Kammerspiele Dantons Tod von Georg Büchner


 

 

Gelungene Hommage für Georg Büchner

 

Es hatte etwas von Abschied, diese „Danton“-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen von Johan Simons. Diese Idee wäre sicherlich nicht aufgekommen, wüsste man nicht um den baldigen Abgang des Intendanten. Und so bleibt es vorerst nur Spekulation, zu behaupten, Simons hätte mit dieser Inszenierung auch den Sinn seiner eigenen Arbeit hinterfragt und am Ende herausgefunden, dass letztlich nur Heulen und Zähneklappern bleibt angesichts einer scheinbar unbelehrbaren Spezies, die die höchstentwickelte zu sein meint. So ganz aus der Luft gegriffen ist diese Behauptung bestimmt nicht, denn Simons gehört wohl zu den politischsten Intendanten in der Geschichte der Münchner Kammerspiele. Die Zeit braucht Menschen, Künstler wie ihn mehr denn je. Der Kunst tut die Politik keinen Abbruch, auch wenn ihr gelegentlich Schaden zugefügt wird, denn Kunst muss sich unbedingt unterscheiden von Politik. Kunst sollte nie Politik werden, denn dann begibt sie sich in die Niederungen des Geistes und der Moral hinab und wird stagnieren. Eine Aufgabe der Kunst ist es, die Ideale im Bewusstsein zu bewahren, die die Politik ausdauernd und vehement zu verhindern sucht.

Johan Simons Inszenierung trug den Charakter einer Leseprobe. Damit gesteht er wohl auch ein, dass dieser Brocken Dramatik kaum letztgültig spielerisch zu bewältigen ist. Recht hat er, was nicht bedeutet, dass es nicht großartige Versuche gegeben hat, ein Schauspiel aus diesem Jahrhunderttext zu machen. Regisseur Simons folgte in seiner ästhetischen Umsetzung Brecht und verfremdete, indem er die Darsteller mit Textbuch in der Hand „Diskussionsangebote“ machen ließ oder den Text thetisch in den Raum stellte. Damit schlüpften die Schauspieler nur bedingt in die Rolle, spielten sie nicht aus und zwangen somit zur absoluten Konzentration auf den Text. Der von Büchner in ganzen fünf Wochen unter widrigsten Bedingungen hingeworfene dramatische Entwurf hat titanische Ausmaße und verlangt dem Leser/Zuhörer/Zuschauer Außerordentliches ab, will sie oder er das Essentielle begreifen. Dabei hatte Simons es nicht bei dem Büchnerschen Drama belassen, sondern zusätzlich eine beträchtliche Anzahl Dichter, Schriftsteller und Denker von Georg Heym bis Marquis de Sade bemüht. Dankenswerter Weise kann man die Zitate im Programmheft nachlesen.

Empfangen wurden die Zuschauer von einem Kammerorchester, das viele Szenen und situative Stimmungen in Klang umsetzten. Carl Oesterhelt, der für diese, gelegentlich an Weill oder auch Ravel erinnernde Musik verantwortlich zeichnete, muss exzellentes Einfühlungsvermögen bescheinigt werden. Eva Veronica Borns Bühne bestand aus zwei großen Videowänden im Bühnenhintergrund, die als Fenster mit Blick auf unterschiedlichste Motive dienten, Topografien beschreibend, aber auch Stimmungen illustrierend. (Video: Lennart Laberenz) Eine lange Reihe aneinander gestellter Tische schuf die eingangs erwähnte Leseprobensituation. Während die Texte zum Teil in großer Nüchternheit dargeboten wurden, erzeugte die Musik im Zusammenspiel mit den Videoinstallationen eine starke unterschwellige Suggestion. Um die Geschichte, in der es um die heraufziehende und langsam aber unaufhaltsam eskalierende Feindschaft zwischen den Lagern Dantons und Robespierres mit Todesfolge ging, ließ Johan Simons einen Himmel aus bedrohlichen Wolken in den Bühnenraum zaubern. Der hatte sich verzogen, als die Urteile gegen Danton und seine Mitstreiter gesprochen waren.

