i-camp Alternativlos von Manfred Killer
Unwelt
So wie das zum Unwort des Jahres 2010 erklärte „alternativlos“ blanke Ohnmacht widerspiegelt, so entspricht die fixe Idee von einer „Welt“, eine Illusion also, nicht zwangsläufig der Welt per se. Vielmehr entsteht durch die verschiedenen Vorstellungen von Welt und die sich darin deckenden Faktoren eine Unwelt in der Umwelt.
In einem von Programmen gesteuerten System muss man, um die Programme bedienen und nutzen zu können, funktionieren, diese programmatischen Mechanismen annehmen, sich „zu eigen“ machen. In einer technisierten Welt wird der Mensch angepasst, wird zum Androiden – mehr oder weniger. Programme enthalten keine Alternativen, keine Reaktion außerhalb der vorgegebenen Abläufe. Sie sind in ihrer Art alternativlos. Denn weitere Einsatzanweisungen, sind wiederum Programme in ähnlichen anderen mechanischen Abläufen. Die vielfältige Welt wird ausgeblendet und alles auf eine Unwelt reduziert. Ein Irrweg ist aufgetan, der durch die vielen auf ihm laufenden programmatisch verschulten Anhänger zur Autobahn wird, zum Tummelplatz für Eingebildete. Max Frisch nahm in seiner Erzählung von Theo Gantenbein diese Einbildung vorweg. Er beschrieb einen Mann, der sich für blind erklärt, seine Wahrnehmung nicht mehr äußerte und so zum bloßen Spiegel für die Vorstellungen und Einbildungen der anderen wurde. Er wurde dafür beliebt, reich und doch ...
Beliebt, reich ... Die Vorstellungskraft ermöglicht es „eine gute Führungskraft“ zu sein aufgrund eines die Einbildung schulenden Coaching für „selbstbewusste Gaukelei“ und damit doch deutlich an der menschlichen Realität vorbei zu handeln. Das verbildet, macht blind, blind und unsensibel für die Realität und die Wirklichkeit. Bloßes Blendwerk ist hervorgetan. Der wahrhaft Blinde entwickelt seine anderen Sinne aus dem Bedürfnis sich in der Realität zurecht zu finden und orientiert sich an den menschlichen Möglichkeiten, entwickelt diese. Was scheinbar ein Vorgang, entlarvt sich hier als programmatischer Vorsatz in einer Art und menschlicher Entwicklungsprozess in der anderen.
Agnes Schöffmann, Herve Adelin © Michael Wüst |
Souverän empfing Ludger Lamers im bequemen Lederstuhl das Publikum und bezog es in seine Geschichte ein, die Geschichte eines erfolgsverwöhnten Managers der Führungsebene. Es durfte teilhaben an seinen Vorstellungen von Welt und Wirtschaftsfunktion, von Motivationsschulung bis zu Bestrafungsritualen. Alles bekannt, alles Praxis. Eine scheinbar alternativlose Praxis die sich jeden Augenblick selbst bestätigt, ein funktionaler Vorgang, in der Tat, der auf der Bühne seine Bestätigung fand. Anders als Frischs Gantenbein setzte der Protagonist die Blindenbrille auf um seine Wahrnehmung zu schulen und damit ein Fenster in die geschlossene Wand einer anonymen Hausfassade zu schneiden. Das adäquate Bühnenbild und die entsprechenden Videoinstallationen unterstützten und verstärkten die Geschichte. Ein Blick in den Konferenzraum und schon wird deutlich: Weibliche Konzeptlosigkeit moderiert die Bestechlichkeit der Männer. Ohne „Aber“ und ohne Erkenntnis des „Wenn ... dann“ wurde eine funktionale Vorstellung, Einbildung umgesetzt. Die Darsteller boten in Kurzszenen, Andeutungen und Nebeneffekten so viel Alltag, dass es die Zuschauer schaudern machen konnte. Wohnt doch auch dem Schauder ein wirtschaftlicher Nutzeffekt inne. Die künstlerische Umsetzung reduzierte auf die essentiellen Gesten der archetypischen Figuren. Die selbstgefällige Konzernerbin (Ditte Schupp), der anpassungsfähige Newcomer (Klaus B. Wolf), der still ausharrende Senior (Manfred Killer) und die hübsche Aufsteigerin (Agnes Schöffmann), der gesichtslose Profiteur (Herve Adeline). Wirtschaft oder Politik, Politik oder Wirtschaft – ein Doppelspiel?! Die Inhalte verschwimmen längst und das Thema Wasser brachte es auf den Punkt. Geschäft, Profit um jeden Preis und über alles. Es war eine Unwelt, die die Inszenierung im Hintergrund auftat und ebenso in ihrer kleinen Lächerlichkeit preisgab!
Die Alternative: Mit dem Schluss bot Manfred Killer den einzig möglichen nächsten Schritt - den Platz des Zuschauers zu verlassen und aufzutreten, aktiv zu werden, die Sinne zu entwickeln ... alle menschlichen Sinne. Für einen Menschen, der die Welt als komplexen Zusammenhang unzählbar vieler Möglichkeiten zu begreifen in der Lage ist, existiert ein Wort wie „alternativlos“ nicht. Und die Aufführung enthielt nicht nur die eine Ebene der Erzählung, der Bilder und der Musik, nein, es taten sich viele verschiedene Ebenen auf und ergänzten, überlappten einander zu einem komplexen Weltbild ... wert erfahren zu werden.
C.M.Meier
Weitere Vorstellungen: 17. – 26.10. mehr ...
Alternativlos
von Manfred Killer
Ditte Schupp, Agnes Schöffmann, Ludger Lamers, Herve Adeline, Klaus Wolf, Manfred Killer
Regie: Manfred Killer |