Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2

Kammerspiele Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2 von Rimini Protokoll (Haug/Wetzel)


 

 

Ein Buch und seine Dämonen

Am 22.10.2009 hatte „Sicherheitskonferenz“ in der Spielhalle der Münchner Kammerspiele in der Regie von Stefan Kaegi Premiere. Kaegi ist seit 2000 im Autoren- und Regieteam, das sich „Rimini Protokoll“ nennt und dem Helgard Haug und Daniel Wetzel angehören. Letztere arbeiten bereits seit 1994 zusammen und schufen eine Art Dokumentartheater, in dem die Quellen der Texte selbst und selten Schauspieler auf der Bühne stehen. Die Macher definieren diese Form des Theater als „Expertentheater“. Tatsächlich stieß ihr Konzept auf großes Interesse und so inszenierten sie unter anderem in Zürich, London, Melbourne, Kopenhagen und San Diego. 2008 erhielt das Kollektiv für ihr Gesamtwerk den Theaterpreis „Der Faust“, 2001 auf der 41. Theaterbiennale in Venedig den „Silberner Löwen“ und 2015 den „Schweizer Grand Prix Theater / Hans-Reinhart-Preis“. Dieser Zuspruch beweist immerhin, dass an „Rimini Protokoll“ kein Weg vorbei führt.

2007 erhielten Wetzel und Haug für „Karl Marx: Das Kapital, Erster Band“ den Mühlheimer Dramatikerpreis. Mit diesem Projekt waren sie ihrer Zeit voraus, denn die Bankenkrise im Jahr 2009 verschuf dem Dietz-Verlag (Herausgeber der Marx/Engels- Werke seit DDR Zeiten) die höchsten Auflagen von „Kapital Erster Band“. Selbst Ökonomen besannen sich in ihrer Ratlosigkeit darauf, dass Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie in Grundzügen noch immer zutreffend war und man einiges über die „Mystik des Marktes“ erfahren konnte. Von Belang für das „Mein Kampf“-Projekt ist die Erwähnung, weil das Bühnenbild (Marc Jungreithmeier) dasselbe ist. Während Marx auf der Vorderseite abgehandelt wurde, fand der Diskurs über Hitler an der Rückseite statt. Tatsächlich verstand sich Hitler mit seiner Weltanschauung als Gegenentwurf zum „Marxismus“, der in dessen Verständnis allerdings etwas völlig anderes beinhaltete. Das wird bei der Lektüre des kruden Buches schnell deutlich.

Ausgelöst wurde die Idee zum Projekt auch durch die Tatsache, dass mit diesem Jahr die Urheberrechte, die beim Bayerischen Staat liegen, auslaufen und ab 1. Januar 2016 jeder das Buch drucken könnte. Aufgeregt wird nun darüber diskutiert, ob es nicht angebracht wäre, dem Markt mit einer kommentierten Auflage zuvor zu kommen. Der Bayerische Staat hatte ursprünglich Mittel bereitstellen wollen, doch nach einem Besuch Seehofers in Israel ruderte der Ministerpräsident zurück. Nun gäbe es noch den juristischen Weg, das Buch nicht unter die Leute kommen zu lassen, denn es existiert im deutschen Recht ein Paragraf gegen Volksverhetzung. Nicht von ungefähr waren drei der „Experten“ auf der Bühne Juristen: Sibylla Flügge, Anna Gilsbach und Alon Kraus. Matthias Hageböck ist Buchbinder und Buchrestaurator und somit Experte in Bezug auf Buchdruck und –verlag. Christian Spremberg arbeitete als Radioredakteur und ist, selbst sehbehindert oder blind(?), Experte für Brailleschriften, eine von dem Franzosen Louis Braille 1825 entwickelte Blindenschrift. Tatsächlich lag und liegt Hitlers Werk auch in dieser Ausführung vor. Volkan T Error (Türeli)  ist Ethnologe, Politikwissenschaftler und Musiker.

