Theater Installation in der Galerie Kullukcu Die letzten Tage der Menschheit oder der Untergang der Welt durch schwarze Magie
Apokalypse Now oder Die Übermarionette – World War I
Galerie Kullukcu – Schillerstraße 23. Nein, nicht die Schellingstraße an der Universität. Ja, die Schillerstraße am Hauptbahnhof, direkt zwischen rosa Schaufenstern und Computerläden, Juwelieren und Geldwechselstuben. Ich kam zu spät, hatte mich verfahren.
Nachdem ich einen Parkplatz im eingeschränkten Parkverbot ergattern konnte (Wikipedia: „Kraftfahrzeuge dürfen nicht länger als drei Minuten halten“), sah ich das Schild: KULLUKCU, trete ein. Intuitiv stieg ich das Treppenhaus mehrere Stockwerke aufwärts und begegnete im dunklen Gang einem Mann in Turban und mit Pistole in der Hand – ja, in meiner Vorstellung: in Ahnung der Grausamkeiten des Ersten Weltkrieges. Mich darauf einzulassen, forderte mir ungeheure Kräfte ab – und sagte „Hallo“. Der Mann kam zum Beten hierher. Ich dankte ihm. Ein Stock weiter oben, da war es. Ich wurde eingelassen, still, wie bei einer Mediation, saßen die Menschen andächtig. Susanna, die das Stück schon fünf mal gesehen hatte, begrüßte mich mit einem Lächeln und es ging los.
In einer Zeit der Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit suchen die Menschen nach einem alles „übergreifenden Sinn“, der „alle vereint“. Die Vibrationen eines gefilterten Oszillators trugen die Stimmen in der Dunkelheit. Kleine, antennenartige Tischlämpchen, die wie Insektenfühler anmuten, kreisten und beleuchteten eine virtuelle Szenerie, konkret wie Modelleisenbahndeko, Zinnfigurenansammlungen und Raumfahrtplastikminiaturen. Das Video-Live-Bild wurde geführt von Anton Kauns Hand, der sich in München unter dem Pseudonym „Rumpeln“ einen Namen gemacht hat.
„Wir trinken Blut, wir trinken es heiß, wir treiben den Preis“ - eine Raumsonde schwebte per Nylonfaden vom Kosmos herunter, während wir das rituelle Tieropfer zur Rechten mit Erschaudern sahen und nicht sehen wollten, auf der frontalen Projektionsfläche die Übermarionette, die Edward Gordon Craig doch immer gefordert hatte und ich nie verstand, wie das im Theater aussehen soll – jetzt wusste ich es endlich.
Der Kameramann Anton lud mich auf ein Gläschen Wein ein. Drei Männer waren, Dominik und Bülent, mit ihm auf der Bühne. Ich schnappte mir das Buch „Das Theater der Grausamkeit“ von Antonin Artaud, das ich plötzlich, bei hellem Schein der Publikumsbeleuchtung auf meiner Sitzbank auffand. Was war das eigentlich? Hier las ich es, ein „Schmeltztiegel aus Feuer und wirklichem Fleisch“.
Wie wirklich ist der erste Weltkrieg, wenn ein Soldat zu seinem Stolz hinzufügt, er hätte auch was für seine Untergebenen getan – indem er neben der Massakrierung ihrer Gesichter ihnen auch das Mädchen, welches er vergewaltigt hatte, überließ. Bitte verstehen Sie mich, wenn ich hier auf weitere Zitate aus dem Werk von Karl Krauss verzichte.
Ich sprach mit Bülent Kullukcu. Eine „Negativ-Meditation“ nennt er seine Arbeit. Susanna, die Dame, die hier in der Gallerie Kullukcu an der Bar und am Einlass arbeitet, kann immer besser verstehen, was Karl Krauss eigentlich gemeint hatte. Der Autor sprach von einem Bürgerkrieg, einem Krieg im Innern, der den äußeren Krieg eigentlich erst möglich macht.
Wie aktuell ist ein Karl Krauss von 1918, wenn wir uns immer noch Phrasen wie „Kopf hoch“ und den „Mut nicht sinken lassen“ in Situationen sagen, die, wer weiß wie weit entfernt von denen des Soldaten in den letzten Tagen der Menschheit sind, dessen Stimme computergenerierte Softwaredemo ist?
Robert Hofmann, dem Geschäftsführer des i-camp, ist München manchmal etwas zu klein. Er war ebenfalls Gast der heutigen Aufführung und ich befragte ihn über Aufgabe des Theaters. Herr Hoffmann äußerte sich zur Problematik des Spagats zwischen Däumchendreherpublikum und der Schwierigkeit, Menschen in den Zustand der Selbstreflexion zu bringen - „was hier hervorragend funktioniert“, so Hoffmann.
Das Bühnenbild, nachträglich wie eine Ausstellung zu besichtigen, erinnerte an Labortische, jetzt, da die strategische Kriegsführung abgeschlossen, unbewegt, nur noch virtuell oder im Geiste gesehen werden konnten. Doch eine Requisite fiel aus dem Rahmen: das Keyboard – die Musik. Wenn unsere Computertechnologie mitsamt Audio und Video sich nicht ebenfalls den gleichen Ursprung teilen müsste, den Krieg.
Da die Aufführung des Originalwerks zehn Tage gedauert hätte, stellte uns Bülent Kullukcu Raketen zur Verfügung, um den Aufenthalt auf dem Mars vorweg zu nehmen. Der wäre notwendig gewesen, um das Stück zu verstehen, mit Abstand - „Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene“ (Krauss). Die Vielfalt der computergenerierten Stimmen (weiblich, männlich, Belgisch, Deutsch, unverständlich, rück Wärts gesprochen), der Chor - wie im antiken Theater - kann die Schlagkraft menschlicher Gewalt in unserem Bewusstsein kaum mildern, welche nur wenige Sätze oder Passagen aus dem Untergang der Welt durch schwarze Magie verursachen.
