Kammerspiele PING PONG D'AMOUR von René Pollesch
"... oder rettet wenigstens mich!" Aber wie? René Pollesch schlägt vor: Perspektivenwechsel. Gesagt, getan. Man denke sich die Welt als Leiche. Sterben ist Werden! "Es gibt nur Werden! Sterben! Das Leben ist kein Werden, das ist Sein. Sein von der übelsten Sorte. Nur das Sterben ist Werden." Antwort: "Ja, gut, aber das bringt uns jetzt auch nicht weiter." Grob betrachtet, ist damit eigentlich alles gesagt. René Pollesch, bekannt durch seine zerstörerische Kritik an der Gesellschaft und insbesondere an ihrem kapitalistischen Organisationsprinzip, erweitert hier seinen Focus auf die letzten philosophischen Fragen und ... gibt letztlich keine ernst zu nehmenden Antworten.
Das Infragestellen (aller scheinbar gültigen Werte) hatte große Theatralik. Das Bühnenbild von Janina Audrik erinnert an Ufa-Villen, in denen die bessere Gesellschaft mit dem Offenbarungsfunkeln in den Augen die Revuetreppe hinabstieg. Und so begann das Spektakel denn auch. Es wurde die Geschichte von einem Schauspieler erzählt, der für sämtliche Schauspieler einspringen kann, auch für alle gleichzeitig, damit diese mal einen freien Abend haben. Und da die Geschichte länger als die Revuetreppe war, stieg man geschwind wieder hinauf, um hinabsteigend weiter erzählen zu können. Der Verdacht lag nahe, dass man sich in Polleschs Gedankenakrobatik Dank einer Geschichte orientieren könnte. Aber da hatte sich der Zuschauer zu früh gefreut. Schnell zerbröselte das ganze in hektische Fragen und Repliken.
Nebenher wurde eine andere (im Kern hinlänglich bekannte) Geschichte erzählt. Eine Tochter war aus dem Fenster gefallen und nach Mexiko entführt worden. Ein Pechvogel musste her, dem das Gleiche widerfahren sollte, um den Weg der Entführung per Zufall zu entdecken. Letztlich geschah von alledem nichts. Es war auch nicht die einzige Anleihe, die hier dramaturgisch verköchelt wurde.
Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke © Arno Declair |
Eigentlich war es jedoch eine Geschichte um die Liebe, die eines Schauspielers zu drei Stewardessen (ebenfalls hinlänglich bekannt). Polleschs Anleihen aus dem Boulevard verhalfen dem Publikum doch immerhin zu einigen sinnlichen Assoziationen während des intellektuellen Hürdenlaufs.
Um auf die Theatralik zurück zu kommen, die 75 Minuten war aktionsreich, zappelig-bunt und nicht ohne witzige gedankliche Wendungen, die das Publikum prächtig unterhielten. Pollesch, der sprachlich gern in die Kiste der politischen Ökonomie und Philosophie greift, "akkumulierte" immerhin so viele Bonmots, dass der Zuschauer am Ende, ohne recht zu wissen warum, ein Gefühl der Befriedigung verspürte.
Dabei bediente sich Autor und Regisseur René Pollesch dreier exzellenter Schauspieler, denen das Publikums sein gutes Gefühl vornehmlich zu verdanken hatte. Pollesch hatte mit Martin Wuttke ein komödiantisches Vollblut aus Berlin mitgebracht. Wer Wuttke kennt, weiß, dass dieser kaum einer Situation auf der Bühne nicht gewachsen ist. In "Ping Pong d' Amour" geriet er allerdings, wie auch seine Mitspieler Katja Bürkle und Bernd Moss, an die Grenzen. Denn erklärtes Prinzip der Polleschen Ästhetik ist es, das Publikum mit Text zu beschießen. Wenn dieser Text dann noch brüchig und inhaltlich sprunghaft ist, geht es ohne Souffleur nicht. Doch auch das ist bei Pollesch künstlerisches Kalkül und so darf es nicht verwundern, wenn am Ende der Souffleur zur Verbeugung mit auf der Bühne erscheint. Er hat es sich redlich verdient. Während Martin Wuttke die Atem- und scheinbare Kopflosigkeit zu Spielgestus erhob, gönnte sich Bernd Moss gelegentlich verhaltenere Töne, was wohltuend für das Verständnis war. Katja Bürkle hingegen trieb das Tempo mehr als einmal in das Schrille. Und wenn alles zu zerbersten drohte, dann gab es eine Rauchpause. Es war immerhin erstaunlich, welche darstellerischen Möglichkeiten eine Rauchpause bot.
Polleschs Inszenierung war chaotisch, destruktiv und unterhaltsam. Vom Anspruch, die Welt zu retten, blieb letztlich nur die Besinnung des Zuschauers auf sich selbst übrig. Oder, wer sich dem Spaß und der Turbulenz nicht verschließen konnte, dem blieb nicht einmal das.
Ans "wahre" Leben wurde der Besucher auch nicht herangeführt, denn René Pollesch folgte seinem eigenen Text, in dem es heißt: "Die einzigen Leben, die sich berühren, sind die, die einem Manuskript folgen, das nicht das eigene ist. Nur was sterblich ist, bekommt einen Körper. Und wenn wir nicht darauf warten wollen, dass uns der Tod ereilt und limitiert, nehmen wir uns eben ein Skript zur Hand, das nicht unseres ist, mit dem schönen Wort "Ende" am Ende."
Wolf Banitzki
PING PONG D'AMOUR
von Renè Pollesch
Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke Regie: René Pollesch |