Kammerspiele Figaros Hochzeit nach Mozart/da Ponte und Beaumarchais


 

Auf der Suche nach dem wahrhaftigen Klang

Es ist ohne Frage immer problematisch, wenn nicht drin ist, was drauf steht. Drauf steht, „Figaros Hochzeit“ nach Mozart/da Ponte und Beaumarchais. Es bedurfte, sieht man einmal von den „Ohrwürmern“ ab, die jedem Opernfreund geläufig sind und die unschwer wiederzuerkennen waren, einer Menge Kenntnisse des Librettos und auch Fantasie, um die Liebesgeschichten um Susanna und ihren Figaro, den Grafen Almaviva und seine Gemahlin zu verstehen. Von den Nebenfiguren einmal ganz zu schweigen, denn es ist ein komplexes Werk aus einer Vielzahl von Charakteren, die sich in diffizilen familiären, sozialen und psychologischen Verstrickungen miteinander befinden. Aber: „Um diese Handlung im eigentlichen Sinne geht es heute Abend nicht. Stattdessen beschäftigt sich das Opernhaus der Kammerspiele (…) mit Musik und damit, einen eigenen, aus der Musik von Mozart hervorgehenden Klang zu finden. Wie kommt ein Ton zustande und wie entwickelt ein Ensemble mit ganz verschiedenen Fähigkeiten und Erfahrungen einen Klang, der eigenständig und direkt ist und der mozartschen Musik auf Augenhöhe begegnet?“ (Programmheft) Also ging es nicht um das epochale dramatische Werk von Beaumarchais, der ursprünglich Pierre Augustin Caron hieß und Uhrmacher war? Doch, allerdings wird die Frage, ob es revolutionär war oder die Revolution wie kaum ein anderes Werk befeuerte, nicht in den Focus der theatralen Auseinandersetzung gestellt. Worauf in der Inszenierung weitestgehend verzichtet wurde, sei an dieser Stelle nachgereicht. Hier ein Zitat Figaros aus dem Drama „Figaros Hochzeit oder der tolle Tag“, der seinem Herrn, den Grafen Almaviva, die Meinung sagt: „Weil Sie ein großer Herr sind, meinen Sie, ein großes Genie zu sein. Adel, Vermögen, Rang, Würden, all das macht so stolz. Und was haben sie geleistet für so viel Herrlichkeiten? Sie haben sich die Mühe genommen, geboren zu werden: weiter nichts! Im Übrigen ein Alltagsmensch, während ich, im dunklen Haufen verloren, nur um mich fortzubringen, mehr Witz und Wissen aufwenden musste, als man in den letzten hundert Jahren für die Regierung aller spanischen Provinzen verbraucht hat. Und Sie unterfangen sich, mit mir anzubinden?“

Zum besseren Verständnis des historischen Stellenwertes dieses Theaterstückes soll der französische König Ludwig XVI. gehört werden. Aufgefordert von seiner Frau Marie Antoinette, das Stück zur Aufführung frei zu geben, ließ der König das gesamte Drama im Beisein seiner Gattin lesen. Er kommentierte einzelne Passagen lobend, andere tadelnd. Zunehmend unwirscher kamen schließlich Äußerungen wie „Das geht zu weit!“ oder „unanständig“. Als jedoch der Monolog im fünften Akt gelesen wurde, sprang er auf: „Das ist abscheulich! Das wird niemals gespielt werden: Die Aufführung des Stückes wäre eine gefährliche Inkonsequenz, wenn man nicht zuvor die Bastille niederreißen wollte.“ Zur Erinnerung: Acht Jahre später wurde die Bastille gestürmt und geschleift und sowohl der König wie auch sein Gattin verloren ihre Köpfe.

