Gasolin Bill
Kammerspiele Gasoline Bill von René Pollesch
Polleschs Anarchotheater
Die „ganz großen Themen" sind passé! … Wirklich? Nun ja, beschäftigen wir uns halt mit den kleinen Themen. Davon gibt es ohnehin mehr, so viele, dass wir wirklich frei wählen können. Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns im Diskurs gar nicht mehr treffen. Und wenn dann noch der Name Max Weber fällt, befreit uns das erst einmal grundsätzlich von konkreten Ideen. Max Weber verstand nämlich die Geschichte als einen „ungeheuren chaotischen Strom von Ereignissen“. Die Wirklichkeit ist für ihn lediglich ein komplexes Gemenge vieler Ereignisse ohne objektiven Zusammenhang und somit als Ganzes auch nicht erklärbar. Nicht, dass René Pollesch sich auf die Seite des südwestdeutschen Neukantianisten schlägt, er macht eben dieses Chaos, als welches Weber die Welt sieht, zur dramaturgischen Folie für seine Exkurse.
Keine Bange, so arg wird es nicht. Schließlich hat René Pollesch noch andere Standbeine. Eines davon ist die wunderbare Welt der Schwerkraft und anderer Gesetze von Monty Python. Und so finden sich in „Gasoline Bill“ (Ist es ein Eigenname oder doch nur eine Benzinrechnung?) auch schon mal ganze Sketche der britischen Blödelphilosophen, die der Welt mehr bedeutende Einsichten schenkten als, nun, sagen wir mal, Heidegger. Oder war es Adorno, den man mit Monty Python verwechselte. Vielleicht weiß das auch Mr. Brainsample. … Wer war noch gleich Mr…? Jedenfalls ist das alles nicht zu vergleichen mit „Gravity“. Zum besseren Verständnis, das ist der Film „Sandra Bullock allein im All“. Als ihr bewusst wird, dass sie sterben muss, klopft der Geist von George Clooney ans Raumschifffenster. Er ist sowas wie ein Busfahrer im Orbit und er erklärt ihr, dass sie jetzt alles abschalten, die Augen schließen, sich zurücklehnen und alles ausblenden kann, denn sie ist ja allein(!). Klar, das können wir nicht, denn wir sind nicht allein; wir haben ein Sozialleben. Und dann gibt Clooney ihr noch den Tipp, dass die Bremsvorrichtung an einem Raumschiff auch nur ein Antrieb ist. Was würden wir nur ohne den Optimismus der Amerikaner machen, z.B. den der „lässigen coolen Kapitalistenschweine“ wie Zuckerberg, Gates oder Jobs. (Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs)
Es gab durchaus ernsthafte Aussagen, die man mit nach Hause nehmen konnte. Da wäre die Tatsache, dass alle Empfindungen Schwindel sind und dass die Aufgabe der Psychiater darin besteht uns zu „entleeren“. Das ist notwendig, denn die Überfülle an Empfindungen führt nur zu wildem Aktionismus und wir vergessen darüber, wo wir unseren Füllfederhalter verlegt haben. Wir wären rettungslos verloren, gäbe es da nicht das Theater und die Schauspieler, denn die nehmen uns die emotionale Last ab und wir können uns wieder daran erinnern, wo wir den Federhalter verloren haben. (Jaques Lacan: Entlastung I – Delegiertes Zittern) Oder hatten wir gar keinen Füllfederhalter? So, wie wir uns entlasten, indem wir das Zittern delegieren, können wir auch stellvertretend für uns genießen lassen! (Robert Pfaller: Entlastung II - Delegiertes Genießen) Genug davon.
