Halle 7 Casting in Kursk von Alexander Galin
Russland sucht den Superstar
"Casting in Kursk" zum Auftakt der neuen Staffel des Theaters Halle 7
In Zeiten, in denen Sendungen wie "Germany's next Topmodel" oder "Deutschland sucht den Superstar" die Einschaltquoten zuverlässig in die Höhe treiben und der geneigte Zuschauer miterleben und -leiden darf, wie sich mehr oder minder begabte Selbstdarsteller vor einer unbarmherzigen Jury zum Affen machen, scheint die Entscheidung, Alexander Galins "Casting in Kursk" auf die Theaterbühne zu bringen, mehr als nur folgerichtig.
Claus Peter Seifert inszeniert und weiht mit der Premiere des 2000 in Moskau uraufgeführten Stücks des russischen Erfolgsautors auch gleich die neuen Räumlichkeiten des Theaters Halle 7 auf dem Optimolgelände ein. Deren Verortung in einer der etabliertesten Partyzonen Münchens sowie die Tatsache, dass eine Etage höher bis vor einigen Jahren das horizontale Gewerbe sein "Unwesen" getrieben haben soll, können als augenzwinkernde Schmankerl betrachtet werden.
In der gar nicht mehr so düsteren darkBOX versetzt Annika Fischer (Bühne und Kostüme) das Publikum von Anfang an optisch und olfaktorisch in östliche Sphären. Dafür sorgen großzügig auf der aus Paletten zusammengeschusterten, absolut Absatz-unfreundlichen Bühne verteilte Kartoffeln und Zwiebeln sowie eine nicht zu übersehende Reihe leerer Wodkaflaschen im Hintergrund. Dieses Casting findet offensichtlich nicht in einem sterilen Fernsehstudio statt. Ein alter Kinosaal, in dem nicht nur das "Vom Winde verweht"-Plakat von besseren Zeiten erzählt, ist Schauplatz eines Defilees von Traumtänzern, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den eiseskalten Raum treibt.
"Casting in Kursk" zum Auftakt der neuen Staffel des Theaters Halle 7
In Zeiten, in denen Sendungen wie "Germany's next Topmodel" oder "Deutschland sucht den Superstar" die Einschaltquoten zuverlässig in die Höhe treiben und der geneigte Zuschauer miterleben und -leiden darf, wie sich mehr oder minder begabte Selbstdarsteller vor einer unbarmherzigen Jury zum Affen machen, scheint die Entscheidung, Alexander Galins "Casting in Kursk" auf die Theaterbühne zu bringen, mehr als nur folgerichtig.
Claus Peter Seifert inszeniert und weiht mit der Premiere des 2000 in Moskau uraufgeführten Stücks des russischen Erfolgsautors auch gleich die neuen Räumlichkeiten des Theaters Halle 7 auf dem Optimolgelände ein. Deren Verortung in einer der etabliertesten Partyzonen Münchens sowie die Tatsache, dass eine Etage höher bis vor einigen Jahren das horizontale Gewerbe sein "Unwesen" getrieben haben soll, können als augenzwinkernde Schmankerl betrachtet werden.
In der gar nicht mehr so düsteren darkBOX versetzt Annika Fischer (Bühne und Kostüme) das Publikum von Anfang an optisch und olfaktorisch in östliche Sphären. Dafür sorgen großzügig auf der aus Paletten zusammengeschusterten, absolut Absatz-unfreundlichen Bühne verteilte Kartoffeln und Zwiebeln sowie eine nicht zu übersehende Reihe leerer Wodkaflaschen im Hintergrund. Dieses Casting findet offensichtlich nicht in einem sterilen Fernsehstudio statt. Ein alter Kinosaal, in dem nicht nur das "Vom Winde verweht"-Plakat von besseren Zeiten erzählt, ist Schauplatz eines Defilees von Traumtänzern, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den eiseskalten Raum treibt.
Erika Ceh, Angela Eickhoff , Britta Scheerer, Sonia Abril Romero, Susanne Lehmann, Glenn Giera-Bay © Hilda Lobinger |
Endstation Sehnsucht
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein diese Frauen, die zu Beginn nacheinander auf die Bühne taumeln. Rein optisch bietet sich ein hinreißendes Panoptikum modischer Scheußlichkeiten der 1980er Jahre: Militärparka, Push-up BHs, Micro-Miniröcke und biederes Kostüm werden gepaart mit abenteuerlichem Make-up und einer den CO2-Ausstoß gefährlich in die Höhe treibenden Menge Haarspray.