Die neuen Technologien (selbst Krauss machte nichts anderes als „copy&paste“ in seiner fünfaktigen Tragödie, in der er die Welt in ein Werk zusammenfasste), gegen deren Erprobung im Krieg sich der Dramatiker, wie gegen Hetzjournalismus, zu seiner Zeit wandte, haben auch heute am menschlichen Verhalten nicht viel geändert. Ganz untrennbar davon, beschrieb der Regisseur als Schwarze Magie etwas, das, losgelöst von der originären, alle Geschicke leitet, und nur noch für sich selber steht. Vielleicht ist sich das Individuum in Massen ja wirklich nicht bewusst, dass es mit Technologie nicht nur mehr unschuldige Magie betreibt?
"In einer freien Gesellschaft ist es so, dass Medien frei entscheiden" zitierte süddeutsche.de den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, zur aktuellen Berichterstattung Breivik, die Kullukcu als Beispiel zu meiner Frage der Gegenwärtigkeit seiner Aufführung nannte. „Für das eigene Verhalten“, so Kullukcu, „ist jeder selbst verantwortlich“. Mit seiner endgültigen Antwort verblieb er einfach: „Entweder man entscheidet sich für das Gute oder das Böse. Soviel ist da nicht dazwischen.“
Auch an diesem Sonntag hatte ich kein „Pickerl“ an meiner Frontscheibe im eingeschränkten Halteverbot. Es regnete. Ich glaube, ich komme am Freitag noch mal in die Schillerstaße. Susanna, verabschiedete mich mit „bis bald!“.
Wie aktuell ist ein Karl Krauss von 1918, wenn wir uns immer noch Phrasen wie „Kopf hoch“ und den „Mut nicht sinken lassen“ in Situationen sagen, die, wer weiß wie weit entfernt von denen des Soldaten in den letzten Tagen der Menschheit sind, dessen Stimme computergenerierte Softwaredemo ist?
Robert Hofmann, dem Geschäftsführer des i-camp, ist München manchmal etwas zu klein. Er war ebenfalls Gast der heutigen Aufführung und ich befragte ihn über Aufgabe des Theaters. Herr Hoffmann äußerte sich zur Problematik des Spagats zwischen Däumchendreherpublikum und der Schwierigkeit, Menschen in den Zustand der Selbstreflexion zu bringen - „was hier hervorragend funktioniert“, so Hoffmann.
Das Bühnenbild, nachträglich wie eine Ausstellung zu besichtigen, erinnerte an Labortische, jetzt, da die strategische Kriegsführung abgeschlossen, unbewegt, nur noch virtuell oder im Geiste gesehen werden konnten. Doch eine Requisite fiel aus dem Rahmen: das Keyboard – die Musik. Wenn unsere Computertechnologie mitsamt Audio und Video sich nicht ebenfalls den gleichen Ursprung teilen müsste, den Krieg.
Da die Aufführung des Originalwerks zehn Tage gedauert hätte, stellte uns Bülent Kullukcu Raketen zur Verfügung, um den Aufenthalt auf dem Mars vorweg zu nehmen. Der wäre notwendig gewesen, um das Stück zu verstehen, mit Abstand - „Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene“ (Krauss). Die Vielfalt der computergenerierten Stimmen (weiblich, männlich, Belgisch, Deutsch, unverständlich, rück Wärts gesprochen), der Chor - wie im antiken Theater - kann die Schlagkraft menschlicher Gewalt in unserem Bewusstsein kaum mildern, welche nur wenige Sätze oder Passagen aus dem Untergang der Welt durch schwarze Magie verursachen.
Die neuen Technologien (selbst Krauss machte nichts anderes als „copy&paste“ in seiner fünfaktigen Tragödie, in der er die Welt in ein Werk zusammenfasste), gegen deren Erprobung im Krieg sich der Dramatiker, wie gegen Hetzjournalismus, zu seiner Zeit wandte, haben auch heute am menschlichen Verhalten nicht viel geändert. Ganz untrennbar davon, beschrieb der Regisseur als Schwarze Magie etwas, das, losgelöst von der originären, alle Geschicke leitet, und nur noch für sich selber steht. Vielleicht ist sich das Individuum in Massen ja wirklich nicht bewusst, dass es mit Technologie nicht nur mehr unschuldige Magie betreibt?
"In einer freien Gesellschaft ist es so, dass Medien frei entscheiden" zitierte süddeutsche.de den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, zur aktuellen Berichterstattung Breivik, die Kullukcu als Beispiel zu meiner Frage der Gegenwärtigkeit seiner Aufführung nannte. „Für das eigene Verhalten“, so Kullukcu, „ist jeder selbst verantwortlich“. Mit seiner endgültigen Antwort verblieb er einfach: „Entweder man entscheidet sich für das Gute oder das Böse. Soviel ist da nicht dazwischen.“
Auch an diesem Sonntag hatte ich kein „Pickerl“ an meiner Frontscheibe im eingeschränkten Halteverbot. Es regnete. Ich glaube, ich komme am Freitag noch mal in die Schillerstaße. Susanna, verabschiedete mich mit „bis bald!“.
Dominik Tresowski
Die letzten Tage der Menschheit
oder der Untergang der Welt durch schwarze Magie
von Bülent Kullukcu
Video: Anton Kauns |