Tosca

Allerheiligen-Hofkirche Tosca von Giacomo Puccini


Im Schatten des Diktators Duce

Puccini in der Kirche? Warum nicht. Immerhin beginnt der erste Akt der Oper „Tosca“ in der Kirche St. Andrea della Valle in Rom. Die Kirche, wohlgemerkt nicht das Gebäude sondern die Institution, würde sich über Stimmungswerte, wie sie Puccinis Opern seit mehr als einhundert Jahren entfesselt, glücklich schätzen. Worauf beruht diese ungebremste Begeisterung für Puccinis Musik? Nun, zuallererst wohl auf der Wahrhaftigkeit, die seinen Werken innewohnt. Immerhin gilt er als ein Hauptvertreter des Verismus. (Der Begriff meint die vorbehaltlose und sozialkritische Darstellung der Wirklichkeit.) Doch Wahrhaftigkeit allein reicht selten aus, um Erfolge zu generieren. Dazu bedarf es noch einiger anderer Zutaten, über die Giacomo Puccini allerdings reichlich verfügte, nämlich seine einzigartige melodische Begabung und auch sein treffsicheres Gespür für einen wirksamen dramatischen Stil. Seine Mischung aus Weltschmerz und leiser Melancholie, kontrastiert mit explosiven Ausbrüchen von Natürlichkeit verleihen seinen Arbeiten einen unwiderstehlichen Magnetismus. Wenn das Ganze dann noch in großen und großartigen Bildern stattfindet, ist der Erfolg garantiert.

Und hier kommt „Opera incognita“ ins Spiel, die mit „Tosca“ in der Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz den Beweis erbrachten, dass es auch eine Nummer kleiner geht und das Werk dennoch inhaltliche und ästhetische Überzeugungskraft entwickelt. Zur Geschichte des von den Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach der Vorlage von Victorien Sardou geschaffenen Stückes, das in der Zeit der Napoleonischen Kriege angesiedelt ist: Der ehemalige Konsul und politische Gefangene Angelotti ist die Flucht aus der Engelsburg gelungen. Er findet Unterschlupf bei dem Maler Cavaradossi. Der Polizeichef Scarpia nimmt die Fährte des Flüchtigen auf, stößt ebenfalls auf Cavaradossi und nimmt diesen in Gewahrsam. Cavaradossis Freundin, Floria Tosca, eine berühmte Opernsängerin und Objekt der sexuellen Begierde Scarpias, ist eigeweiht.

Scarpia lässt Cavaradossi foltern, um aus Tosca den Aufenthaltsort Angelottis zu erpressen, der sich inzwischen in einem unauffindbaren Versteck in Cavaradossis Landhaus befindet. Tosca erträgt die Folter ihres Geliebten nicht und verrät das Versteck. Angelotti nimmt sich das Leben, ehe man seiner habhaft werden kann. Cavaradossi wird, auch wegen seiner Freude über die Niederlage Napoleons bei Marengo, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Scarpia bietet der liebenden Frau einen Deal an, in dem er Begnadigung und einen Passierschein für beide offeriert. Der Preis: Tosca muss sich Scarpia hingeben. Die Erschießung Cavaradossis soll nur scheinbar erfolgen. Nachdem Scarpia den Passierschein ausgestellt und unterschrieben hat, ersticht Tosca den Tyrannen, ehe er sich an ihr vergreifen kann. Der Scherge Scarpias, Spoletto, lässt die Erschießung Cavaradossis jedoch vollstrecken und Tosca stürzt sich in ihrer Verzweiflung von der Balustrade der Engelsburg.

 
  Tosca  
 

Dorothee Koch und Rodrigo Trosino

© Misha Jackl

 

Regisseur Andreas Wiedermann transponierte die Geschichte in die Zeit des Faschismus in Italien. Anstelle von Napoleon wirft der Duce seine langen Schatten über das Land. Dessen Handlanger passen sich mühelos ein in die andere Zeit. Schurken sind halt zeitlos, ebenso die Liebe und auch die Eifersucht. Auch das ist ein Ausdruck für Wahrhaftigkeit. Eine recht radikale Strichfassung machte das Musikdrama in drei Aufzügen zu einem Kammerspiel. Ebenso erging es der Partitur, die Ernst Bachmann für das Orchester Opera Incognita und ein Klavier umarbeitete. Es blieb eine hochdramatische Dreiecksgeschichte, der es an Klangfülle keineswegs mangelt.