  Figaros Hochzeit  
 

Nurit Stark, Thorbjörn Björnsson, Franz Rogowski, Jelena Kulic

© Christian Friedländer

 

Worum ging es nun in der Inszenierung von „Figaros Hochzeit“ unter David Marton, der für seine Inszenierung „La Somnambula“ durchgängig Lob erntete, über die Entdeckung des wahrhaften Tons hinaus? In der Frage verbirgt sich bereits eine Antwort. Es geht um eine Revolutionierung des Theaters, denn das alte, das „verschulte Kommerztheater“ verhindert schon durch sein Wesen und seine Struktur alles Spontane, wohl eine Grundvoraussetzung für Wahrhaftigkeit. Wie kann etwas spontan sein, wenn es über Jahre (Spielpläne, Engagements etc.) hinweg geplant wird? So zumindest äußerte sich David Marton im Programmheft und er zitierte in diesem Zusammenhang Pierre Boulez, der die Sprengung sämtlicher Opernhäuser gefordert hatte. Natürlich meinte Boulez das metaphorisch, wie auch David Marton, wenn er sich wünscht, dass das Opernhaus in den Kammerspielen am Ende der Spielzeit in Flammen aufgehen solle. Immerhin ernähren ihn die Kammerspiele recht gut. Stellt sich die Frage, ob diese Revolution tatsächlich vonnöten ist oder ob es sich einfach nur um spätpubertäre Bilderstürmerei handelt, die allemal Aufmerksamkeit erregt? Es hat einfach schon zu viele „Revolutionen“ am Theater gegeben. Die meisten sind als illustre Marginalien in der Theatergeschichte verzeichnet, manche als Phasen der bloßen Verwahrlosung. Bei allem Aufbegehren lief es immer darauf hinaus, Zwänge und Verkrustungen zu überwinden. Die Wege waren vielfältig, manchmal klug und mit echten Neuerungen, manchmal allerdings auch nur anarchisch, laut und ziellos.

Theater war in den Hochzeiten immer eine kollektive Idee, von der alle Beteiligten gleichermaßen ergriffen waren. Selten war gutes Theater der Ausdruck der individuellen Ideen eines Kollektivs. In diesen Fällen war Theater zumeist Propaganda oder Ausdruck von persönlichen emotionalen und politischen Befindlichkeiten, zumeist beliebig und vor allem wirkungslos. Der Verdacht, dass letzteres gerade jetzt an den Münchner Kammerspielen passiert, kann durchaus aufkommen, wenn Franz Rogowski im Programmheft bekennt: „Den Menschen in seiner Körperlichkeit auszustellen, schwitzend und schreiend in der Welt, ist meiner Ansicht nach ein weit politischerer Gestus, als ein 200 Jahre altes Revolutionsstück aufzuführen.“ Für Franz Rogowski mag das zutreffen, trifft es aber für das Publikum auch zu? Ist es für das Publikum wirklich so sinnstiftend, wenn Franz Rogowski schreiend und schwitzend menschliche Körperlichkeit ausstellt (von einem 200 Jahre alten Revolutionsstück inspiriert), oder ist es vielleicht doch hilfreicher, wenn dem Publikum auf künstlerische, die emotionale Intelligenz ansprechende Weise, moralische Werte und humanistische Haltungen vermittelt werden, die es in den Stand versetzt, gegen Unterdrückung, Bevormundung und Würdelosigkeit anzugehen? In „Figaros Hochzeit oder der tolle Tag“ geht es um nichts Geringeres als die Rechte des Bürgers in Staat und Gesellschaft. Was sollte also schlecht daran sein, wenn Theater eine moralische Anstalt ist?

Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit meint: „Wo die Politik versagt, ist es die heilige Pflicht von Künstlern, Dichtern und Denkern, einzuspringen und das politische Vermächtnis dieser Zeit zu retten.“ (Website der Münchner Kammerspiele) Wenn sich Theater allerdings auf die Ebene von Politik (hinab-) begibt, verrät es seine ureigene Aufgabe, Anschauungen und nicht Meinungen zu bilden. So geschehen auch in Martons Inszenierung, der immer wieder kulturpolitische Dekrete und Manifeste einstreute. Gleich eingangs entpackten die Youngster in der Geschichte Figaro (Thorbjörn Björnsson), Susanna (Jelena Kuljić) und Cherubino (Franz Rogowski) eine vorsintflutliche kleine Druckerpresse, auf der sie Flugblätter herstellten. Inhalt war die Arie des Figaro, seine Kampfansage an den Grafen: „Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen, mag er’s nur sagen, ich spiel‘ ihm auf.“

