anforderungen wissenschaftlich, ethisch und gesellschaftlich auf höchste Höhen geschraubt wurden. Warum? Ist es Ausdruck der menschlichen Hybris in Bezug auf die eigenen Gene? Die eigenen Ableger sind immer potenzielle Nobelpreisträger. Verkehrte Welt! Niemand nimmt Anstoß daran, wenn Kleinkindern Psychopharmaka verabreicht werden, das Stillen eines Säuglings in der Öffentlichkeit hingegen verletzt unseren guten Geschmack. Erschreckend dabei ist die Verbissenheit, mit der das „Gute“ durchgesetzt wird. Oder, wie der Schauspieler Steven Wright sagte: „I'd kill for a Nobel Peace Prize.”

Ganz anders agierte hingegen Gunther Eckes als „Engagierter“. Wie die Rollenbezeichnung schon andeutet, ist er ein „Vater total“, wenngleich man beiläufig erfuhr, dass sich die Mutter des gemeinsamen Kindes längst auf und davon gemacht hatte. Der obergescheite Kindererzieher bewies nachhaltig seine Untauglichkeit. Sein Äußeres (Kostüme Stefan Hageneier) sprach Bände und ganz sicher ist diese Figur Mitglied der Piratenpartei, wenn ihm die „Selbsthilfegruppe für geschiedene Väter“ nur genug Zeit dazu lässt. Hanna Scheibes Aufgabe als „Kinderlose“ war es, dem Publikum und der Welt den Vorgang des „Aussterbens“ schmackhaft zu machen. Sie tat das mit viel Engagement und durchaus überzeugenden Argumenten. Am Ende jedoch landete sie in den Armen des „Lufthansamenschen“ (Miguel Abrantes Ostrowski), dem Kinder ebenfalls ein Graus waren. Ein „Unfallkind“ war damit vorprogrammiert. Nicht viel von dem, was hier hinein- und herausinterpretiert wurde, fand wirklich so statt. Doch Kathrin Röggla legte derart viele Pfade, dass der Zuschauer am Ende gar nicht mehr wusste, was eigentlich auf der Bühne und was im Kopf des Betrachters verhandelt wurde.

Tina Laniks Inszenierung zwang zu höchster Konzentration, denn es wurde im Chor deklamiert, aber auch im Monolog oder Dialog druckvoll bis hysterisch um Ausdruck gerungen. Stefan Hageneiers Bühnenbild ähnelte einem Tunnel der sich zum Bühnenvordergrund weitete. Er glich einem überdimensionalen Geburtskanal, konnte aber auch als eine größere Metapher für das Leben an sich gedeutet werden. Den Akteuren wurde viel körperlicher Einsatz und eine komödiantische Spielweise abverlangt. Das war unterhaltsam und manchmal auch überraschend. Die Lifemusik von Pollyester verlieh dem Ganzen zusätzlich einen sehenswert schrillen Anstrich. Allein, erhellend war der dramatische Beitrag zum Thema nicht. Man war hinterher „so klug als wie zuvor“. Faustisch war das Vorhaben zwar nicht, doch ein paar deutlichere Überlegungen zum (politischen) Zeitgeist, der ja, was die Kinder im Land betrifft, himmelschreiend ist, wären schon angebracht gewesen. Die gespiegelte Realität kam über weite Strecken komisch daher. Doch sie ist es nicht. Wenn keine beherzte Reaktion auf die Probleme in der Gesellschaft kommen, wird der Satz „Unsere Kinder sind unsere Zukunft!“ bald in Vergessenheit geraten.

 
Wolf Banitzki
 
 

 


Kinderkriegen

Ein Musikstück von Kathrin Röggla

Miguel Abrantes Ostrowski, Ulrike Arnold, Gunther Eckes, Juliane Köhler, Friederike Ott, Hanna Scheibe, Arnulf Schumacher, Leopold von Verschuer
Musiker: Polly / Manuela Rzytki (voc, kb, eb), Manu Dacoll / Thomas Wühr (dr)

Regie: Tina Lanik