Eine Frage sollte unbedingt noch gestellt werden: Wo finden wir endlich Erlösung? Im Protestantismus nicht. Der ist zwar die Legitimation des Kapitalismus, (Diese Rolle Luthers nimmt man selten wahr!), der Protestantismus widerspricht aber der These, dass unsere Taten einen Einfluss auf Erlösung hätten. (Max Weber) Wir finden keine Erlösung und genau das hat „eine unendliche Betriebsamkeit ausgelöst, (…), die den Blick auf das, was wir tatsächlich tun, vor uns verbirgt.“ (Gasoline Bill) Jedenfalls gesteht sich René Pollesch in einem Interview, abgedruckt im Programmheft, ein, dass er keine Position einnehmen kann, von der aus sich Kritik formulieren lässt. Übrig bleibt Anarchotheater. Fragt sich, wie sehenswert und unterhaltsam es ist, wenn es uns denn in unserer Sehnsucht nach Antworten nicht weiterhilft. Die Frage kann beantwortet werden: Es war eine Mordsgaudi.
Auf der von Bert Neumann gestalten Bühne, sie war gänzlich umrahmt von einem buntschillernden Lamettavorhang (ausschließlich hergestellt aus Audiokassetten der Beasty Boys), befand sich der verbliebene Rest eines Doppelhauses, das irgendwer irgendwem einmal geschenkt hatte und von dem nun eine Hälfte fehlte. Vermutlich hatte es der Wind fortgetragen. Dieses Haus, oder besser das Fragment eines Hauses, konnte gedreht und somit zu einer Gebetsmühle verwandelt werden, die, hatte man erst mal das Manuskript des Souffleurs (Joachim Wörmsdorf) hineingeworfen, den Part der Schauspieler übernahm. Dazu bedurfte es allerdings eines Dorns, der die Hütte durch den Bühnenboden hindurch fixierte, damit es nicht schlackerte, was Benny Claessens peinlich genau erklärte und was dem Publikum auch vorgeführt wurde. Das mit der Gebetsmühle funktionierte allerdings nicht und so wurden die Schauspieler nicht „entlastet“. Gedreht wurde viel und das sah nach harter Arbeit aus.
Man konnte das großartige Spiel von Katja Bürkle, Benny Claessens, Sandra Hüller und Kristof Van Boven durchaus auch als sportliche Herausforderung nehmen. René Pollesch trieb sie mit affenartiger Geschwindigkeit durch den Text und ebenso über die Bühne, Slapsticks inbegriffen. Ähnlich wie bei Castorf (Siehe Kritik zu „Reise ans Ende der Nacht), an dessen Berliner Volksbühne Pollesch seit 2001 kontinuierlich arbeitet, verwischt diese gehetzte Spielweise allerdings die darstellerischen Eigenarten der Schauspieler. Dennoch waren sie durchweg grandios und auch einprägsam in ihrem Spiel.
Kostümbildnerin Nina von Mechow hatte die Darsteller so ausgestattet, als kämen sie direkt von einem texanischen Folkfestival mit Rodeo. Kontinuität in der Erzählung suchte man vergeblich, denn es gab keine wirkliche Geschichte. Umso mehr Brüche gab es und die wurden z.T. grandios verarbeitet. Auch wenn man nicht selten ratlos davor saß, weil die intellektuell anspruchsvollen Sätze, die nicht selten nach wissenschaftlicher Diktion klangen, so schnell vorgetragen wurden, dass die Gedanken schwirrten wie ein Schwarm Insekten, blieb viel Anregendes hängen. Zum Beispiel, dass wir in einem Mitmenschlichkeitszirkus gefangen sind. Und, Obacht, wir sind alle umgeben von „toxischen Subjekten“! Was das ist? Finden Sie es selbst heraus. Vielleicht sind Sie ja auch eins.
Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen von René Pollesch war „Gasoline Bill“ um ein Vielfaches unterhaltsamer. Dass immerhin entschädigte für das Manko an Taten stiftenden Sinn. Der These, dass die „ganz großen Themen" passé sind, sollte nicht unwidersprochen hingenommen werden. Vielleicht verstecken sich diese Themen in der vom Kapitalismus entfesselten „unendlichen Betriebsamkeit“ ja einfach nur.
Wolf Banitzki
Gasoline Bill
von René Pollesch
Katja Bürkle, Benny Claessens, Sandra Hüller, Kristof Van Boven
Regie: René Pollesch |