Hoppla, wir sterben!
Kammerspiele Hoppla, wir sterben! von Arnon Grünberg
Von Deutschen und Pazifisten
Oberstleutnant Fuchs ist verschwunden! Es breitet sich unter den Betroffenen und Involvierten der Verdacht aus, Fuchs sei in den unwirtlichen Weiten Afghanistans verloren gegangen, weil er sich zu sehr „mit der Seele des Feindes identifiziert hat“. Die üblichen und dienstvorschriftlichen Maßnahmen werden eingeleitet. Ein Krisenteam nebst Betreuungspsychologen bricht in die Welt der Familie Fuchs ein und sucht nach Antworten, professionell und gleichsam verunsichert, denn schließlich ist man, was Kriege anbelangt, ein wenig aus der Übung. Frau Fuchs rekapituliert das Weltbild ihres Mannes, der durchaus bereit ist, sein Leben für das Vaterland zu opfern. „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten!“ (Qui desiderat pacem, praeparet bellum). Das schrieb ein gewisser Flavius Vegetius Renatus (um 400) in ein Handbuch der Militärwissenschaft, das der Wiederherstellung der Schlagkraft der römischen Armee dienen sollte. 1600 Jahre Kriege und nichts dazu gelernt, soviel ist sicher. Da macht die deutsche Demokratie keine Ausnahme. Zudem ist, folgt man der römischen Logik, der Soldat der wahre Pazifist. Er, des Schießens kundig, hat es in der Hand, nicht zu schießen und auf kriegerische Weise Frieden zu schaffen. Das ist zwar historisch betrachtet völliger Blödsinn, aber ungeachtet dessen Staatsdoktrin, seit unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird.
Der niederländische Autor Arnon Grünberg entwarf in seiner Auftragsarbeit für die Münchner Kammerspiele „Hoppla, wir sterben!“ ein episch breites Bild von der deutschen Gesellschaft, ohne sich einer stringenten Handlung und konkreter Personen zu bedienen. Sämtliche Figuren, von der des Afghanen Zmarak und des syrischen Scheichs Hamad einmal abgesehen, waren in hohem Grad abstrakt, plakativ und somit repräsentativ für bestimmte wahrnehmbare Anschauungen. Der Diskrete betätigte sich als Fremdenführer und verkaufte die echten Werte Münchens und Umgebung (wozu auch Salzburg gehört), die da sind: Berge, Regen, McDonald´s und Sicherheit. Er empfiehlt entsprechende Ärzte, denn die meisten Araber kommen, um ihre Impotenz behandeln zu lassen. Oder Der Diskrete bespaßt die Frauen der Scheichs. Da auch er impotent ist, funktioniert das gut. Er hat aber auch eine Moral und bremst die verschleierten Araberinnen auch schon mal aus, wenn sie über Gebühr ins Schwärmen geraten über den „Führer“.
Nicht fehlen dürfen die betroffenen Bürger, durchideologisiert und frei von brauchbaren Ideen, die Welt richtig zu interpretieren. Auf der großen Spielwiese der Ratlosigkeit tummeln sich Politiker, unter ihnen auch eine kabaretttaugliche Bundekanzlerin, Psychologen und Berater, von denen der „Interkulturelle“ die Speerspitze der Geschwätzigkeit darstellt. Die Krise ist allgegenwärtig; es gilt, sie zu verwalten. Dabei bleibt nicht verborgen, dass diese Krise auch eine Geschäftsidee sein könnte. Sie kann aber auch sinnstiftend sein, wie der Beinlose herausgefunden hat. Er verlor seine Beine in Afghanistan bei der Verteidigung seiner Kameraden auf einem Feld. Mit seiner Beinlosigkeit hat er einen neuen Status errungen. Er ist das Opfer und als solches, kann er auch der Tröster sein. So tröstet er Frau Fuchs und, wenn er schon dabei ist, auch gleich deren beide Töchter Sophie und Jana. Sophie stellt in ihrer sexuellen Hingabe fest, dass dem Beinlosen im Rausch der Vereinigung die Beine wieder wachsen. Alles sprießt in alle Richtungen, Gefühle, Meinungen, Sehnsüchte. Unruhe hat die Gesellschaft befallen. Niemand hat mehr festen Boden unter den Füßen.
