Kammerspiele Judas von Lot Vekemans


 

 

Die Wehklage ist Programm

„Judas handelt von einem Mann, dessen Name für Verrat steht.“, so beginnt die Ankündigung des Stückes auf dem Programmblatt. Er steht nicht nur für Verrat am Leben Jesus Christi und damit für Verrat an Gott. Fast alle Priester zeigen mahnend mit dem Finger auf ihn und es gibt zahllose, die Figur und ihre Handlung verdammende Schriften. Der Name Judas ist dicht, ja unverzichtbar verbunden mit dem von Jesus, half er diesem doch bei der Realisierung seines größten Wunsches, der Erlangung der Unsterblichkeit. Zwei Freunde und ein Deal - und waere da nicht die angenommene Bestechungsabgabe, die dreissig Silberlinge, so waere es eine unschuldige Tat - doch so statuierten die nachfolgenden Bigottisten ein Exempel daraus, eine Vorteilsnahme. Und, die damit die Chancen von Judas auf eine Erlösung mathematisch gesehen in den Minusbereich, in den der Schulden drückten. Eine Aussicht für auf Entkommen aus dieser Position wäre sicherlich erst nach einem umfassenden Weltenbrand oder aber nach der Erkenntnis Gottes möglich.

Das Publikum wartete ungeduldig im Foyer. Wie Parolen verlautete es aus den Mündern der Angestellten: „Freie Platzwahl. Bitte schalten Sie die Handys total aus.“  Einlass war eine Minute vor Neun, in dunkler Stunde. Wer dabei sein wollte, drängte auf den Balkon. Es schien wie das unsichtbare Ringen in einer kultivierten Gemeinschaft um die besten Plätze. Und dann, die reservierten, mit Zettel versehenen Sitze. Ich nahm ein meiner Position entsprechendes Blatt und wählte „meinen“ Platz - am Rand der Reihe, rechts, und mit freier Sicht auf den Darsteller vor dem eisernen Vorhang, der Zuschauerraum und Bühne voneinander trennt. Vor mir zwei Stühle mit dem Vermerk „reserviert“, leer ... bis Lot Vekemans vor mir Platz nahm.

Die Rampe der Bühne lag im Dunkel, eine Leiter, kaum wahrnehmbar am oberen Ende die Umrisse einer Gestalt. In der Stille des ersten Augenblicks drängte sich die Frage auf: Ist der entblößte Mensch in der Tat so interessant? So interessant, dass man ihm ständig begegnet, man konfrontiert wird, dass er Marktwert vorstellt und nur durch den Verrat an sich überlebt. Die Gestalt wendete dem Publikum den Rücken zu, drehte gelegentlich den Kopf.
Steven Scharf artikulierte mit unüberhörbarer Kraft und Präsenz, grandios, überdeutlich - zwischen Angst und Rechtfertigung, zwischen Freundschaft und Verrat, zwischen Hoffnung und Resignation. Er verkörperte Judas, der in verschiedenen angemessenen Körperpositionen seine Geschichte erzählte, hinterfragte, darlegte und somit ins Licht rückte. Die Kristallisierung einer völlig sinnlosen Selbsthinterfragung, ja geradezu Selbstzerfleischung wurde sichtbar gemacht. Das in sich sensible Wesen Mensch ringt um Aufrichtigkeit, verzweifelt, wirft es den Blick auf sich, seine Taten und diese Haltung hält es fest, zwingt es zu Boden. Der Text häufte „.... eine Geschichte ... was glauben Sie ... die Zeit zurück drehen ... wir handeln aus Zweifel, weniger aus Glauben ...ist mein Leben eine Sammlung aus Fußabdrücken ... begreifen zu wollen ... warum kann es nicht einfach sein ...“ Fragen über Fragen, verblieb im bekannten Allgemeinen. Nun denn, die Antwort ist einfach. Doch sie darf nicht erkannt werden, damit lässt sich kein Geschäft machen, lässt sich keine Machtposition aufbauen. Betätigten sich, wie Judas erzählte, doch die Priester der Tempel auch als Taktierer und Manipulanten in eigener Sache, nutzten den Moment seiner Schwäche zum eigenen „Gut“-dünken. Somit: Jede Handlung, auch die sogenannte aufrechte Tat, kann als Fehler gewertet werden – eine Frage des Standpunktes. Was sonst. Alles Handeln führt zum eigenen Untergang. Kalkulieren, schachern, spekulieren, sich winden und seinen Schwächen anhängen ... „das ist menschlich“ ... heißt es dazu heute erklärend, noch nicht mal entschuldigend, sondern bestätigend. Äußert sich so das Prinzip Judas?

