Monument der Verwesung

i-camp UA Radikal – Monument der Verwesung von Fake to Pretend – Tobias Ginsburg


 

 

„Die Zukunft hat keine Zukunft mehr!“

Die Aussichten und Möglichkeiten im Kommenden einen Platz zu finden sind, selbst für Visionen, ausnehmend gering. Der Kapitalmaterialismus hat die Erde vermessen und mit Hilfe der Automation so viele entworfene Formen platziert, dass für neue kaum noch Raum verbleibt. Käme noch mehr Materielles in die Welt, so verschwände der verbliebene Lebensraum gänzlich, verginge auch jede Alternative. Darüber hinaus ist auch der virtuelle Raum, der sich über und zwischen der Materie ausgebreitet hat, bis auf das letzten Bit gefüllt. Wohin also mit etwa Kommendem? Worüber ich rede (schreibe)?

Die Talkshow in der dies besprochen werden sollte, befand sich im Probenstadium und Hauptakteure wie Publikum harrten auf die wirklich wichtigen Gäste. Die Bühne füllte ein großer weißer Teppich, auf ihm standen zwei Sofas und den Hintergrund bildete die weiße Leinwand. Alles ordnungsgemäß bereit. Die Regisseurin und Produktionsleiterin (eloquent Gisa Flake) traf die letzten Vorbereitungen und der Moderator Markus Lanz (schwankend Matthias Renger) versuchte sich im kleinen Widerstand, was sichtbar ohne Konzept natürlich zum Scheitern verurteilt war. Allein der einzig anwesende Gast, der Filmemacher Matthias Schweighöfer (selbstdarstellend Philipp Lind), verstand es die Gunst der augenblicklichen Leerzeit zu nutzen und für seinen Film zu interessieren. „Ein Historienepos über den syrischen Eremiten und späteren Säulenheiligen Symeon.“ Und während noch auf die wirklich wichtigen Gesprächspartner gewartet wurde, setzte Schweighöfer schon die Anfangsszenen seines Films um. Der junge Symeon verweigerte in die Fußstapfen des Vaters einzutreten und dessen Werk fortzuführen, ihm fehlte auch die Einsicht zur Gewohnheit des Tötens und so überließ er seinen Vater dessen Schicksal. Es ist das vieler Väter, die ihre Lebenswerke gefährdet sehen, der Verwesung preisgegeben. Sie gehen verzweifelt weiter, bis sie unter der Last des Systems und des Alters zusammenbrechen. Das Kapital und die übermäßige Anhäufung der Materie fordern ihren Tribut. Symeon dagegen suchte Sinn im Kloster und die berichteten Erfahrungen sind durchaus ernstzunehmen. Der nächste Schritt führte ihn auf einen Berg, auf einen Podest, auf Die Säule. RADIKAL. Symeon auf der Säule, der Heilige, das DENKmal, ein Körper mit wirklich freiem Geist. Was nützt alle geistige Radikalität, wenn der Körper doch in jedem Fall Maden als Futter dient? Es handelt sich hierbei um eine Variation von Daseinsform, in der der Verfallsprozess abgewartet wird, bis die Kraft der Natur zurückgegeben und die Gedanken im Kollektiv stark genug sind, Änderung zu ergeben. Zwischenzeitlich musste die Talkshow abgesagt werden mangels Eintreffen der wirklich wichtigen Gäste.
Auf der Bühne lief der „Film“ weiter. Eine galt eine Wende zu setzen, wie auch immer. So reiste ca. 400 n.Chr. der römische Kaiser Theodosius zu Symeon, ihn um Rat zu fragen. Die Antwort: „Die Zinsen senken.“ Begeisterung in der Menge und Warten. Zwanzig Jahre später zerfiel das Römische Reich. Die Mächtigen pflegen die Gewohnheit Heilige oder Orakel zu befragen – wobei als moderne Orakel durchaus die Thinktanks verschiedener faschistoid ausgerichteter Konzerne verstanden werden können, die Ökonomie als Religion betreiben. Ausrichtung in eine Glaubensdoktrin. Pomp und Protz sollen Macht und „Gottverbundenheit“ demonstrieren, das hat immer schon funktioniert. Doch was, wenn es keinen Gott, keinen Allwissenden, gibt? Hier endet die „Wissenschaft“.

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Matthias Renger, Gisa Flake, Philipp Lind

©Franz Kimmel


Grandiose Bühnenbilder folgten in zügigen Wechseln aufeinander. Wie frei sind die Köpfe der Zuschauer noch diese zu speichern, ihre Botschaft in die Welt mitzunehmen? Aus dieser wundervoll intelligenten Darbietung von Gegenwart mit den Bezügen zur prägenden Vergangenheit. Es war eine radikal ausgezeichnete ausgeglichene Ensembleleistung, in welcher die Darsteller Klischees bedienten ohne selbst Klischee zu sein. Das ist es, was Theater ausmacht und damit Zutrauen auf neualtes Bühnengeschehen zum Keimen bringt. Fake to Pretend bot anregende Unterhaltung mit einem Schuss Ironie und einer Prise Ernsthaftigkeit. Am Ende saßen die Schauspieler am Boden, zwitscherten, sie trugen die gleichen Modelle von Pullover, wie sie zuvor einen zerrissen hatten. Ein Ausbruch aus der Natur – undenkbar! Die Paradigmen sind gesetzt. Eine andere Weise des Umgangs mit Natur und Welt – unabdingbar!

Nachdem also die Zukunft per se abgeschafft wurde, wir in Richtung Abgrund rasen, gilt es dennoch die Hoffnung auf Alternativen zu nähren. Ein Besuch der empfehlenswerten Inszenierung regt die Eigenproduktion, wie die Verknüpfung bereits vorhandener Chancen im Einzelnen unverhältnismäßig an. Wer morgen mit dabei sein möchte, der nehme einen Platz im Publikum ein.

 

C.M.Meier

 


PS: Auch der Heilige Kapitalismus, der sich auf eine Säule gerettet hat, befindet sich bereits im Prozess der Verwesung. Bislang haben viele zum verbalen Beil gegriffen, doch keiner konnte, oder wollte ihn enthaupten. Die aus dieser ideologischen Unterdrückung entstehende Zerstörungswut richtet sich vielmehr gegen ...


Weitere Vorstellungen ...

 

UA Radikal – Monument der Verwesung

Theaterstück von Fake to Pretend – Tobias Ginsburg

Gisa Flake, Philipp Lind, Matthias Renger

 

Text/Regie: Tobias Ginsburg
Video: Dennis Zyche