Kammerspiele  Im Dickicht der Städte nach Bertolt Brecht


 

Vom Kampf der Einsamen

Brecht liebte Geschichten, in denen Existenzkämpfe tobten und in denen sich das Animalische hervortat. Boxen war eines seiner Steckenpferde. Dabei war er selbst physisch ein ziemliches Weichei. Er hatte weder einen Faible für sportliche Betätigung, noch liebte er die Natur. Als ihn ein Besucher in Buckow bei Berlin, wo er ein Landhaus erworben hatte, auf die wunderbare Natur und die Möglichkeit von Wanderungen ansprach, erwiderte Brecht einigermaßen erstaunt: „Ich bin doch kein Tourist.“ Nein, Brecht liebte es gemütlich und behaglich, physische Anstrengungen waren dem lebenslangen Zigarrenraucher zuwider. Das Zuschauen, wenn andere Menschen sich leidlich quälten, genoss er allerdings hingebungsvoll. Als junger Mann liebte er Abenteuergeschichten, wie sie im wilden Westen geschahen. Er dachte sogar (kurz, sehr kurz) über eine Auswanderung in die nordamerikanische Prärie nach.

So war es nicht verwunderlich, dass er bei der Lektüre von Rudyard Kipling etwas wesentliches entdeckte. Brecht sah Parallelen zwischen dem von Kipling beschriebenen Dschungel und den modernen wuchernden Großstädten. Diese Idee bescherte dem Augsburger gleich zwei Theaterstücke: „Trommeln in der Nacht“ und „Im Dickicht der Städte“. Brechts frühe dramatische Versuche fielen in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Er stand mit der Dramatik seiner Zeit auf Kriegsfuß, verachtete das „Mystische, Geistige, Schwindsüchtige, Geschwollene, Ekstatische“ des Idealismus, die Hohlheit der „O-Mensch-Dramatik“. Ja er verweigerte sich auch dem Expressionismus und nannte ihn „furchtbar“. Er meinte, der Expressionismus rebelliere mehr gegen die Grammatik als gegen den Kapitalismus. Diese Haltung relativierte er partiell, denn seine eigenen frühen Dramen sind durchweg anarchisch und zeigen durchaus expressionistische Anklänge.

Doch der Gegensatz zu den Expressionisten, die meinten, der „neue Mensch“ würde ein „reiner“ sein, fand Brecht sehr schnell heraus, dass man aus dem Menschen alles machen konnte, selbst das Verwerflichste. Ihren Höhepunkt fand diese Ansicht in der Figur des Galy Gay in dem Stück „Man ist Man“. Besagter Packer verließ das Haus um Fisch zu kaufen und endete als „menschliche Kampfmaschine, die alles niederwalzt“. In „Im Dickicht der Städte“ ist es der Holzhändler Shlink, der, als der Angestellte der Leihbücherei George Garga ihm seine eigenen Anschauungen nicht verkaufen wollte, selbigen zum Kampf herausfordert, in dem beide schließlich alles verlieren. Viel Mühe hat Brecht auf das Drama nicht verwandt. Er schrieb im Juli 1926 in Kochel über seine dramatischen Werke: „Bisher habe ich alles mit der linken Hand gemacht. Ich schrieb, wenn mir etwas einfiel oder wenn die Langeweile zu stark wurde. ‚Baal‘, das entstand, um ein schwaches Erfolgsstück in den Grund zu bohren mit einer lächerlichen Auffassung des Genies und des Amoralen. ‚Trommeln‘, um Geld zu machen (es ist danach, hat aber kein Geld gemacht). Mit ‚Dickicht‘ wollte ich die ‚Räuber‘ verbessern (und beweisen, daß Kampf unmöglich sei wegen der Unzulänglichkeit der Sprache).“

  Im Dickicht der Stdte  
 

v.l.n.r.: Jelena Kuljić, Gro Swantje Kohlhof

© Julian Baumann

 

Christopher  Rüping ließ sich von Brechts Vorgabe inspirieren und inszenierte sein eigenes „Im Dickicht der Städte“. Dabei gelang ihm zumindest in einem Punkt eine echte Übereinstimmung mit Brecht. Seine Inszenierung war von derselben chaotischen Formlosigkeit wie die Brechtsche Vorlage. Man mogelte sich langsam in das Stück hinein, indem Julia Riedler Mutmaßungen über Menschen aus dem Publikum anstellte, deren Gesichter via Kamera auf die Bühne übertragen wurden. Ein Grundtenor war, dass diese Menschen aus unterschiedlichsten Gründen in die Stadt gezogen, hier aber zumeist einsam geblieben waren. Damit war das Grundthema des Abends angeschnitten worden, das im Programmheft wie folgt formuliert wurde: „Unsere heutige Zeit bietet mehr Möglichkeiten als je zuvor mit anderen Menschen in Kontakt zu treten – und doch werden wir immer einsamer.“ Bereits im Foyer fand dieser Gedanke ein wirkungsvolles Bild. Gro Swantje Kohlhof und Christian Löber steckten in großen Plastikblasen, hermetisch von der Umwelt abgeschottet und mit dieser nur via Smartphone kommunizierend. Aus diesen stiegen sie erst heraus, als das Spiel auf der Bühne begann. Während diese beiden Darsteller die Schwestern und/oder Freundin von Georg Garga spielten, gestalteten Majd Feddah, Jelena Kuljić und Julia Riedler wechselweise die beiden Protagonisten Shlink und Garga.