 Die artifizielle Inszenierung von Johan Simons baute überdies auf ein im Ausdruck starkes Bild, welches an Kraft kaum zu überbieten ist. Gleich dem Gekreuzigten „klebte“ Steven Scharf an der schwarzen Wand, den Rücken dem Publikum zugewendet. So stand dieses für das bislang Unausgesprochene, das Verborgene. Dazu erklang unüberhörbar und doch permanent zwischen Vorder- und  Hintergrund der Ton von lautem Herzschlag. Der Herzschlag trug einen Teil der Spannung, so wie der lebendige Herzschlag das Leben trägt.

War es Zufall, dass ich den rechten Eingang auf den Balkon der Kammerspiele wählte, dass ich im Rücken der Autorin saß? Die Sicht vom gegenüberliegenden Platz war die gleiche unverstellte gewesen, hat den gleichen freien Blick ermöglicht. Ist es doch das Schicksal der Kritiker von anderen Standpunkten aus auf das Werk der Autoren und Schaffenden zu schauen, zu bemerken und ihren Beitrag zu Erweiterung persönlicher Welten anderer zu leisten. Dazu braucht es den Spiegel, die Geschichte, das Theater. Es braucht den anderen Menschen, um sich selbst und die Aspekte seines Tuns zu erkennen, denn dafür taugen weder Gott noch sein Sohn, die beiden gnadenlos stillen Dulder, überlassen sie doch jede Handlung einem lebendigen Wesen. Es liegt in der Zeit darauf hinzuweisen, wie bereits ... erkannte, dass die Bezeichnung Gott lediglich für eine Bewusstseinsebene (die umfassende Wahrnehmung und Verbindung mit der Umgebung) des Menschen steht. Diese als Projektionsfläche zu benutzen, gar zu personifizieren, führt zu Verwirrung, Verirrung und damit ins Jammertal. Denn: „Die Projektion von Illusion ist das Geheimnis der Manipulation.“, wie Peter Greenaway es formulierte. Wer mit sich selbst „handelt“ und/oder handeln lässt, ist Spielball fremder Mächte, liefert sich zur Hinrichtung aus. Doch eben damit ist Geschäft zu machen. Es ist das Geschäft der Priester (bzw. der Psychologen), die sich Vermittler nennen und den Handel mit Gott betreiben. Ein einträgliches Geschäft, besonders in einer Gesellschaft mit sich selbst entfremdeten Menschen, einer Gesellschaft, in der das mechanische Ticken der Uhr den Pulsschlag bestimmt und die Handyfrequenz leitet, in der Jenseits des eigenen Herzschlages vegetiert wird.

Mit der Inszenierung wurde der Versuch unternommen die geschändete Figur Judas in ein zeitgemäßes Bild zusammenzufassen und den Zuschauer „dahin zu führen, wo er lieber nicht sein möchte: zu dem Judas in sich selbst.“ , so lautet die Intention Lot Vekemans. Es waren Glaube und Zweifel, Jammer und Selbstzerfleischung, welche programmatisch, im Spiegelbild einer Gesinnungsgemeinschaft zelebriert wurden - adäquat auf künstlerisch wohldurchdachte Weise. Der anhaltende, wie kräftiger Herzschlag anmutende, Applaus bestätigte ein tatsächlich gelungenes und preisverdächtiges! Unterfangen. Die dreißig Silberlinge sind ...



C.M.Meier

 

 


DEA Judas

von Lot Vekemans

Steven Scharf

Regie: Johan Simons