Kammerspiele 50 Grades of Shame von She She Pop
Im Dunkel der schwarzen Bühne wurde der angekündigte „Bilderbogen“ auf zwei schwarze Leinwände projiziert und von einer schwarzen Kanzel herab erklangen die Erläuterungen dazu. Führt doch das Thema Scham in die dunklen Abgründe des Menschen, in denen die farbigen Punkte der Unzulänglichkeiten aufleuchten und die Angst vor Entblößung, Schande, ihren Ursprung hat. Mit den Elementen Predigt, Darkroom und Körpereinsatz fand die Umsetzung, „Eine vertrauensvolle Unterweisung der Unerfahrenen mit den Mitteln der Kunst“ im „Frontalunterricht“ statt.
„Ihr wollt wissen was Liebe ist, wir sollen es euch zeigen …“, sang dazu der Musiker Santiago Blaum. Das Publikum, die Unerfahrenen zwischen 18 und 80 Jahren, harrte gespannt der Beleehrungen. Mit Fragen und Antworten zu, „Was ist verboten …Was ist erlaubt“, stiegen die Aktionisten unverzüglich ein. Darauf folgten die Erläuterungen zur praktizierten Vorgangsweise, die ersten der 50 Konzeptpunkte und die kurze Beschreibung der Personen in „Fifty Shades of Grey“, des Romans von E.L. James. Szenenpassagen aus dem 1891 entstandenen Drama „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind wurden als tragender Rahmen verwendet und lakonisch vorgelesen, ganz so als wäre dieser Mix eine Art von Aufklärung, dem Wissens- und Entwicklungsstand angemessen. Ganz so, als hätte es weder Sigmund Freud noch Oswald Kolle, noch Beate Uhse und die wilde 68ziger Bewegung gegeben und in den Schulbüchern wäre das Thema Sexuelle Aufklärung nach wie vor ausgespart. Allein die Naivität im Umgang und der Erfahrung dürfte sich kaum verändert haben, und dafür wurde wohl dieser Abend entwickelt. Der Zuschauerraum war bis auf wenige Plätze besetzt.
Im Mittelpunkt der Aktion standen die Leinwände. Der darauf projizierte „Bilderbogen“ beschränkte sich im Wesentlichen auf die Montage von Körperteilen der verschiedenen Aktivisten. Abwechslungsreich und gelegentlich witzig wurden Köpfe, Oberkörper und Beine kombiniert, sodass dem Kopf eines Aktivisten ein weiblicher Oberkörper zugeordnet wurde, und/oder das Geschlecht wiederum männlich war oder drei verschiedene Beine zu einem Bild zusammengefügt waren. Ganz so, wie es üblich ist, Beziehungen zu wechseln, wechselten die Aktivisten die Bekleidung. Am Ende, nach Wedekind, standen weiße Knochen und ein Schädel. Eine Stunde und fünfunddreißig Minuten lang wechselten die farbigen Projektionen der Körperteile, ein geradezu perfektes technisches Spiel.
Dazwischen und davor sprachen die Aktivisten von Emotionen und Befindlichkeiten im Zusammenhang mit Sex, ganz so, als wäre es auch eine Sprechstunde beim Psychologen. Dabei kam auch ans Licht, dass „beim Sex an Hausarbeit oder den Job“ gedacht wird und diese Äußerungen ließen sich perfekt nutzen, um Lacher und Beifall im Publikum zu generieren.
SheShe Pop, ein Frauen-Performance-Kollektiv aus Berlin, „verweigert sich den männlich geprägten Machtstrukturen des hierarchischen Kulturbetriebs“. Die unmittelbare Auseinandersetzung mit Figur und Thema ist ihr Aktionsraum, den sie durch persönlichen Bezug zu klassischen oder aktuellen Themen austesten und füllen. Weltweit finden sie Anerkennung.
Aktionismus mutet an wie der Versuch alten Strukturen zu benutzen, zu hinterfragen und aufzulösen, ohne ein Angebot oder gar eine Welt dagegen stellen zu können. In einer Zeit, in der Socialmedia, also die elektronisch-globale Form des Nachbarschaftstrasches die Öffentlichkeit beherrscht, lässt sich eine Aussage blitzschnell zu einer gewaltigen Welle auftürmen. Aufmerksamkeit erreicht, wer es versteht die Spitze der Welle zu reiten.
© Judith Buss |
Im Programmheft steht die Aufzählung der 50 Arten von Scham. Wobei sich die Punkte 01 und 41 widersprechen und davon auszugehen ist, dass es Punkt 41 war, der dieser Aktion zugrunde liegt. „Ich habe kein Problem damit, was-auch-immer zu tun. Das Geheimnis ist, dass ich kein Schamgefühl habe.“ Wie sonst ließe sich erklären, dass eine willkürliche „Zusammenstellung von Texten und Fundstücken des Produktionsteams unter Verwendung von Texten von BrenéBrown, Demokrit, Werner Ettmeier, Melanie Hinz, E.L. James, Dakota Johnson, Monica Lewinsky, Oliver Meiler, Laurie Penny, Henriette Reker, Jens Rosselt, Jean Paul Sartre, Eve Kosowsky, Sedgwick, Hans Unstern, Frank Wedekind und aus der Bibel, dem Glossar der Orgonomie, Meyers Konversationslexikon 1885-1892, den Synonymwörterbuch der deutschen Sprache und einem Foto von Jean Baptiste Mondino“, sowie der Titel eines geschickt vermarkteten Weltbestsellers und ein realistisches Drama einfach für egozentrisch exhibitionistische Zwecke genutzt werden.
Denn, eine Zusammenstellung von Sätzen und Aussagen schafft noch lange keine Geschichte oder gar einen Theatertext. Vielmehr entsteht durch die Vielzahl ein scheinbar gehaltvolles Gemenge, welches durchaus mit dem allgemein üblichen Gerede gleichzusetzen ist und intellektuellen Anstrich bestenfalls vorgibt. „Man sollte nicht immer an Sex denken …Das Leben hat mir die kalte Schulter gezeigt …Das Leben ist Geschmacksache …Man sollte sich beim Anblick einer Banane nicht viel denken, außer wenn es Kunst ist, dann ist es erlaubt …“
Nimmt man den Satz von Joseph Beuys „Alles ist Kunst wenn es dazu erklärt wird.“, aus seinem Kontext und ernst, folgt ihm blindlings, so entsteht daraus eine Ideologie die das Banale zum gehuldigten Objekt stilisiert. Bedenkt man, dass dies einen Markt kreierte, einen Kunst-Markt, so rückt Geschäftigkeit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bedenkt man auch, dass jeder wahre Gedanke, der zu Ideologie erhoben wurde, schwere Irrtümer hervorbringt und zu geistiger wie materieller Verelendung führt, so erkennt man den Ursprung von Propaganda oder neuzeitlich PR. Und, es ist niemals nur die Zeit, die damit totgeschlagen wird!
50 Grades of Shame
von She She Pop
Gunars Äbolins, Sebastian Bark, Lilli Biedermann, Santiago Blaum, Anna Drexler, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Walter Hess, Christian Löber, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Florian Schäfer, Berit Stumpf Konzept/Regie: She She Pop |