  Mein-Kampf-Rimini-Protokoll  
 

© Candy Welz

 

Angesichts der Tatsache, dass „Mein Kampf“ bald schon wieder auf den Markt gelangen könnte, fragten die Akteure nach, inwieweit das Buch jetzt bereits verfügbar wäre. Und siehe da, es ist weltweit erhältlich und in manchen Ländern bevölkert es die Bestsellerlisten. Wer in Deutschland Interesse an dem Machwerk hat, kann innerhalb weniger Stunden ein Exemplar organisieren. Diese Probe aufs Exempel hatten die Darsteller in München selbst gemacht. Im Internet kann es ohnehin ganz unproblematisch heruntergeladen werden. Es wurde in der Zeit seines Erscheinens (1925) bis zur Kapitulation der Nazis 1945 etwa 12,5 Mio Bücher auf den Markt gebracht und verkauft.

In loser Folge, dramaturgisch von einem „elektronischen Buchstabengenerator“ organisiert, wurden unterschiedlichste Begriffe in den Raum gestellt und die entsprechenden Fragestellungen dazu entwickelt. Von: Wer hat das Buch gekauft? Wer hat es gelesen? Wurde es überhaupt gelesen? Wo sind die Bücher geblieben? Über: Ist das Buch gefährlich? Wie soll man sich dazu verhalten? Würden Sie das Buch in einem öffentlichen Cafe lesen? Auch in Israel? Bis: Gibt es Gedankengut in diesem Buch, das wir im heutigen Alltag wiederfinden?

Auch hier wurden die Fragen unterschiedlich beantwortet; es wurde sogar über die Alternativen abgestimmt. Eine Leistung des Abends waren unbestritten die klugen und notwendigen Fragen. Zum Verführungspotential dieses Buches sagte Sibylla Flügge: „Ich hatte herausgefunden: Dies ist kein Buch, das verführt, sondern eine Anleitung für Verführer. Es geht um Methoden.“ Tatsächlich wurde das Buch recht einheitlich als überbewertet eingeschätzt, resultierend aus der Dämonisierung und dem Verbot. Nun hat das Verbot eines Buches noch immer dazu geführt, dass die Begehrlichkeit, es in die Hand zu bekommen, regelrecht befeuert wird. Nichts ist verkaufsfördernder als ein Platz auf dem Index.

Walter Klemperer, der mit seiner Schrift „Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des 3. Reiches) einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Diktatur geleistet hatte, beschrieb es 1945 als ein Rätsel, dass „Mein Kampf“ in einer so unglaublich hohen Auflage unter das Volk gebracht worden war und Hitler dennoch gewählt wurde.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Argumente, die Sprache, der geistige Wahnwitz, der in diesem Buch auf beinahe 800 Seiten niedergelegt ist, beim heutigen aufgeklärten Bürger noch einmal verfangen könnten. Dass das Gedankengut im Volk unabhängig vom Buch existiert, hat vielleicht etwas zu tun, dass sich bestimmte Gedanken im Zustand von Angst, Verunsicherung und Perspektivlosigkeit immer wieder Bahn brechen, weil dem Menschen bestimmte psychologische Mechanismen seit Jahrhunderten immanent sind. Hitler verkörperte diese kleinbürgerlichen Eigenschaften, die er auf großsprecherische Weise zur Doktrin erhob. Und er war gewiss kein Genie, weder in geistige noch in künstlerischer Hinsicht, obgleich das ganze Buch darauf angelegt ist, genau das zu suggerieren. Sein wir doch mal aufrichtig, welch Geistes Kind würde sich selbst freiwillig „GröFaZ“ nennen lassen? (Superstar reicht doch.)

Wolf Banitzki

 


Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2

von Rimini Protokoll (Haug/Wetzel)

Sibylla Flügge, Anna Gilsbach, Matthias Hageböck, Alon Kraus, Christian Spremberg, Volkan Türeli

Regie: Helgard Haug