Reizwerk Absacker von Petra Wintersteller
Die Liebe ist eine Himmelsmacht
und wer ihr noch nie begegnet ist, der sollte ganz schnell mal auf einen Absacker gehen. Dieser letzte Drink - der mit dem Vergangenen versöhnt, der den Heimweg erleichtert, der den Körper mit der nötigen Bettschwere versieht, der Einsame vor sich selbst bewahrt - ist die beste Medizin. Seine Hochprozentigkeit führt mit hohem Prozentsatz vor allem zu einem, zu Ehrlichkeit gegenüber den anderen und sich selbst. Wie immer das eigene Lebenskonzept auch aussehen mag, es findet seinen Weg in den Äther. Gleich dem Zigarettenrauch, der früher die Bars zu gemütlich nebelschwangeren Orten erhob, gleich dem Rauch erfüllen die ausgesprochenen und die unausgesprochenen Gedanken der Trostsuchenden den Raum. Die Theorie vom Leben und das Leben per se, das sind zwei verschiedene Welten, und es scheint, als würden sie nur hier wirklich zusammenfinden.
Gisela sitzt an der Bar, blättert in einem Magazin, nippt am Cocktail. Es ist schon nach zwei Uhr als Michael das Lokal betritt, mit Koffer, Regenschirm und Rucksack. Und entgegen dem anfänglich geäußerten Wunsch nach einem Cola bestellt er, gleich Gisela, einen Caipirinha. Erste Sätze der Annäherung fallen. Doch sie bleiben nicht die einzigen Gäste. Eine bildhübsche Braut in weißem Kleid sucht verzweifelt Trost. Roland, ein potenter Kerl verbreitet den Erfolgsbericht seiner letzten Stunden im Casino, „Spiel, Gewinn und Stich“ waren so ganz nach seinem Schema. Im Zuge der Annäherung und des Genusses von Erleichterung verschaffender Medizin offenbaren sich die Tragödien der Verzweifelten. Das „Hauptübel“ im Leben ist wohl die Beziehung, wie auch immer, denn: „Die Liebe hat ihren eigenen Kopf.“ ... „.. Kopf gibt es nicht, wohl eher ihre Launen ...“ und über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, Praxis und Theorie ist bisher noch jedeR gestolpert und ... gestürzt, bisweilen mit blutender Nase davongekommen.
Petra Wintersteller, Jörg Hartmann, Christian Ammermüller, Ulrike Dostal © Reizwerk |
Petra Wintersteller, die Autorin, beherrscht die Kunst Dialoge zu schreiben. Die von ihr aufgegriffenen Probleme entstammen dem Zeitgeist im „wirklichen Leben“ und der witzige und spritzige Text ließ sich durchaus wie ein Glas Prosecco genießen, sprudelnd, eben mit leicht trocken saurem Beigeschmack. Die Schauspielerin, Petra Wintersteller, verkörperte Gisela. Ausdauernd saß sie, ganz moderne Frau, an der Bar und fast schien es, als vertrieb sie sich nur die Langeweile mit Lesen, als wartete sie. Auf das Leben? Ihre Mimik spiegelte ausdrucksstark jeden Moment, jede Regung des Inneren. Petra Wintersteller, die Regisseurin, setzte auf das Verbindende, wohl auch die Liebe zu und zum Theater, und flocht daraus ein starkes Band zwischen den Schauspielern – Reizwerk - und zu den Zuschauern.
Den netten und ein wenig unbeholfen wirkenden Michael gab Christian Ammermüller. Er war Neuling in der Szene, die harten Drinks verursachten ihm mehr Probleme – super Schweißausbruch eines ungeübten Trinkers! - als Erleichterung. Allein sein Idealismus blieb ungebrochen, hielt ihn aufrecht bei der Suche nach einem neuen Leben. „Wie man’s macht, macht man’s falsch.“ Susanne hatte so ziemlich alles falsch gemacht, was eine verliebte Frau nur falsch machen kann und erreichte den Tresen im Brautkleid, Tränen hatten das Make-up um die Augen verteilt. Ulrike Dostal schwankte ungemein naiv zwischen Traurigkeit, Enttäuschung und anfangs unspezifischer Wut. Erst im Aufdecken ihrer Geschichte, den unbestechlichen Augen Giselas ausgesetzt, entwickelte sich ihre verwickelte Handlungsweise. Dabei war Susanne „Top-Ware“ wie sich Roland ausdrückte, der noch nie eine Frau bezahlt hatte. Jörg Hartmann spielte mit jeder Geste: „Männer wie ich, sagen was Sache ist.“ Einen wahren Klischee-Macho mit all seinen Schwächen und natürlich auch Stärken stellte er vor den Tresen, bis ... ja bis ...
Und wie es nicht anders sein kann in einem solchen Etablissement, erschien eine Rosenverkäuferin. Mit einer glorreichen neuen Geschäftsidee, einem Werbegeschenk versuchte Sonja Ganzenmüller spitzfindig den ach so banalen Verkaufsvorgang aufzupeppen. Ob es glückte?
Das Stück „Absacker“ wurde an der Theke des Cord Club uraufgeführt. Die realistische Atmosphäre, der Rauch und der Dunst der vielen hier geführten Gespräche, der Gefühlsausbrüche bildete den erfahrbaren Hintergrund, gleich einer unsichtbaren Kulisse fing diese das Publikum ins Geschehen ein. Die Grenzen zwischen Inszenierung und Realität waren fein, sie bestanden, und doch kam für Momente immer wieder die Ungezwungenheit einer verschworenen Gemeinschaft auf. Der Abend - ein wundervolles unterhaltsames Theatererlebnis einer anderen, einer lebendigen Art.
Die Gruppe Reizwerk, das waren die, die Lachmuskel reizten, aber auch jene, die die gesamte Bandbreite der Gefühlskala ausspielten. Und, wer über die Tücken und Fallen, die Unvereinbarkeiten zwischen den Menschen, den Geschlechtern im Weinen lachen kann, hat schon den ersten Schritt in Richtung Glück getan. Das Happy End: Man weiß, dass es so ist!
C.M.Meier
Absacker
von Petra Wintersteller
Jörg Hartmann, Ulrike Dostal, Christian Ammermüller, Petra Wintersteller, Sonja Ganzenmüller, Barfrau: Monika Guggemos |