Es gab Momente mit interessanten Bildern und hörenswerten Klängen, doch diese blieben weitestgehend singulär und sie waren auch nicht kontextual eingebunden. Eine schlüssige Dramaturgie war nicht auszumachen und so irrlichterte die Geschichte zwischen Momenten musikalischer Interpretation umher, die von harmonisch bis dissonant reichten und provokant Schrilles aber auch Lyrisches bereithielten. Im Eingangsbild sang das gesamte Ensemble chorisch auf stupende Weise das Eingangsduett  Figaros und Susannas: „Fünfe, zehne …“, in dem Figaro die Maße für die Möbel der gemeinschaftlichen Wohnstatt nimmt. Derartige Arrangement waren durchaus unterhaltend, doch unterm Strich hatte die fast zweieinhalbstündige Aufführung etliche Längen. Aus der aufkommenden Agonie rissen dann immer wieder die bekannten Motive, mit denen sich Mozart unsterblich machte. Szenische Umsetzungen der Geschichte, die, auch wenn sie vorab schon zu nebensächlich erklärt worden war, durchaus komplex ist, blieb für den Zuschauer, der die Handlung nicht aus der Mozart-Oper kannte, kryptisch und schwer entschlüsselbar.

Das Bühnenbild von Christian Friedländer hielt zwei Bühnenräume vor, an der Rampe vor einem gelben Vorhang ein Innenraum des gräflichen Schlosses, bei offener Bühne das Schloss selbst und der Park. Ein Weg aus Rindenmulch machte es möglich, das Schloss, das eigentlich erst ab dem ersten Stock als solches zu erkennen war und dessen Erdgeschoss aus Baugerüsten bestand, zu umkreisen. Davon wurde auch Gebrauch gemacht, insbesondere vom morgenrockbewandeten Grafen (Niels Bormann) und seiner verzweifelt um die Ehe ringende Ehefrau (Marie Goyette). Bei Mozart wandelte man im Grünen, bei Marton indes hetzte man durch das Gelände, um seinem Frust Luft zu machen. Und wieder war es Annette Paulmann, die in der Rolle der durchgängig alkoholisierten Marcellina daran erinnerte, welchen Zauber gutes Schauspiel entfalten kann. In der Zurschaustellung von Figuren, das war der vorherrschende Gestus, war sie durchaus als Fremdkörper auszumachen.

Musikalisch hatte David Marton viel aufgeboten. Neben einem ganzen Orchester, bestehend aus Petra Slottova (Flöte), Alissa Rossius (Flöte), Miriam Ströher (Oboe), Maximilian Strutynski (Klarinette) und Andrjei Slota (Cembalo) agierten die Solistin Nurit Stark (Violine) und Michael Wilhelmi (Klavier). Daniel Dorsch unterlegte als Klanggestalter. Auch war die musikalische Bearbeitung von Michael Wilhelmi und David Marton originell, witzig und gelegentlich auch überraschend. Allein, der tiefere Sinn der gesamten Unternehmung ließ sich am Ende nicht wirklich definieren. So setzte die Fluktuation des Publikums, das Mozarts „Figarios Hochtzeit“ erwartet hatte, weil es draufstand, recht früh ein. Sie riss bis zum Ende nicht ab und mancher, der ausgeharrt hatte, verließ das Haus in Ratlosigkeit.

Bemerkenswert war immerhin ein Zuschauersegment, das diese Inszenierung vorbehaltlos feierte. Vermutlich handelte es sich um eine nicht unbeträchtliche Zahl von „Erleuchteten“, die insbesondere durch Lachen, Begeisterungsbekundungen und Heiterkeit in Szenen von sich hören machten, in denen die meisten Zuschauer keinen echten Grund für Gefühlsausbrüche sahen. Vielleicht ist aber genau dieses Phänomen die Lösung für das anhaltende Dilemma an den Münchner Kammerspielen. Die Kammerspiele löst sein Publikum auf und wählt sich ein neues. Bei Intendant Baumbauer hat es auch funktioniert.

Wolf Banitzki

 


Figaros Hochzeit

nach Mozart/da Ponte und Beaumarchais

Niels Bormann, Jelena Kuljić, Franz Rogowski, Gundars Āboliņš, Annette Paulmann, Thorbjörn Björnsson, Marie Goyette, Nurit Stark, Michael Wilhelmi
Orchester: Petra Slottova, Alissa Rossius, Miriam Ströher, Maximilian Strutynski, Andrjei Slota

Regie: David Marton