i-camp Wahnsinn der Freiheit. Kleist oder Das absolute Ich von FTM


 

 


Ironie des Schicksals

Wahnsinn – sich den Göttern nahe wähnen. Ist das Privileg oder Schicksal eines Dichters? Es ist wohl beides und gipfelt in beschwingten Höhenflügen ebenso, wie es die schwärzeste Dunkelheit auslotet, gilt es doch von der Freiheit allen Seins zu berichten. Die dadurch aufgestoßenen Tore eröffnen Nachlesenden, -folgenden andere Horizonte, die Weite zur Ewigkeit. Die Konsequenz darin zeichnet Leben und Werk, Werk und Leben von Heinrich von Kleist aus. Anders als der Zeitgenosse J. W. von Goethe, welcher sehr schnell den Kompromiss mit der Mittelmäßigkeit des Bürgerlichen einging, sich einspannte in den Wagen der Gesellschaft, lehnte Kleist standhaft jedes innere Arrangement mit dieser ab. In dem untenstehend zitierten Brief beschrieb Kleist, an den mit ihm in Idealen und Ernsthaftigkeit wohl verbundenen Jean Paul, auch das Bild seines Ich. Ein auf dem Bock sitzender Kutscher würde vermutlich sagen: „Jung, hoffnungslos romantisch ...“

Und so begann auch die Inszenierung des FTM, in welcher Kleist auf Grundlage seiner Briefe vorgestellt wurde. Leichter weißer Nebel zog über die Bühne, vorbei an den Projektionen der Bäume eines Waldes. Kurt Bildstein stilisierte einen Reiter, er durchmaß den Raum zwischen den Stämmen, erhaben posierend und verliebt. Verliebt in Käthchen, die vor ihm im Grase lag, ihn anhimmelte, ihn, den Ritter in strahlender Rüstung. Er griff nach den Sternen, spielte Käthchen, spielte Heinrich, war Käthchen, war Heinrich. Ein töricht überspanntes Gemüt im Taumel der Jugend?

Der zu Ende des 19. Jahrhundert in deutschen Landen herrschende Militarismus prägte Kleist über die Maßen, derart, dass alle Gedanken, alle Gefühle absolutistischen Anspruch annahmen. Dazu kamen eine geforderte Gefolgschaft den ideologischen Werten gegenüber und der unabdingbare Gehorsam bis in den Tod. Es sind die Götzen seiner Zeit, die ihn prägten, die ihn führten, die Oberhand behielten bis ans Tor zur Ewigkeit. So, wie jede extreme Position immer nur das Absurde per se sichtbar macht, so, leiteten diese Bilder und mündeten letztlich nicht nur in eigenwillige, die Zeiten überdauernde, literarische Werke. Kleists Briefwechsel, welcher ein überaus reger und vielseitiger war, gewährt unverstellten Blick auf seine Beweggründe.

ftm-kleist

Dominik Schuck, Kurt Bildstein, Mikhail Kholyakov

© Ulrich Stefan Knoll

 

Mit den Zeilen an die Verlobte und an Freunde verdeutlicht, brachte George Froscher die weibliche und die männliche Seite eines von Menschen- und Eigenliebe stark geprägten Schöngeistes, eines „absoluten Ich“ auf die Bühne. Teil I: Wilhelmine (Inga Bramm, Beate Kellmann, Klaudia Schmidt), Wilhelmine posierte hinter den Mikrophonen, tanzte, drehte sich selbstgefällig, lächelte erstaunt zu den intensiv vorgebrachten Forderungen von H.K.. Träumte dieser doch davon mit ihr auf dem Lande zu leben und sie in den Mittelpunkt seines Daseins zu stellen. Zuviel oder zuwenig des unerreichbaren zweisamen Glücks? Wilhelmine verließ sein Leben, verließ nach der Show die Bühne. Nebel erfüllte erneut den Raum als Bild verschleiernder Wirklichkeit. Teil II: Nicht minder kompliziert waren die Beziehungen von Kleist zu seinen Freunden. Heinrich und Ernst verkörperten das Ringen um Anerkennung, Nähe, Zuwendung in  kraftvoller Manier. Das sprach Mann sicherlich an. Wille, Kraft und Anspruch an die Person gaben sich ein Stelldichein. Dichter Nebel erfüllte erneut den Raum als Bild verschleiernder Wirklichkeit. Teil III: Es siegte die Sehnsucht nach der Freiheit, der Freiheit des Todes. Doch wollte Kleist diesen Weg nur in weiblicher Begleitung beschreiten. Henriette Vogel erklärte sich bereit, ihn zu begleiten. Traurig, ergreifend erklangen die Töne aus dem Saxophon (Mikhail Kholyakov) bis der Schuss erklang, sein Echo im Raum verhallte. Stille und dann ... dann beschwingte Töne, als wäre es Freiheit, die Heinrich von Kleist im Elysium gefunden hätte. „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein“

Der Bezug des Themas zum Heute: Menschen auf der Suche nach perfektionierten Personenbildern, das vergebliche Ringen um eine erfüllende Beziehung zum anderen Geschlecht, Männerbilder und der Umgang des Mannes im eigenen Geschlecht, nicht zuletzt die Sehnsucht nach Freiheit, all das wurde auf der Bühne angesprochen. Der Realiserung wirklicher Vorstellungen sind enge Grenzen gesetzt und nur mit Akrobatik, welche erforderlich ist im Miteinander - es sind wirkliche Verrenkungen, Kopfstände, Purzelbäume die Mensch permanent schlägt - umsetzbar. Martin Petschan bewies kunstfertigste Beherrschung derselben. Mann, oh Mann.

 
 
C.M.Meier


Aus dem Brief an Jean Paul 5.1.1808
„.... Ihre An-kündigungs-Worte haben mein Inneres erquickt. Auch ich bin für die vermittelnde Kritik – ist ja alles und das ganze Leben nur Vermittlung und nur die Ewigkeit nicht – und alle jetzt kritischen Vermittlungen finden in späteren Zeiten und Genien wieder die höhere Vermittlung. Ich werde Ihrem Phöbus zum Gespann vorlegen, was ich Bestes habe – kein Stecken-, Schauckel-, Nürnbergspferd – und kann ich ihm und mir nicht helfen, so mag meines so nebenher laufen, wie man sonst in Neapel ledige Pferde zur Lust neben dem Gespann mittraben ließ.“
 
 
Weitere Vorstellungen: 26., 27., 28., 29., 30., 31. Juli

 


Wahnsinn der Freiheit. Kleist oder Das absolute Ich

von FTM - Projektfassung George Froscher

Kurt Bildstein, Inga Bramm, Christoph Dähne, Beate Kellmann, Mikhail Kholyakov, Martin Petschan, Klaudia Schmidt, Dominik Schuck, Christian Smigielski

Regie Video Raum Kostüme: George Froscher