i-camp Schuld - Wiedervorlage der Akte Jesus von Katalin Fischer
An ihren Taten sollt ihr sie messen
Rechtsprechung und – brechung ... wie nahe doch die Begriffe aneinander liegen, wie sie einander bedingen, gegenseitig bestätigen und befördern. Die Medien sind voll davon und täglich erschlagen die Schlagzeilen mit den Taten der Pharisäer. Doch was ist Recht? ... Die Übereinkunft von Menschen zu Handlungsweise in einer Gemeinschaft, gefasst in Regeln. Das ist es im philosophischen Sinne. Doch im Alltag regieren die Regeln und deren Vertreter, hängt Recht zumeist mit dem Haben, und sei es Rechthaben scheinbar untrennbar zusammen. Hier wird bereits der Abgrund zwischen Leben und Norm aufgetan. Recht um des Rechts Willen ist absurd.
Diese Absurdität zeigt Katalin Fischer in ihrem Stück „Schuld - Wiederaufnahme der Akte Jesu“ auf. Die Akte umfasst die schon während der Lebenszeit Jesu divergierenden Wahrheiten, welche in den vergangenen 2000 Jahren immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven neu aufgenommen worden sind. Eine Akte, deren Papierstapel in Schwindel erregende Höhen reicht. Und viel Schwindel ist da auch dabei, das bedeutet viel ungenaue Wahrnehmung, Mutmaßungen, Vorstellungen und Legenden. Doch in allem findet sich ein Quäntchen Tatsache. Nun, dass Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, kann wohl eine solche Tatsache angenommen werden. Doch bereits bei der Art der Befestigung an eben diesem Kreuz scheiden sich die Wahrnehmungen. Üblicherweise banden die Römer die Delinquenten mit Stricken an das Kreuz. Dennoch soll Jesus an dieses genagelt worden sein. Bereits hier scheiden sich die Wahrnehmungen. Starb Jesus am Kreuz, oder wurde er am Abend wieder abgenommen, hatte er sich nach 3 Tagen von der Strapaze erholt und ging wieder seinen Geschäften nach? Leiser und unauffälliger. Kann der Vorgang der Kollaboration und ein solcher ist sicherlich auch zwischen Juden und Römern gelaufen, an Hand dieses Beispiels zur Anklage gebracht werden? Ja. Die RichterInnen in dem Theaterstück suchten, und da sie sich zurückzogen und wohl noch tagen, suchen sie sicherlich immer noch an einem Anhaltspunkt. Inwieweit kann ein Volk, eine Glaubensgemeinschaft Schuld auf sich laden, und wie kann dies bewiesen und geahndet werden? Eine hochaktuelle Frage.
Die Einvernahme der Zeugen und die Zitate des Evangeliums waren hochartifiziell dargestellt und von erhellender Dichte. Ergebnis: Die Diskrepanz zwischen dem, was in der Tat geschieht und dem, was in die Handlung interpretiert wird und dem, was wahrgenommen werden kann vom Einzelnen, bildet ein dichtes Geflecht von Sinneseindrücken. Über dieses wird das Recht als Maß gespannt - starres Recht ist als Funktionsschema für den freien lebendigen Menschen und eine ebensolche Gemeinschaft völlig ungeeignet. Was bleibt also?
Dies versuchten der Mann (Klaus Wächter), als Stimme der Vernunft und der Joker, als die personifizierte freie Handlungsweise dem Publikum nahe zu bringen. Was die RichterIn (Yasmin Afrouz), die StaatsanwältIn (Gabi Fischer) und die VerteidigerIn (Bettina Balk) mit Tod ernsten Mienen und gestrengem Habitus verlauten ließen, wurde durch diese gebrochen, auf die Theaterbühne und vor das Publikum transformiert. Und, der stets beflissene RechtsdienerIn (Agnes Schöffmann) trugt und ertrug dies Geschehen und das eigene Tun nur mit Alkohol, es ist eine Übertragung aus der heutigen Realtität. Michael Pohl stellte Pontius Pilatus und Philo v. Alexandria markant in den Zeugenstand. Die Evangelisten wurden von Fabian Weiss kindlich verkörpert, besonders der Fischer Johannes. Und, wie Lukas festhielt: Im Volk treiben sich die Schönredner als Manipulanten herum, wiegeln die Leute auf, lenken die Geschicke durch „Einflüsterung“, kreieren auf diese Weise Mob. Sie sind allgegenwärtig. Shirli Volk gab dem Evangelium ihre erhaben tragende Stimme. Eine hochdramatische Inszenierung, die - drastisch, doch keinesfalls belehrend, Katharsis befördert – fabelhaftes Theater auf die Bühne brachte. Ein Erlebnis! Jesus (Nicolaj Setoodeh) kam die Rolle des stillen Beobachters im Prozess zu. Erst als das Gericht abgetreten war, fragte ihn der Joker nach seinen Beweggründen, den auslösenden naiven Gedanken. Zu spät.
Das Leid wird hoch gehängt und angebetet, als wäre es die Lösung, zu der man aber selbst nicht fähig ist. Die Lösung liegt in freiem entwickeltem Humanismus, wie der Idealist so wunderbar formulierte. Er wandelte über die Bühne, zwischen den erstarrten Rechthabern. Sich an die Erkenntnisse der in Italien, also Europa, entwickelten humanistischen Weltanschauungen und menschlichen Verhaltensregeln zu erinnern, täte der Gemeinschaft gut. Der Aberglaube und Traditionalismus der in den Weltreligionen verhaftet ist, felsenfest, mit diesen Verbreitung fand und als „der Stein der Weisen“ angebetet wird (was wiederum nur Fetischismus gleichkommt) führt die Gesellschaften in regelmäßigen Abständen an den Rand der Existenz, den Krieg. Dennoch hält man unbeirrt, ja geradezu bigott uneinsichtig an dem hochgelobten hoch gehängten Leid fest. Dazu gehört eine exorbitante Portion Dummheit und Sturheit, welche wohl den Ersatz für eine entwickelte innere angemessene Haltung bilden.
Der letzte Bühnenakt war die Freilegung des Kreuzes mit der Figur Jesus. Das Recht in –haberei und –brechung wurde beiseite geräumt. Was blieb? Das noch formbar und belehrbare Kind, welches Glaubenssätze, Floskeln herunterbetete, ohne deren Sinn erfassen zu können. Es trug eine Kerze in der Hand, wohl für die Hoffnung dadurch zu Erkenntnis zu gelangen. Der alte Mann (Harrotyn Hampartzumian) stand bereits im Dunkel, er war Kind geblieben, er war nur noch seine eigene tote Litanei. Das Ende: salbungsvolle Larmoyanz um die eigene Unfähigkeit
C.M.Meier
Nachtrag:
Wie sich die Mechanismen doch gleichen. Folgte man nicht inhaltlich dem Text, hätte das Stück auch von einer aktuellen politischen Sitzung handeln können. Die Aktenberge sind meterhoch, die Debatten laufen ins Leere, die Realität ist längst ausgeblendet. Und am Ende steht die bedingungslose Anbetung des Mammon.
Schuld - Wiedervorlage der Akte Jesus
von Katalin Fischer
Juliana Afrouz, Yasmin Afrouz, Bettina Balk, Gabi Fischer, Friedrich Schloffer, Nicolai Setoodeh, Michael Pohl, Agnes Schöffmann, Shirli Volk, Klaus Wächter, Fabian Weiss, Harrotyn Hampartsoumiyan (Sänger)
Regie: Katalin Fischer |