i-camp Tapetentürvon Holger Dreissig
Marionetten des All
Das sich der Verwaltung entziehende Universum – Der sich der Reglementierung entziehende Geldmarkt. Zwei expandierende Gegebenheiten, von denen sich eine in jedem Fall jeglicher Verwaltbarkeit entzieht, während die andere heute den Spiegel dieses Unbezähmbaren zeigt und doch durchaus beherrschbar wäre. Würde man einfach den Strom abschalten – klick - so würde sich der virtuelle Geldmarkt in dunkle Daten verwandeln und die Idee von Geld wieder im Hintergrund zu einer treibenden, die Energien verteilenden Kraft. Die Gefahr, welche von großen Schwarzen Löchern ausgeht, wäre durch Verteilung der Masse auf viele viele kleinere Punkte einfach zu steuern. Doch was nützt das Wissen, wenn die Marionetten an den verwaltenden Schaltknöpfen nach irrigen Vorschriften tanzen und zittern.
Es ist die Schwäche, die in dieser Zeit regiert. Angst sitzt an den Schalthebeln und schreibt verwaltend (an Stelle von waltend) ein Gesetz gleichzeitig neben einem dem Wortlaut widersprechenden Gesetz – schreibt Stillstand. Es ist die Angst vor Veränderung, die an Stühlen kleben lässt in Ohnmacht. Die Schwäche, sie bläst sich auf, sie schillert verführerisch und doch ist darin kein Zusammenhalt zu finden, weniger noch Sinnhaftigkeit. Gilt es doch die Schalthebel der Maschinen, und mit ihnen das mechanische Weltbild in seiner bloßen Dualität der Vergangenheit zu überlassen und in eine neue Welt einzutreten – Holismus.
Auf der Bühne des i-camp tanzten die Puppen des Modezirkus. Der geheiligte Marktplatz der Eitelkeit in ausschließlicher Konsumhaltung. Spielerisch wurden die bisweilen kindischen Selbstdarstellungen unterschiedlicher Typen in der Gesellschaft angeführt. Auf zwei Speisewagen (also dem Verzehr preisgegeben) brachte man die Natur und die Menschen ins Bild. Wenig später: Zerrupft stand die personifizierte Natur im Raum. Medizinisch verarbeitet ein ehemals menschlicher Kopf. Entblößung. Verkleidung. In den Kostümen einer möglichen Zukunft vollführten Muriel Aichberger, Deman Benifer, H. 30, Mascha Obermeier und Julia Stevens den Tanz mit den Bällen des Kosmos. Ein wunderbar anschauliches Bild um die Bewegung der größten und kleinsten Teilchen des Universums, die frei im Raum gleiten. Selbstorganisiert. Vorausschauend und rückblickend erstanden in weiteren Szenen komplexe Bilder – Science Fiction ist der Spielraum in dem Ideen Gestalt annehmen. „Die Zukunft ist ein Hirngespinst.“ Und die Lebensgeschichte des Autors James Tiptree jr. führte wie ein roter Faden durch das Dickicht der Zeit und das Dickicht der Geschlechterrollen und Auftrittsformen. Dem Ensemble um Holger Dreissig gelang eine poetische Melange unterschiedlichster Erscheinungsformen, Haltungen und Gefühlsebenen, so wie SciFi alle bekannten Genres gleichzeitig vereint und doch einen Schritt darüber hinaus vollzieht.
Die Beschäftigung mit den Exkrementen, den persönlichen Abfallstoffen, nahm ebensoviel Zeit in Anspruch, wie sie es gesellschaftlich auch tut. Die Aufmerksamkeit auf die eigenen Schwäche gilt als chic und liefert Gesprächsstoff mit fragwürdiger Ausdünstung, fragwürdigem Hintergrund. Nun es ist wohl keine Frage, dass daraus Stoff für einen Markt produziert wird, der gewinnträchtig für die Besorger von Seelenheil ist. Man könnte die Szene aber auch dahingehend deuten, dass der Einzelne und die Gesellschaft nicht wissen wohin mit den vielen ausgebeuteten Konsumgütern, den Resten eines oft fragwürdigen Genusses.
© Edward Beierle |
Brauchen Puppen, Clowns, Modelle soviel Ersatzstoff für Leben? Nein, Klischees sind ohnehin Tote oder Verwaltungsmaterial. Hier wäre Erneuerung im Sinne eines humanistischen Menschenbildes angebracht, wie Deman Benifer selbstbewusst locker und natürlich äußerte.
Doch die Tapetentüre im All öffnet sich erst, der Prozess läuft und kippt die Polung des Sonnengottes, so können die Menschen wieder zu ihrer Stärke zurückfinden. Würden sie dies als bewussten Vorgang wahrnehmen können, bestünde die Möglichkeit zu wachsendem Verständnis und umfassenderer Akzeptanz der natürlichen Vorgänge und damit des eigenen Daseins. Die Aufführung war, ohne Zweifel, zu Katharsis angelegt, vielschichtig anregend. Ein mindestens fünf Sterne Erlebnis für lebendige Menschen.
Holger Dreissig zeigte das Jetzt, zeigte unsere andere Seite mit den bezaubernden Bildern des Theaters. Lächeln, Staunen, Erkennen, Abnicken, Fragen zog abwechseln über die Gesichter des Publikums. Ein erbaulicher Abend, eine Inszenierung ist immer nur so viel, wie sie zu bewegen vermag und wieviele bislang unerkannte Tapetentüren in der Welt des Betrachters sie öffnet. Gilt es doch zu neuem Denken, neuen alten Gedankengängen zu finden und damit die Welt zu verändern. Die festschreibende Verwaltung steht dem entgegen, von der Seite ist bestenfalls Beton und Stacheldraht zu erwarten um augenblickliche Gegebenheiten zu befestigen, ein irriger Versuch bis hin zu offensichtlichem Irrsinn, in einem sich ständig verändernden Universum, dessen Spiegelbilder wir sind. Gestalten wir es, oder bleiben wir mechanische Marionetten?
C.M.Meier
23. Stunde Verwaltungsperformance
Weitere Vorstellungen: 16.-19. + 22.-26. Januar – 20.30 Uhr mehr ...
Tapetentür
von Holger Dreissig
Muriel Aichberger, Deman Benifer, H. 30, Mascha Obermeier, Julia Stevens Text, Regie, Bühne, Kostüme: Holger Dreissig |