i-camp Kinder der Sonne / Die Letzten nach Maxim Gorki


 

 

 

Wo wir stehen, kämpfen, fallen

 

Die Geschichte der Menschen verläuft in Zyklen. Und so prägten die Kriege den Beginn der letzten Jahrhunderte in Europa. Die napoleonischen Kriege und der Wiener Kongress 1815, der 1. Weltkrieg und der Vertrag von Versailles 1919 und heute der aktuelle Wirtschaftskrieg des geheiligten Konsumismus. Der ist ein Bruderkrieg, in dem die Tyrannisierung und Versklavung der Lohn- und Gehaltsempfänger durch verschulte Bürokraten und Buchhalter, die Ausgrenzung (um nicht AusLagerung zu schreiben) nicht unmittelbar ausbeutbaren Humankapitals und die Glorifizierung des Materiellen (auch des Ramsches) die, um jeden Preis verfochtenen, verteidigten Ideologien vorstellen. Eine bittere Zeit. Zeit für die Theaterstücke von Maxim Gorki, die diese Vorgänge in den Focus der Aufmerksamkeit und der Bewusstwerdung rücken können. Maxim Gorki, ein freier Geist im vor- und revolutionären Russland, beschrieb in seinen Stücken, seiner Tradition gemäß, die Menschen in ihrer engsten Gemeinschaft, der Familie. Hier werden die Zerfallserscheinungen am unmittelbarsten sicht- und erfahrbar. Die Zerfallserscheiungen, die jedem Entwicklungsschritt vorangehen.

 

Die beiden freien Regisseure Jutta Ina Masurath und Claus Peter Seifert übertrugen diese Werke in die Gegenwart. DE/Gorki 2013. Zwei stringent umgesetzte Neufassungen, sprachlich dichte Fragmente fanden den Weg auf die Bühne des i-camp. Stahlregale bildeten die Kulissen, mal dienten sie als Aufbewahrungsort für die vielen Kuscheltiere der „spielenden“  Kinder, mal als  plastikverhangene Wolkenkratzer, mal zur Rückzugsmöglichkeit für die Gestressten. (Bühne Katrin Ehrhardt) Das Hier und Heute - in dem wahrlich zeitgemäß auch die Schauspieler durch Präsenz und klar definierte Rollen bestachen.

 

Kinder der Sonne

Pawel betreibt wissenschaftliche Forschungsarbeit und ein Verhältnis mit der vom Leben gezeichneten, doch immerhin reich gewordenen Melanija. Jelena, seine Frau schaut dem jungen Künstler Ditmitrij tief in die Augen, denn die Ehe mit Pawel ist eine freundschaftliche Verbindung. Lisa, Pawels Schwester, erfreut sich an der Aufmerksamkeit von Boris, doch eine Beziehung möchte sie nicht eingehen. Melanija hatte sich für Geld verkauft und sucht nun ihrerseits Pawel zu um- bzw. erwerben. Der Kreis ist eng gezogen, die Beweggründe nur allzu bekannt und wirklich geändert hat sich nichts. Oder doch? Die Inszenierung blieb an der Oberfläche, gleich mechanischen Abläufen wurden die Schicksalsmomente überspielt, gespielt. Lediglich in den kleinen Gesten fand Differenzierung statt, kam für wenige Momente Gefühl ins Spiel. Auch das ist Zeichen des Heute. Markus Böker, als doch reichlich naiver Pawel, trug ungeachtet der intellektuellen Äußerungen stets sein Felltier vor dem Bauch – den sichtbaren Widerspruch. Melanija, Nika Wanderer, verkörperte die geforderte Unsicherheit bisweilen bis zur Präsenzlosigkeit. Dorina Pascus Jelena war einfach umfassend praktisch veranlagt und ihr Geliebter Adam Markiewicz ein großer Junge. Stefan Krischke umwarb sichtbar halbherzig Lisa, die von Cecilia Hafiz äußerst lebendig in Szene gesetzt wurde. Ein Familienkreis in seinen vertrauten Motiven - ein Schauspiel der entlarvenden Art.