Es war nicht leicht, in der zweistündigen Inszenierung einen roten Faden zu finden. Vielmehr war es ein Reigen unterschiedlichster Szenen, die viele Brüche aufwiesen und bisweilen sehr zäh gerieten. Selbstredend wurde kein Gag, auch der billigste nicht, ausgelassen. Eine Kinderpistole mit Gummigeschossen sorgte ebenso für Heiterkeit wie Spuckattacken mit Tinte. Eine romantische Zweierbegegnung unter einem überdimensionalen Betttuch wurde zum „Dreier“ und schließlich zu einer Swingerclub-Veranstaltung, bei der auch die erste Reihe der Zuschauer einbezogen wurde. Unpersönlicher Sex als Erlösung des vereinsamten Individuums aus der Isolation. Natürlich weiß man, dass das nur eine Illusion ist und lediglich über die Zeit hilft und nicht über das Problem. Es ging sehr turbulent zu und nicht immer erschloss sich der Aktionismus als dem Thema dienlich.

Der unbedingte Wille zur Unterhaltung ist an den Münchner Kammerspielen ungebrochen und verhindert auch weiterhin durchaus mögliche echte Tiefe. Eine Szene sorgte indes für Gänsehaut. Zu den Verbrechen, die sich die beiden Kontrahenten antaten, gehörte auch, dass einer dem anderen ins Gesicht spuckte. Dazu holte Julia Riedler einen jungen Mann auf die Bühne, der ihr ins Gesicht spucken sollte. Der Mann, so die Szene nicht inszeniert war, zeigte Anstand genug, es nicht zu tun oder es nur anzudeuten. Er tat es erst, als Frau Riedler ihr Gesicht mit Frischhaltefolie umwickelte und man ihm Trinkwasser zum Speien reichte. Entscheidend dabei war, dass er es tat und nachdem er es getan hatte, verblieb Julia Riedler lange genug in der Pose der Gedemütigten, um deutlich zu machen: Das „Verbrechen“ war geschehen. Brechts These, „dass man aus dem Menschen alles machen könnte, selbst das Verwerflichste“, hatte einen Beweis erfahren. Das erinnerte auf fatale Weise an das Experiment des amerikanischen Psychologen Stanley Milgram, in dem Probanden die Aufgabe auferlegt wurde, Versagen von anderen Probanden, die in einem anderen Raum saßen, zwar nicht zu sehen aber doch zu hören waren, mit Stromstößen zu bestrafen, deren Voltzahl von Mal zu Mal stieg. Beinahe alle strafenden Probanden straften bis ans Ende der Skala, selbst als die verzweifelten Rufe der gepeinigten Probanden bereits verstummt waren.

Bei Brecht verlieren die Überzeugungen Gargas, nachdem Shlink ihm seinen ganzen Besitz übertragen hatte ihre Bedeutung. Garga wird zum Säufer und zum Kriminellen. Er opfert alle ihm nahestehenden Menschen und reißt Shlink mit in den Abgrund, um sich schließlich dem Kampf zu verweigern, denn er hatte begriffen, dass es nicht darum ginge "der Stärkere zu sein, sondern der Lebendige". Shlink muss erkennen: "Die unendliche Vereinzelung des Menschen macht eine Feindschaft zum unerreichbaren Ziel. (…) Ja, so groß ist die Vereinzelung, daß es nicht einmal einen Kampf gibt." Er geht freiwillig in den Tod.

Die recht klare Botschaft bei Brecht findet sich in der Inszenierung von Christopher Rüping nicht zwingend wieder. Die ist überfrachtet mit überambitionierten szenischen Lösungen, die vielleicht hübsch anzuschauen sein mögen, weil sie viel Form aber wenig Substanz haben. Beispielsweise wenn Shlink Garga zu einem reichen Mann macht und Jelena Kuljić auf der Bühne mittels eines Gebläses ein Geldgestöber anrichtet. Es war das Übermaß an szenischem Aktionismus, das den Fortgang der Geschichte immer wieder ausbremste und unscharf werden ließ. Was von Brecht bereits formuliert worden war, nämlich dass es in den Großstädten eine babylonische Sprachverwirrung gibt, wurde wörtlich genommen. Die Vorstellung fand dreisprachig statt. Also hieß es zu schauen, wo die Übersetzungen angezeigt wurden. Englisch, so es akustisch verständlich war, war nicht das Problem, aber Syrisch oder Arabisch (?) bedurfte schon einer Übertitelung.

Das Anliegen, dem Publikum aufzuzeigen, dass nicht der Kampf der Bewohner gegeneinander das Problem ist, sondern der Kampf gegen die eigene Vereinsamung, mag schlüssig klingen. Allerdings, und das machte die Klugheit Brechts aus, hatte der begriffen, dass die Vereinsamung der Individuen das Resultat aus den ökonomischen Verhältnissen ist, in der der Mensch dem anderen immer ein Konkurrent ist. Für das Begehren, an dem Problem der Einsamkeit zu arbeiten und nicht an den Ursachen der Vereinsamung, werden sich die Protagonisten und Gewinner des Kapitalismus recht herzlich bedanken.

Es blieb nicht viel im Gedächtnis und doch beschäftigt eine Frage nachhaltig: Wie fühlt sich der junge Mann, den man dazu brachte, Julia Riedler ins Gesicht zu speien? War die Szene inszeniert und wenn nicht, ist man sich bewusst, was so ein Erlebnis mit einem Menschen machen kann?

Wolf Banitzki

 


Im Dickicht der Städte

nach Bertolt Brecht

Mit Majd Feddah, Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Christian Löber, Julia Riedler

Inszenierung: Christopher Rüping
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