Eines laesst sich jetzt schon sagen

i-camp Eines lässt sich jetzt schon sagen von Holger Dreissig


 

 

Im Wechselspiel

Vierundzwanzig Uhr ist gleichzeitig Null Uhr. Man könnte diesen Punkt auch als einen Zeitsprung interpretieren, an welchem der erneuter Versuch zu einem gelungenen Tag beginnt. Macht und Ohnmacht stehen einander ausgeglichen gegenüber und im Folgenden steten Wandel, der Gewichtsverlagerung, hält sich der Einzelne ebenso wie die Welt in ihrem Kreislauf in Bewegung. Bestenfalls kann es gelingen ein persönliches Gleichgewicht zu kultivieren und in die gemeinsame Welt zu tragen. Jegliche Bemühung diese Kräfte über andere zum eigenen Nutzen zu verwalten, scheitert. Aufstand, Krieg, Revolution heißen bekanntermaßen die Aktionen der Gegenwehr.

Im kahlen schwarzen Bühnenraum bewegten sich vier schwarz gekleidete Männer. Zu elementaren Klängen zelebrierten sie Tanz, Selbsterfahrung, Kampf und Synchronisation. Ein scheinbar Ewigkeiten andauernder Prozess wurde sichtbar gemacht. Die Entwicklung der  Idee Menschheit oder einfach die zur Schau gestellte Selbstgefälligkeit mit der heute in den schwarz uniformierten Kreisen der Macht agiert wird? Rituale und der Duft von Weihrauch vermittelten scheinheile abgehobene Stimmung. Und doch waren es Marionetten, die den Raum austasteten, einander auf die Stirn zeigten. In Zeitlupentempo wurde vom weißen Teller gegessen, aus einer weißen Tasse getrunken, eine weiße Serviette betrachtet, entfaltet, ein Gesicht dahinter versteckt. Schwarz/Weiße Welt. Ein Kinderwagen rollte auf die Bühne, dem ein Ei nach dem anderen entnommen wurde, dazu steigerten Töne die Spannung und doch glichen die Eier einander unübersehbar. Holger Dreissig und  Deman Benifer, Muriel Aichberger, Simon Reimold vermögen es durch lyrische Bilder und Gesten Assoziationen hervorzurufen, Botschaften zu vermitteln. Klar und doch lebendig, überzeichnend und doch angemessen.

Die Szenen der 24. Verwaltungsperformance befassten sich mit Dystopie. Sichtbar gemacht war das Scheiterns von Ideen, von Wunschbildern, sowie die Akzeptanz und Ausgrenzung von Unzulänglichkeit im Sinne eines geforderten Perfektionismus geboten. Die Schauspieler in bunter Ausstattung agierten machtvoll auf der kunstvoll beleuchteten Fläche, vor den im Dunkel ohnmächtig erscheinenden Zuschauern. Zwei weiße Stühle, welche sich um sich selbst drehten, standen neben dem Tisch. Im ersten Gespräch die Worte. „Was soll ich denn denken? Was darf ich denn dürfen?“, so der Anfragende. Die amtliche Antwort unmissverständlich: „... mein Tisch und meine Regeln ...“

Und wenn der Tisch auch aus Holz war, so erzählte Julia Steves, gleich einem weißen Blatt auf diesem liegend, doch von Granit, als welches sie angesprochen und angesehen wurde. Felsenfester Granit und keinesfalls formbarer Lehm, aus dem das Lebendige naturgemäß besteht. Es braucht Sprengstoff um Granit aufzubrechen, schweres Werkzeug um ihn zu bearbeiten. Wie leicht dagegen lässt Ton sich formen, wie friedlich ist es darin eine Spur zu hinterlassen. Text und Bewegung bildeten eine harmonische Übereinkunft in ein schöpferisches Happening.

 

Dreissig24

 


Muriel Aichberger, Deman Benifer,  H. 30, Simon Reimold

© Katrin Petroschkat


What happens: Der Teufel spielt immer mit. Die Medien und das Geschäft mit der Ohnmacht des Lesers. Ihr Streben und ihr Geschäft widmen sich vor allem der Dystopie, mit welcher Millionenumsätze bewegt werden. Die Sensationsgier folgt der regulären „Ohnmachtshandlung“ wie dem „Verbotenen“, wird von ihnen geradezu magisch angezogen und genährt. An den „Druckknöpfen“ sitzen die geldmateriell Vermögenden. Im Theater erspielten die künstlerisch Vermögenden eine real sinnliche Wahrnehmung. Sie führten, und war es über einen Witz, an den Punkt heran „wo der Hund begraben liegt“. 

In der letzten Szene saß ein Gesichtsloser am Rande der Bühne und trommelte machtvoll Takte in einen Raum, in dem längst alle Bewegung erstarrt war, die Lebendigkeit entwichen. Skelette, Requisiten des Wissens und eine in Weiß gekleidete schwangere Frau harrten aus. Auf die vierundzwanzigste Stunde folgt die Stunde Null. Die Zukunft für ein Kind, für Leben per se war unsichtbar. Diese liegt im Bewusstsein, in der Erkenntnisfähigkeit und im Schlussbild. Die Darsteller reichten einander die Hände, traten gemeinsam vor das zu Recht begeistert applaudierende Publikum. In angemessener Interaktion liegt die Macht für ein morgen.

 

C.M.Meier

 

Eines lässt sich jetzt schon sagen: Es ist sicherlich nicht die letzte Inszenierung die Holger Dreissig gestaltete. Ich bin zuversichtlich. Und, die stets selbstgefällig waltende Bürokratie hat die Idee des Kommunismus  über seine Grenzen kommandiert, sie führt eben auch den Kapitalismus ad absurdum und also in sein Ende. Offensichtlich. Nur noch eine Frage von Tagen bis ... alle dies erkannt haben. Und einen dieser letzten Abende kann man durchaus sinnfällig im i-camp bei der empfehlenswert humorvollen Performance verbringen.



 

Eines lässt sich jetzt schon sagen

24. Verwaltungsperformance von Holger Dreissig

Muriel Aichberger, Deman Benifer, Holger Dreissig, Simon Reimold, Julia Steves

Regie: Holger Dreissig