Um die große Bildhaftigkeit, die sich auf der kargen Bühne von Barbara Gruber naturgemäß nicht einstellen konnte, zu kompensieren, kam der Live-Zeichner Stefan Dinter zum Einsatz, dessen Zeichnungen mit einem Videobeamer an die Rückwand des Chorraumes projiziert wurden. Stefan Dinter schuf dabei die Bilder, die hinter den intimen Geschichten der Protagonisten standen, quasi das öffentliche Antlitz der Figuren, wie das Bildnis der Gräfin Attavanti, gespielt von Elisabeth Margraf, Auslöser von Eifersucht bei Tosca. Um beispielsweise das politische Koordinatensystem zu bezeichnen, wuchs ein übermächtiger Duce in Schwarz mit blutrotem Umhang bedrohlich unter den Pinselstrichen Dinters. Aber auch die gefeierte Tosca in der Pose der Operndiva erfuhr einen zutreffenden Ausdruck in aquarellistischer Form.

Die Idee, die großen „Bühnenbilder“ als Zeichnungen zu implantieren, war nicht nur gelungen, sondern auch eine bemerkenswerte ästhetische Erfahrung. Gerade bei Puccini neigen Inszenatoren zu Opulenz, die nicht selten an die Grenzen des Kitschs gelangen, was nicht immer wohl gelitten ist. In dem hier besprochenen, sehr radikalen Ansatz konnte das gar nicht passieren. Diese Inszenierung hatte indes einen wunderbaren Nebeneffekt. Sie bewies in aller Schnörkellosigkeit die Macht der Geschichte, denn sie muss gänzlich ohne theatralen Bombast auskommen. Das könnte man auch eine Nagelprobe nennen, die das Werk bestand.

Auf sinnlichen Genuss musste indes nicht verzichtet werden, denn gesanglich überzeugten die Darsteller unbedingt. Allen voran naturgemäß Dorothee Koch als Floria Tosca. Ihr kaufte man die zärtliche Liebe zum Maler Mario Cavaradossi ebenso ab wie ihre Eifersucht auf ihn. Rodrigo Trosino als Mario Cavaradossi gestaltete seine Rolle sanft und verschmitzt-witzig. Bei dieser Figur stellt sich seit Anbeginn dieses Werkes, also seit 1900, die Frage, welchen Grund Cavaradossi hat, Cesare Angelotti, Thomas Greimel spielte ihn erbarmungswürdig gefoltert, zu helfen. Immerhin handelt es sich um einen Staatsverbrecher. Rodrigo Trosino schuf mit seiner Gestaltung eine Figur, die zu großer Liebe fähig und treu ist. Er ist Patriot und als Maler malte er (bei Puccini) Marienbildnisse. So einer ist ein Guter, dessen Moral ihn zum Handeln zwingt und der nicht danach fragt, welche Konsequenzen sein Tut hat. Diesen Eindruck gewann man immerhin in Wiedermanns Inszenierung.

So sanftmütig und gut Rodrigo Trosino seinen Cavaradossi auf die Bühne brachte, so böse, verschlagen und gewalttätig gestaltete Robson Tavares seine Rolle als Baron Scarpia. Er verglich sich dabei selbst mit dem vielleicht intrigantesten und destruktivsten Mann der Literaturgeschichte. Er zitierte Shakespeares Jago, dem ein Tuch ein gutes Instrument war, um Zwietracht und Eifersucht zu säen. Für Scarpia war es ein Fächer, der die Liebe vergiftete. Immerhin, er war nicht sonderlich erfolgreich mit seinen Intrigen und so blieb ihm nur noch die blanke Gewalt. Ein willfähriger Helfer war ihm dabei Spoletta. Martin Summer verlieh ihm den Habitus eines verknöcherten Beamten, frei von Empathie und pragmatisch. Allerdings war er der letzte Überlebende, und, wenn ein historischer Vergleich erlaubt ist, ein Joseph Fouché in Westentaschenformat.

So gut, wie das Regiekonzept funktioniert hat, so wunderbar war die musikalische Begleitung durch das Orchester Opera Incognita mit nur sechs Musikern und dem musikalischen Leiter Ernst Bartmann am Flügel. Es war erstaunlich, wie Bachmanns Arrangements trugen und den Raum erfüllten. Es mangelte weder an Dramatik, noch an lyrischen Momenten. Um es einmal ganz lax zu formulieren: Das nenne ich Effizienz! Chapeau!

Mit „Tosca“, soviel ist gewiss, setzte das Unternehmen „Opera Incognita“ seinen sowohl erstaunlichen, wie auch erfrischend neuen und gewagten Umgang, „Tosca“ ist eines der radikalsten Experimente, mit den Genre Oper fort. Was bleibt da noch zu sagen: Weiter so!

Wolf Banitzki


Tosca

von Giacomo Puccini

Mit: Dorothee Koch, Rodrigo Trosino, Robson Tavares, Martin Summer, Thomas Greimel, Elisabeth Margraf, Pascal Wilfer, Lukas Huge und mit dem Orchester Opera Incognita und dem Live-Zeichner Stefan Dinter

Regie: Andreas Wiedermann

Musikalische Leitung / Piano: Ernst Bartmann


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