Olga, Nina, Tamara und die ihre Töchter Lisa und Katja begleitende Warwara (Christine Kättner erspielt sich als gewieft-patente, die Truppenmoral hochhaltende Mutter Courage Sympathiepunkte) haben den Fehler begangen, den Anzeigentext der japanischen Firma im örtlichen Lokalblatt wörtlich zu nehmen: Frauen gesucht, sängerische und tänzerische Begabung von Vorteil. Was genau für die Nightshow in Singapur gesucht wird, blutjunge Mädchen nämlich, die gestresste Männer möglichst unbekleidet und lasziv vom Alltag ablenken, ist offensichtlich. Conferencier Albert (Glenn Giera-Bay) sieht sich zu seinem Schrecken mit sechs Damen konfrontiert, die ihrem Beharren auf Teilnahme und faire Bewertung nachdrücklich Ausdruck verleihen und damit die Durchführung des Castings des jungen, schönen und zeigefreudigen Teils der Kursker Bevölkerung empfindlich erzögern.
Fortgeschrittenes Alter, Ehemänner und überflüssige Pfunde scheinen irrelevant angesichts der "künstlerischen" Fähigkeiten der Anwesenden. Was dem eiligst herbeigeholten japanischen Firmenvertreter (Taro Berger ist im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos und überzeugt mit auf den Punkt gebrachter reduzierter Mimik und Gestik) im Laufe des Abends präsentiert wird, ist zugleich lustig und in seiner verzweifelt-inbrünstigen Unbeholfenheit herzzerreißend. Geologenlied, Zaubershow im Tigeroutfit, ein Schlangentanz, bei dem Mary Wigman die Tränen gekommen wären oder die Schulmädchen-Version eines Lesbenstrips, alle geben ihr Bestes. Der Mut der Verzweiflung treibt an, Warjas Selbstgebrannter tut sein Übriges.
Trotz aller Situationskomik bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück. Alexander Galin beschreibt Situationen, die bekanntermaßen nicht nur in Russland gang und gäbe sind. "Ich habe nichts mehr zu verkaufen außer meinem Körper" - Prostitution als letzter Ausweg aus Armut, Ehehölle oder desolaten familiären Verhältnissen. Die Bilder, die Claus Peter Seifert auf die Bühne bringt, kennt man; wenn nicht aus persönlicher Erfahrung dann doch zumindest aus dem Fernsehen. Wenn Erika Ceh und Britta Scheerer als Nina und Katja Wolkowa versucht verrucht die Höschen fallen lassen, wirkt das trotz der Bühnen-Situation in seiner Unbeholfenheit so realitätsnah, dass man eigentlich eigentlich lieber wegschauen würde.
Die Ankunft der Ehemänner verbessert die Situation keineswegs. Wassili (Patrick Hellebrand) zerlegt enthemmt die Bühne, weil Gattin Tamara (Susanne Lehmann) die ihr geschenkten Filz-Pantoffeln nicht in gebührendem Maße würdigt. Boris (Anton Koelbl als pseudo-intellektueller, rückgratloser Softie) säuselt so lange, bis seine nach einem richtigen Mann lechzende Frau Nina (schön bieder: Angela Eickhoff) kurzfristig zu erwägen scheint, sich dauerhaft dem eigenen Geschlecht zuzuwenden. Und Rudi Knauss gibt den selbstzufriedenen Neureichen Puchow, der sich mit seiner alles-ist-käuflich Mentalität nur beim männlichen Teil der Anwesenden Freunde macht.
Galins Figuren sind auf der Suche. Nach Halt, Liebe, Rollenbildern oder der eigenen (Geschlechts-)Identität. Traurige Seelen, die für ein bisschen Glück und finanzielle Sicherheit alles geben würden. Am Ende dieses Theaterabends ist ihr Schicksal ungewiss, aber man wünscht ihnen alles Gute. Alltägliche Geschichten wie das Leben sie schreibt - packend inszeniert und mit Herzblut umgesetzt.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein diese Frauen, die zu Beginn nacheinander auf die Bühne taumeln. Rein optisch bietet sich ein hinreißendes Panoptikum modischer Scheußlichkeiten der 1980er Jahre: Militärparka, Push-up BHs, Micro-Miniröcke und biederes Kostüm werden gepaart mit abenteuerlichem Make-up und einer den CO2-Ausstoß gefährlich in die Höhe treibenden Menge Haarspray.
