Kammerspiele Caspar Western Friedrich von Philippe Quesne
Verheißung und Ernüchterung
Eines muss man Matthias Lilienthal lassen, konsequent ist er in seinem Vorhaben, Schauspiel im Sinne von Rollen- oder Figurengestaltung abzuschaffen. Philippe Quesnes „Caspar Western Friedrich“ erhob ebenso mehr Anspruch Bildende Kunst denn Darstellende Kunst zu sein. Die Formel für sein Wirken: „… starke Verbindung zwischen Raum, Bühnenbild und Körper“. Man beachte die Reihengfolge, wobei nicht der Darsteller sondern sein Körper am Ende genannt wird. Was möchte dieses Theater? „Inspiriert vom einsamen Cowboy sowie den Bildern und der Persönlichkeit des Malers Caspar David Friedrich. Und mittels der großen Theatermaschinerie entfaltet sich eine riesige Landschaft. Eine Landschaft, die wie die Gemälde der deutschen Romantik Sinnbild für einen inneren und veräußerlichten Zustand ist und mit den Materien der Natur spielt, sich in der Plastizität der Nebelschwaden und der Fragilität gasförmiger Aggregate abzeichnet und unter einer verflüssigten Sonne leuchtet.“ (Programmheft zur Inszenierung S.10-11)
Das klingt gewaltig; das klingt verheißungsvoll. Und womit wurde der Zuschauer beglückt? Vor dem eiserenen Vorhang, auf dem wie in einem Kinovorspann die Crew der Macher abgespult wurde, hatten fünf Cowboys in einer Prärielandschaft aus Styropor und Steppengras in Besenformat an einem künstlichen Lagerfeuer Platz genommen und sangen. Es waren raukehlige Songs harter Männer mit whiskybefeuchteten Kehlen. Sie sangen von der Sehnsucht, auch von der, von der Flasche loszukommen, die den Heimweg versperrte. Dann gratulierte man Franz (Rogowski) zum Geburtstag und schenkte ihm ein Sweatshirt auf dem C.D. Friedrich-Motiv zu sehen war. Das war das Stichwort, der Eiserne hob sich und dahinter war ein Raum, der später als Museumssaal erkennbar wurde. Ein Schriftzug leuchtete an der Rückwand: „Caspar Western Friedrich Museum“. Langatmig wurden die Prärieutensilien in den hinteren Bühnenraum geräumt, der zwei offene Portale aufwies, hinter denen Kulissenteile lagerten. Hohe Leitern wurden seitlich aufgestellt, die Schauspieler stiegen in Plastikoveralls und strichen die Wände, d.h. sie befeuchteten sie mit langstieligen Malerrollen, denn es sollen ja weitere Vorstellungen folgen. Und ehe man sich’s versah, war ein halbe Stunde um.
Stefan (Merki) hatte Styroporfelsen gebastelt, in denen Mikrofone steckten. Fertig waren die Tourguides. Man konnte so über größere Entfernung normal miteinander kommunizieren und führte das auch ausgiebig vor. Dann gingen alle auf Erkundung, verschwanden durch eine Seitentür und waren nur noch aus dem Off zu vernehmen. Die Wanderer kamen durch den Museumbuchshop und brabbelten einige Autorennamen vor sich hin. Nächste Station war das „Café zur schönen Aussicht“, welches sich eigentlich im Residenztheater befindet. Schließlich gelangten die Exkursanten in das Herz des noch unfertigen Museums, in das Magazin. Eine lange Liste der Werke C.D. Friedrichs wurde hörbar, Bilder bekam der Besucher allerdings nicht zu sehen. Es brauchte seine Zeit, bis die Schauspieler wieder auftauchten.
