Tage des Schreckens
Mathilde Westend Tage des Schreckens, der Verzweiflung und der Weltverbesserung
Variationen
„Mach doch jetzt kein Drama draus ...“ Das ist wohl einer jener Sätze, der im Leben aller Frauen in gleicher Weise vertreten ist. Doch was wäre eben jenes Leben, wenn wir es nicht auf subtiler Ebene mit Spannung versehen würden. Ein simpler Kraftakt oder gar pragmatische Konformität? Bloß daran keinen Gedanken verschwenden. Ist doch die täglich notwendige Auswahl des passenden Kleides schon eine Herausforderung und dann erst die „Überraschungen“ des Schicksals. Immer, immer sind diese mit einem Mann verbunden.
Dorothy Parker war eine bewunderte, herzliche, attraktive, intelligente Frau. Und, eine Fülle weiterer, auch gegensätzlicher Eigenschaften zeichneten sie aus. Als Schriftstellerin, Literatur- und Theaterkritikerin stand sie im Mittelpunkt der literarischen Gesellschaft in New York. Sie schrieb über das Leben in höchst unterhaltender Form, wobei sie ihr Sarkasmus bisweilen an Grenzen führte. Die Erzählungen entstanden in den 1930er Jahren und sind (so die Ankündigung): „Skuril, böse, lustig, gnadenlos, spitzzüngig, pointiert: lauter kleine Textjuwelen!“
New York wurde infolge einer Reihe von Farbfotos im Kunstraum heraufbeschworen und mittels dem gleichnamigen Song von Frank Sinatra in Schwingung versetzt. Die Atmosphäre einer Stadt, einer Zeit wurde ausgebreitet. Das Publikum war, gleich einem Freundeskreis in das Geschehen eingebunden. Theresa Hanich und Julia Loibl erspielten bravurös in abwechslungsreicher Szenenfolge Essenzen aus den Erzählungen von Dorothy Parker.
Eine humorvolle Einführung eröffnete den Abend. In einem Tanzsalon wurde die feine kapriziöse Julia Loibl von dem Mann zum Tanzen aufgefordert, den sie zuvor ablehnend beobachtet hatte. Nach 48 Jahren erklang immer noch der selbe Walzer und sie fühlte sich bisweilen ins Schienbein getreten. Welch bedrückend lebensnahe Bilder. In der folgenden Szene besuchte die praktisch erfahrene Theresa Hanich ihre Freundin, welche der Liebeskummer ans Bett fesselte. Ihre gutgemeinten Ratschläge wirkten schon rein verbal erschlagend. Wie viele Eigenschaften vereinigt eine Frau und wie viele davon gestattet sie sich zu leben? In klassischer Spielhaltung bezauberten die beiden Schauspielerinnen, jede eine Seite der unvergleichlichen Dorothy Parker hervorhebend. Beide zierte das gleiche schwarze Kleid mit Spitzenärmel, zierte die gleiche Frisur mit Haarnetz. Wie Frauen einer Zeit, in Garderobe und Gedanken zum Verwechseln ähnlich, saßen sie einander gegenüber. Und, was blieb ihnen, außer mit sich schwankend die Unbill zu ertränken. Auch diese, scheinbar emanzipatorischen Handlungen der Frauen wurden von einem Ritual getragen, einfallslos von der Gegenseite übernommen, zweifellos nachgemacht. Während daraufhin Julia Loibl in der „Ich kann einfach nicht“-Phase, sorgenvoll nach Lebensoptionen suchte, putzte Theresa Hanich akribisch nach strengem Konzept. Die einhellig abschließende Erfahrung lautete: Nur für „erfahrene junge Frauen“ gibt es Perspektiven in der Gesellschaft. Das Exempel veranschaulichten die Schauspielproben, welche die beiden Künstlerinnen in höchst angespannter Trainingshaltung absolvierten. Perfekt ausgebildet und vorbereitet, traten sie vor die Jury. Eine Bewertung lautete: „Alle Register der Schauspielkunst gezogen ... Alle von A-B.“ Der Kommentar steht auf wunderbare Weise auch für die aktuell gelobte Engstirnigkeit in der Welt, ist so vielfach zutreffend, dass man tatsächlich erkennt, es ist viel mehr als nur 24 Buchstaben in Vergessenheit geraten. Allein für die Verbreitung dieses Satzes stünde der Inszenierung, im Sinne von Dorothy Parker, die Bewertung von A-W zu.
Ein sinniger Theaterabend, dessen Erzählungen, die sich um die Wichtigkeiten des Lebens drehen, zeitlos berühren. Die Farbe der Fingernägel, das Warten auf den Anruf des geliebten Mannes, die glamouröse Shopping-Erfahrung. Und, bis zu schmerzlicher Ohnmacht reichte die künstlerisch sehenswerte Aufführung. Theater ist, auch in einer Zeit in der Destruktion und Selbstdarstellung eitel die Bilder prägen, möglich.
C.M.Meier
Weitere Vorstellungen ...
Tage des Schreckens, der Verzweiflung und der Weltverbesserung
Theresa Hanich, Julia Loibl |