Halle 7 Wandernutten von Theresia Walser


 

 

Last Exit: Sex

Wandernutten, was kann man sich heute darunter vorstellen? Theresia Walser gibt darauf eine verblüffende und erschreckende Antwort. Dabei ist eines sicher, ein Mann hätte dieses Drama wohl kaum schreiben können. Es ist ein Episodenstück, in dem drei Gesellschaften zu Wort kommen. Ein Pornopärchen tauscht sich aus und scheitert dabei an der Unmöglichkeit, Privates und Berufliches voneinander zu trennen. Eine Männergesellschaft veranstaltet ein Essen und kommt immer wieder auf das Thema Frauen, Sexualität und der Sucht danach. In einem Hotel bereiten drei Geschäftsfrauen eine Fusion mit einer Mailänder Firma vor. Eine von ihnen plant dabei einen Seitensprung.

Theresia Walser reflektiert in ihrem Stück das Verhältnis der heutigen Gesellschaft zur Sexualität, der die Liebe abhanden gekommen ist und die von der Sucht bis zum ökonomischen Kalkül reicht. Die Aussage ist verstörend, entbehrt aber bei näherer Betrachtung nicht eines wahren Kerns.

Regisseur Claus Peter Seifert verschmolz die drei Szenen in einem Bild. Alle Darsteller waren durchgängig präsent, was einleuchtete, da alle Vorgänge parallel verliefen und stichwortartig ineinander griffen.
"Die moderne Gesellschaft fördert eine Designer-Erotik, das heißt eine maximale Entfernung vom evolutionären Erbe der Sexualität." (Norbert Bolz / Programmheft) Diesen Gedanken aufgreifend, begann Seiferts Inszenierung mit einer Erinnerung an diese vormodernen Zustände. Die Darsteller bewegten sich wie die Primaten, die ja unbestritten in uns noch existieren. Doch dann brach die Moderne über das Publikum herein. Es entfaltete sich ein sehr düsteres Bild von der praktisch gelebten Sexualität im Heute.
 
   
 

Conny Schmid, Ute Pauer, Anke Schüler

© Hilda Lobinger

 

 

Ute (Renate Schneider) und Ronnie (Christian Streit) verstrickten sich immer wieder in der Sophistik aus pornografischer Technik und emotionaler Anziehung. Erst im späten Erkennen, dass sie zu Wesen geworden waren, auf die jedermann zugreifen kann, erfolgte ein schauderndes Innehalten.

Die Männergesellschaft indes glich einem Panoptikum der Asexuellen. Georg, sehr kontrolliert und dennoch sensibel in der Gefährdung gespielt von Markus Böker, schien die einzige verlässliche Figur in Sachen Liebe, Ehe und Sexualität zu sein. Doch der Schein trog. Rainer, der das Essen veranstaltete, erzählte bald von einem Freund, der in den Sog der Pornografie geraten war und von dieser total beherrscht wurde. Lutz Bembenneck gelang es geraume Zeit, die Fassade aufrecht zu erhalten. Albert hatte das "Problem" mit den Frauen auf radikalste Weise gelöst. Er schwor Verzicht. Jens-Uwe Richter verlieh der Rolle einige kalkulierte Unglaubhaftigkeiten. Frederick Lankaus eloquenter Olaf zog es vor, in seinen Überlegungen auf das Rauchen auszuweichen. Alle gemeinsam gestanden jedoch, dass sie es sich vorstellen konnten, mit Georgs Frau zu schlafen. Georg hingegen konnte es sich vorstellen, als Rainer, Albert oder Olaf mit seiner Frau zu schlafen. Die Ritualisierung als letzte Möglichkeit hatte diese scheinbar intakte Beziehung längst in Frage gestellt.

An dieser Stelle kamen dann die Wandernutten ins Spiel. Die Frauen, inzwischen längst etablierte Protagonisten im Spiel um Macht, Geld und Anerkennung, haben alle Skrupel verloren, auch das Letzte zu geben. Leonie, Conny Schmid in der gespreizten Pose der Gewinnerin, betrieb nicht nur engagiert die Firmenbelange, sie musste sich zudem auch noch gegen die intriganten Kolleginnen Lydia (Anke Schüler) und Ines (Ute Pauer) wappnen. Je dünner die Luft, um so perfider und rücksichtsloser werden die Mittel des Existenzkampfes. Sex ist dabei nur eine Spielart. Doch die Konkurrenz ist unberechenbar und als plötzlich eine Frau im roten Rock (Elisa Ruz Campos) auftauchte, schienen die Karten neu gemischt. Das Stück mutete sehr apokalyptisch an, wäre da nicht die "Verliebte". Petra-Lina Schulze gab die Rolle als eine sehnsuchtsvolle Frau, der die Spielarten der sexuellen Geschäft(stät)igkeit fremd zu sein schienen. Sie war die einzige versöhnliche Figur.

Regisseur Claus Peter Seifert war eine überaus verdichtet Form der Umsetzung dieses Stückes gelungen. Auf engstem Raum (Bühnenbild: Wladimir Schengelaja) wurde dem Zuschauer eine Welt suggeriert, die aus den Fugen ist. Der Musiker Manfred Schmid erzeugte im Hintergrund eine Geräuschkulisse, die kontrapunktisch eine Atmosphäre der emotionalen Haltlosigkeit erzeugte. Der Abend war eine gelungene Suggestion über das, was öffentlich anders genannt wird, letztlich aber Prostitution auf allen Ebenen ist.



Wolf Banitzki

 

 


Wandernutten

von Theresia Walser

Lutz Bembenneck, Markus Böker, Frederick Lankau, Ute Pauer, Jens-Uwe Richter, Elisa Ruz Campos, Conny Schmid, Renate Schneider, Anke Schüler, Petra-Lina Schulze, Christian Streit

Regie: Claus Peter Seifert
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