Pierre Bokma gab einen Danton, der in seiner Expression über das Spiel der meisten anderen Darsteller hinausging. Er zeigte einen Mann, der glaubhaft seinen eigenen Epikureismus pries, selbstverliebt seine Rolle in der Revolution propagierte und der am Ende, als er den unweigerlich auf ihn zukommenden Richtspruch mit der Begründung fortzuleugnen versuchte: „Sie werden es nicht wagen!“, nur noch ein heulendes Häufchen Elend war. Erst auf dem Weg zur Hinrichtung richtete er sich wieder zur vollen Größe auf. Ähnlich emotional gestaltete Kristof van Boven seine Rolle als Camille Desmoulin, der erst im Angesicht des Todes heldenhaftes Format bekam. Gegenspieler Robespierre war kongenial mit Wolfgang Pregler besetzt, der scharfzüngig und unerbittlich seine eigene Tugendhaftigkeit, die im Grunde nur Lebensarmut war, zum letzten Banner der Revolution erhob und sie in den blutigen Abgrund führte. An seiner Seite brillierte Annette Paulmann als St. Just, Robespierre befeuernd und seine Entscheidungen in die blutige Tat umsetzend. Darsteller wie Stephan Bissmeier (Lacroix), Marc Benjamin (Legendre) oder Hans Kremer (Herman) beließen es weitestgehend dabei, den Text nachdrücklich ins Bewusstsein der Zuschauer zu rücken. Sich selbst nahmen sie sehr zurück. Mehr als ihr Spiel charakterisierten sie die Kostüme in ihrer Zugehörigkeit zu den Gremien oder Lager (Kostüme: Teresa Vergho). Unter den weiblichen Darstellerinnen stach besonders Sandra Hüller in der Rolle der Marion ins Auge. Sie präsentierte in ihrer Haltung ein wunderbares weibliches Selbstbewusstsein, das frei war von Ideologie und dem nicht der Geruch emanzipatorischer Obsession anhaftete.

Es war ein Abend der besonderen Ästhetik. Die Verfremdung irritierte auf den ersten Blick, doch schon auf den zweiten Blick konnte man den Sinn erkennen. Wohltuend gestaltete sich auch das minimalistische Spiel der Darsteller, nach dem es ein Weilchen gebraucht hatte, seine eigenen Sehgewohnheiten und Erwartungen umzustellen. Nichts lenkte von der Wucht der Sprache und der Ideen Büchners ab. Und da diese Inszenierung als eine Hommage für Georg Büchner zu seinem 200. Geburtstag gedacht war, ging es den Machern aus gutem Grund mehr um den Text, als um eine ästhetisch aufwendige Umsetzung. Diese Inszenierung war eine gelungene Verbeugung vor dem großen deutschen Dramatiker, der nur vierundzwanzig Jahre alt wurde und dessen Arbeiten nichts an Aktualität verloren haben.

 

Wolf Banitzki

 

 

 


Dantons Tod

von Georg Büchner

Marc Benjamin, Stephan Bissmeier, Pierre Bokma, Benny Claessens, Anna Drexler,Sandra Hüller, Marie Jung, Hans Kremer, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, ÇigdemTeke, Kristof Van Boven

 

Bassklarinette: Stefan Schreiber - Trompete: Reinhard Greiner/Robert Alonso - Spinett: Joerg Widmoser - Violine: Gertrud Schilde/Joerg Widmoser/Nora Farkas - Viola: Andreas Höricht/Tobias Weber - Cello: Jost-H. Hecker/Klaus Kämper/Mathis Mayr/Eugen Bazijan - Kontrabass: Juan Sebastian Ruiz



Regie: Johan Simons

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