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Kinder der Sonne

Zoran Krga (Musik), Adam Markiewicz, Dorina Pascu, Markus Böker,Nika Wander, Cecilia Hafiz, Stefan Krischke

© Katrin Ehrhardt


Die Letzten

Jördis Wölk, Ria Schindler, Christoph Vogel, Dorina Pascu, Carla Weingarten

© Michael Wüst

 

Die Letzten
Fedossja ist alt, ihr Vermögen schrumpft. Sie hat Sofia und deren Kinder aufgenommen, die ihre eigenen Vorstellungen verkörpern. Ljubow steht für hinterhältige Bemerkungen, Nadeshda für Berechnung, Alexander für Korruption und den haltlosen Vater, Wera für die gegen Mitgift verkaufte Weiblichkeit. Sie bewegen sich, bewegen einander – jeder Satz enthält Analyse, Begründung, Entschuldigung und Ausrede in einem. Iwan Kolomijzew. Wer ist Iwan? Gemäß dem derzeitigen Gesellschaftsbild fehlte der Vater in dieser Stückadaption. Sein Stellvertreter Alexander spielte Saxophon und die Frauen sangen von Alleinsein. Christoph Vogel stellte den weitgehend angepassten jungen Mann dar, der immerhin in den Ausschweifungen dem Vater nahe zu kommen trachtete. Sofia, Dorina Pascu suchte stets nach Ausgleich und Ria Schindler als Fedossja fehlte sinngemäß alle Kraft. Nika Wanderer war eine durchaus geschäftstüchtige Ärztin Nadeshda. Verloren lief Carla Weingarten als Jüngste, Wera, über die Fläche, vergebens suchte sie nach Unterstützung. Die Szene beherrschte Ljubow. Jördis Wölk brachte bravourös die durch ein Missgeschick entstellte, doch scharfsinnige und als böse definierte Tochter dar. Ein Familienspiel - Feminismus lag dieser Aufführung zu Grunde.

 

Psycho, Psyche, Psss ... die Luft ist raus! 100 Jahre sind vergangen seitdem Sigmund Freud das Geschäftsfeld der menschlichen Psyche auftat. Seither ist das menschliche Elend zwar öffentlich verhandelbar, jedoch keinesfalls geringer geworden. Im Gegenteil, was übrig blieb, sind noch nicht mal bemitleidenswerte Kreaturen. „Die Menschen behandeln einander wie Vieh.“  

 

Erst wenn die Verheerung ihren Höhepunkt erreicht, der volle Umfang des Geschehens erkannt und benannt ist, kann es zu Veränderung kommen. Erst wenn der Karren an der Wand zerschellt, wacht der Apparatschik auf. Doch um sich selbst diesen harten Aufschlag zu ersparen, den Entwicklungsschritt in sich zu vollziehen und bereichert in den Alltag zurückzutreten, braucht es nachvollziehbare Bilder. Diese Bilder boten die schlüssigen artifiziellen Inszenierungen. Die „Kinder der Sonne“  trugen ihre eitlen Beweggründe selbstherrlich zur Schau. „Die Letzten“  feilschten konfus um ihre Bequemlichkeiten. Wenn das nicht hochaktuelles gesellschaftspolitisches Theater ist ... Applaus. Begeisterten Applaus!

 

 

C.M.Meier


 

 

 


Kinder der Sonne / Die Letzten

nach Maxim Gorki

 

Markus Böker, Cecilia Hafiz, Dorina Pascu, Adam Markiewicz, Stefan Krischke, Nika Wander, Jördis Wölk, Ria Schindler, Christoph Vogel, Carla Weingarten

 

Regie: Claus Peter Seifert / Jutta Ina Masurath

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