Stefan Merki, Julia Riedler, Peter Brombacher, Franz Rogowski © Martin Argyroglo |
Nebel, viel Nebel, und Regen fand statt und nachdem genügend Regen durch farbiges Licht gefallen war, durchquerte Franz (Rogowski), jetzt in Badehose, als Bodysurfer die Bühne, die weggeräumten Steppengräser wieder an die Rampe transportierend. Auch das brauchte seine Zeit. Einmal, ein echtes Highlight, rutschte er rasant und zielgenau durch die gespreizten Beine von Julia (Riedler) die inzwischen ihre Malerkluft abgelegt und ein Biedermeierkleid angelegt hatte. Die Folie wurde kunstvoll zusammengepackt, so dass kein Wasser frei wurde. Die Leitern wurden in die Bühnenmitte gerückt und ein großer Prospekt daran aufgehängt, auf dem ein Friedrich-Motiv prangte: Gebirge mit steinigem Vordergrund. Und um den steinigen Vordergrund dreidimensional zu machen, wurde ein Styroporfels darunter geschoben. Auf diesem Fels vor bergiger Kulisse und viel, sehr viel Nebel sangen Julia (Riedler) und Johann (Leysen) ein paar Lieder, Stefan (Merki) jodelte ins Tal und Franz (Rogowski) machte das Echo. Dann stieg Peter (Brombacher) auf den Stein und erzählte von seiner Reise in die Hohe Tatra, zur Schneekoppe, nach Agnetendorf, wo G. Hauptmann gelebt hatte, der auf Hiddensee begraben liegt, nahe Greifswald und Rügen, wo C.D. Friedrich gemalt hat, bis nach Krakau, wo Grotowski und Kantor gewirkt hatten. Diese Szene endete mit einigen Gruppenselfies. (Nicht in der beschriebenen Reihenfolge.) Danach kehrten die Schauspieler wieder in ihre Identitäten als Cowboys zurück und erbauten mit Holzlatten, Fuchsschanz und Akkuschrauber aus dem Prospekt einen Unterstand mit Bergkulisse im Hintergrund. Das Lagerfeuer wurde entzündet ein Lied gesunden und dann bliesen die Schauspieler das Feuer aus. Vorhang.
Es ist unbedingt anzumerken, dass die Schauspieler alle Tätigkeiten auf der Bühne nicht gespielt, wie im Schauspiel normal und üblich, sondern getan haben. Johan Leysen erklärte im Programmheft, warum das reizvoll sei: „(…) und ich glaube, wenn Leute konzentriert etwas tun, zusammen, und wenn man akzeptieren kann, dass es interessant sein kann das anzuschauen und nicht erwartet, dass da etwas passieren muss, dann wird das wunderschön … das erzählt nur, was es erzählt. Nicht weniger.“ (Programmheft zur Inszenierung S. 11) Das ist wohl richtig, aber es erzählt leider auch nicht mehr. Es erzählt von all den bedeutsamen Zielen nichts, nach denen diese Inszenierung laut Programmheft vermeintlich trachtete, nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, von Western und Romantik. „Caspar Western Friedrich mäandert in Richtung des unerreichbaren Horizonts und hinterfragt den Platz des modernen Menschen in der Welt.“ Das blieb Behauptung, ebenso wie die vorab viel beschworene Magie der Texte von Eichendorff oder Novalis, die im günstigsten Fall von Peter (Brombacher) zum Ghettoblaster gesungen wurden, im ungünstigsten Fall vom Laufband abgelesen werden mussten.
Philippe Quesnes „multidisziplinare Performance“ war alles andere als magisch, inspirierend oder mitreißend. Wenn jemand in Personalunion die Inszenierung, das Konzept, das Bühnenbild und das Licht realisiert, sollte man davon ausgehen können, dass derjenige zwingend konkrete Vorstellungen vom Ergebnis und auch von der Wirkung hat. Spürbar war das nicht. Die versprochenen Räume, die Kraft der Bilder, befeuert von Texten der Schauspieler und der literarischen Romantiker, blieb schlichtweg aus. Vieles wirkte banal und hohl, manches unfertig und unausgegoren. Dieser Eindruck verstärkte sich zudem beim Lesen der englischen Obertitel, die häufig differierten zum gesprochenen Text. Den Schauspielern beim Werkeln zuzuschauen, das auch mal von einer Teepause unterbrochen wurde, war nicht schön, es war vielmehr langatmig und frei von tieferer Bedeutung. So verwunderte es auch nicht, dass die Zuschauerfluktuation beizeiten einsetzte und, mäßig zwar, doch kontinuierlich, anhielt. Die Inszenierung ist ein neuerlicher trauriger Tiefpunkt in einer Serie von künstlerisch wirkungslosen, ästhetisch weitestgehend gescheiterten und substanzarmen Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen.
Wolf Banitzki
Caspar Western Friedrich
von Philippe Quesne
Peter Brombacher, Johan Leysen, Stefan Merki, Julia Riedler, Franz Rogowski
Inszenierung: Philippe Quesne