Bayerische Akademie der Schönen Künste Die Zukunft des Theaters Vortrag von Peter Michalzik
In der Einführung stellte Dieter Dorn die Frage: „Wieviel alte Tradition muss man zerstören, um eine neue daraus zu machen?“ Das Theater ist in seiner Weltanschauung der „sinnlichen Aufklärung“ verpflichtet.
Bestandsaufnahme
Mit der Definition der aus der Tradition gewachsenen Formen des Theaters, dem Staats- oder Stadttheater und der Freien Szene, begann Peter Michalzik den Vortrag. Der Theater- und Literaturkritiker führte dann in den heute in der Gesellschaft üblichen Kunstraum über. Dieser wurde, wie die gesamte Gesellschaft dem Diktat der Zahlen und der Buchhaltung unterworfen. Hier tat sich mir die erste Frage auf: „Wie frei ist diese Kunstform, wenn sie wie im Feudalismus von Geldgebern abhängig und dem Gesetz der Quote zu folgen, gezwungen wird?“ Doch schon führte der Faden des Vortrages in den Bereich der Förderpraxis, in dem wissenschaftlich gebildete Kuratoren entscheiden. Eine bestimmte Qualität verdient sich in die Veröffentlichung. Der Kunst-Dienstleister wurde kreiert. Doch reicht das für die Gestaltung eines lebendigen autonomen Kunstraumes? Träume und Visionen mussten der wirtschaftlich wissenschaftlichen Prognose weichen. Die Werke von Unkonventionellen, wie Hermann Hesse, Franz Kafka oder Samuel Beckett es in ihrer Zeit waren, verschwänden heute für immer in den Papierkörben, gäbe es die Möglichkeiten des Internets nicht. Denn auch die sogenannte Freie Szene hängt am Tropf des Geldes und das mit Einzel-Projekt-Förderung.
Auf dem Programm steht also, was sich im Sinne der Gesetze und des Geldes darstellen darf. Die „Stimmen der Realität einfangen“, lautet ein Credo, mit dem man sich gesetzestreu im Rahmen bewegend, auf einen neuen Weg machen möchte und doch die breiten Spuren der Vergangenheit weiter austritt. Das betriebswirtschaftliche Motto „Innovation“ vor sich hertragend, stapft man weiter im Kreis. Aufführungen in denen Theaterstücke großer Dramatiker der Destruktion zum Opfer fallen und trotzdem mit dessen Name nach Quote geheischt wird, ein PR-Gag der funktioniert, gehören zum Alltag. Die exzentrische Spielweise vieler Akteure gilt heute als chic, das pure Ausleben der Gefühle für erklärte Kunst. Ähnlich einer neuen Form. Die Performance kreierte sich als nützliche Aktion in der auch viel Beliebigkeit künstlerisch aufbereitet vor das Publikum kommt. Um die sinnliche Erfahrung von der Konzentration auf den Menschen abzulenken und die Wahrnehmung offensichtlich zu erweitern, gehören Videoinstallation und Musikeinlagen zum Selbstverständnis auf den Bühnen. Das Theater wurde auch zur „Kommunikationszentrale für die Zukunft“ erklärt. Hier werden aktuelle Themen der Gesellschaft ausgebreitet und verhandelt. So wie die Erde sich um sich selbst dreht, dreht sich die Theaterwelt um sich selbst - im Mittelpunkt die gesellschaftlichen Befindlichkeiten im Rahmen der Gesetze eines Geldmarktes, eines Wirtschaftsmarktes, eines Kunstmarktes. Immer schneller schneller schneller. Diese Zukunft ist so zum Bestandteil der Gegenwart geworden und Visionen werden durch die aktuellen künstlerischen Vorstellungen ersetzt, verschwimmen zu einem Abbild von beliebiger Realität. Alles scheint möglich.
Der realistisch fundierte Vortrag endete mit dem Fazit: „Theater schafft sich seine Zukunft selbst.“, so Peter Michalzik. Das ist eine wunderbare Äußerung, welche den Übergang der Gegenwart in eine undefinierte Zukunft reflektiert, in dem zu verharren man sich gezwungen sieht.
Die gesellschaftliche Bewegung in die Zukunft ist mit der Fahrt auf einer Rolltreppe vergleichbar. Die Figur steht still, die Treppe bewegt sich in gleichmäßigem Tempo, die Bilder der Außenwelt fahren vorbei ohne Eindrücke zu hinterlassen. Die Figur steht neben anderen, sie tauschen allgemein geteilte Eingaben in Form von Text und Bild aus. In der Vergangenheit bewegte sich der Mensch, lief eine Treppe hoch. Er verließ bisweilen den ausgetretenen Pfad der Mitte, sprang nach rechts oder nach links, änderte das Tempo, berührte einen anderen Menschen, sog den ihn umgebenden Duft der Zeit ein. Bewegung bedeutete Veränderung, bedeutete persönliche Erfahrung, die in den Lebensprozess einfloss. Doch dieser scheint zum Stillstand verdammt. Nur die Datenmengen zwischen den Figuren bewegen die Luft.
Ist die Zukunft also eine Illusion von im Scheinwerferlicht schillernden elektrischen Daten, die zu Bildern und Tonfolgen komprimiert werden? Oder rückt doch naturgemäßes Leben wieder in Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - löst die Zahlenwelt ab? Doch was leben, wenn schon alles gelebt ist? Was sagen, wenn schon alles gesagt ist? „Ever tried.Ever failed.No matter. Try again.Fail again. Fail better.“, schrieb Samuel Beckett. So nährt sich eine Hoffnung, dass die Theaterstücke der Klassik und der Moderne auf den Bühnen weiterhin von lebendig beseelten Künstlern inszeniert werden mögen. Und, dass auch die individuelle Dramatik, der lebendige Dialog in dem frische freie Geister sich in der Bühnenwelt versuchen, wieder in den Mittelpunkt rückt.
C.M.Meier
Do 18.02.16