Olga, Nina, Tamara und die ihre Töchter Lisa und Katja begleitende Warwara (Christine Kättner erspielt sich als gewieft-patente, die Truppenmoral hochhaltende Mutter Courage Sympathiepunkte) haben den Fehler begangen, den Anzeigentext der japanischen Firma im örtlichen Lokalblatt wörtlich zu nehmen: Frauen gesucht, sängerische und tänzerische Begabung von Vorteil. Was genau für die Nightshow in Singapur gesucht wird, blutjunge Mädchen nämlich, die gestresste Männer möglichst unbekleidet und lasziv vom Alltag ablenken, ist offensichtlich. Conferencier Albert (Glenn Giera-Bay) sieht sich zu seinem Schrecken mit sechs Damen konfrontiert, die ihrem Beharren auf Teilnahme und faire Bewertung nachdrücklich Ausdruck verleihen und damit die Durchführung des Castings des jungen, schönen und zeigefreudigen Teils der Kursker Bevölkerung empfindlich erzögern.
Fortgeschrittenes Alter, Ehemänner und überflüssige Pfunde scheinen irrelevant angesichts der "künstlerischen" Fähigkeiten der Anwesenden. Was dem eiligst herbeigeholten japanischen Firmenvertreter (Taro Berger ist im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos und überzeugt mit auf den Punkt gebrachter reduzierter Mimik und Gestik) im Laufe des Abends präsentiert wird, ist zugleich lustig und in seiner verzweifelt-inbrünstigen Unbeholfenheit herzzerreißend. Geologenlied, Zaubershow im Tigeroutfit, ein Schlangentanz, bei dem Mary Wigman die Tränen gekommen wären oder die Schulmädchen-Version eines Lesbenstrips, alle geben ihr Bestes. Der Mut der Verzweiflung treibt an, Warjas Selbstgebrannter tut sein Übriges.
Trotz aller Situationskomik bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück. Alexander Galin beschreibt Situationen, die bekanntermaßen nicht nur in Russland gang und gäbe sind. "Ich habe nichts mehr zu verkaufen außer meinem Körper" - Prostitution als letzter Ausweg aus Armut, Ehehölle oder desolaten familiären Verhältnissen. Die Bilder, die Claus Peter Seifert auf die Bühne bringt, kennt man; wenn nicht aus persönlicher Erfahrung dann doch zumindest aus dem Fernsehen. Wenn Erika Ceh und Britta Scheerer als Nina und Katja Wolkowa versucht verrucht die Höschen fallen lassen, wirkt das trotz der Bühnen-Situation in seiner Unbeholfenheit so realitätsnah, dass man eigentlich eigentlich lieber wegschauen würde.
Die Ankunft der Ehemänner verbessert die Situation keineswegs. Wassili (Patrick Hellebrand) zerlegt enthemmt die Bühne, weil Gattin Tamara (Susanne Lehmann) die ihr geschenkten Filz-Pantoffeln nicht in gebührendem Maße würdigt. Boris (Anton Koelbl als pseudo-intellektueller, rückgratloser Softie) säuselt so lange, bis seine nach einem richtigen Mann lechzende Frau Nina (schön bieder: Angela Eickhoff) kurzfristig zu erwägen scheint, sich dauerhaft dem eigenen Geschlecht zuzuwenden. Und Rudi Knauss gibt den selbstzufriedenen Neureichen Puchow, der sich mit seiner alles-ist-käuflich Mentalität nur beim männlichen Teil der Anwesenden Freunde macht.
Galins Figuren sind auf der Suche. Nach Halt, Liebe, Rollenbildern oder der eigenen (Geschlechts-)Identität. Traurige Seelen, die für ein bisschen Glück und finanzielle Sicherheit alles geben würden. Am Ende dieses Theaterabends ist ihr Schicksal ungewiss, aber man wünscht ihnen alles Gute. Alltägliche Geschichten wie das Leben sie schreibt - packend inszeniert und mit Herzblut umgesetzt.
Tina Meß
Casting in Kursk
von Alexander Galin
Erika Ceh, Angela Eickhoff , Christine Kättner, Susanne Lehmann, Sonia Abril Romero, Britta Scheerer, Taro Berger, Glenn Giera-Bay, Patrick Hellenbrand, Rudi Knauss, Anton Koelbl Regie: Claus Peter Seifert |