Und so ließ sich Johan Simons von Katrin Brack ein Bühnenbild schaffen, dass dieser brennenden Unruhe Ausdruck verlieh. Auf der Bühnenmitte lodert ein gewaltiges Feuer. Rundherum ein paar Baumstämme, die als Sitzgelegenheiten dienten. Es gab nichts Urbanes mehr. Und so konnte das Feuer das letzte bedeuten, mit dem sich die Zivilisation verabschiedet oder das erste, an dem man sich sammelte, um wieder eine rettende Idee zu entwickeln. Letzteres war angesichts des Textes ungewiss und unwahrscheinlich. Die Kostüme von Teresa Vergho deuteten lediglich an oder verzichteten auf Kostümierung. Ebenso nüchtern und pragmatisch präsentierten die Darsteller ihren Text, der behauptete, beschrieb, verschleierte, ins Nichts ging oder süffisant Entsetzliches offenbarte.
Neues gab es nicht und die Botschaft richtete sich an ein Publikum, das ohnehin Bescheid weiß. Begleitet von einem Kammerorchester, offenbarten sich die Charaktere, die, wie bereits erwähnt, gesellschaftliche Typen vorstellten. Das tat dem Genuss, großartige Darsteller in bestem Ensembletheater zu erleben, keinen Abbruch. André Jung propagierte als Der Diskrete, der Hamads Fremdenführer mimte, geistige Eleganz a la Bayern. Jeff Wilbusch, mit Arabertuch gewandet, ließ spitz wissen und spüren, dass Geld keine Überzeugung sei und dass es den Deutschen an solchen mangele. Benny Claessens Interkultureller Berater wirkte, als wäre er gerade einem Club aus Drüberstehern entsprungen und Hans Kremer verlor als Zmarak schon mal die Übersicht über seine vermeintlichen und zugesprochenen Identitäten. Annette Paulmanns hingebungsvoll liebende und leidende Ehefrau von Oberstleutnant Fuchs war fleischgwordene Mutterschaft; als Kanzlerin Merkel indes drohte sie mit kabarettistischen Anklängen das Theater zu sprengen. Anna Drexler und Marie Jung gaben als Betroffene Bürger und als Schwestern Sophie und Jana die Hanni und Nanni deutscher Befindlichkeit. Wolfgang Preglers mopsfideler Tröster mit Beinprothesen schürte sexuelle Aufgeregtheit und nebenher schuf er auch einen neuen Heldentypus. Opferbonus können auch Täter haben.
Verhandelt wurde viel, vielleicht ein wenig zu viel Politik. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn war dabei nicht zu verzeichnen. Der Abend, der ein bitteres Thema zum Inhalt hatte, ging sowohl dank der Regie wie auch dank der Leistung der Darsteller recht leichtfüßig über die Bühne und unterhielt. Allein, Antworten gab er nicht und damit erinnerte er ein wenig an die bemühten Talkshows, in denen eines nicht passiert: Antworten auf drängende Fragen. Hier blieb es vornehmlich dabei, dass Arnon Grünberg seine Sicht auf die Welt – oder besser auf die deutsche Gesellschaft - schilderte. Seine berechtigte Beunruhigung ist auch unsere und schön wäre es, wenn wieder einmal jemand ein paar (möglichst provokante und radikale) Lösungsvorschläge machen würde, wenn er denn schon politisches Tagesgeschäft auf die Bühne bringt.
Wolf Banitzki
Hoppla, wir sterben!
von Arnon Grünberg
Mit: Benny Claessens, Anna Drexler, Marie Jung, André Jung, Hans Kremer, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Jeff Wilbusch Musiker: Stefan Schreiber / Ulrich Wangenheim, Joerg Widmoser / Gertrud Schilde, Andreas Höricht, Klaus Kämper / Jost-H. Hecker / Philipp von Morgen Regie: Johan Simons |