Kammerspiele Prinz Friedrich von Homburg von Heinrich v. Kleist
Prinz Friedrich Arthur von Homburg ist ein junger Mann, begeisterungsfähig, voller Ideale und ein Träumer. Am Vorabend der Schlacht von Fehrbellin erkennt er seine Liebe zur Prinzessin Natalie. Seine Sinne vibrieren im Liebesrausch. Als der Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, seine Befehle für die Schlacht ausgibt, träumt der junge Prinz vom Eheglück und als der Geschützdonner ihn aus seinen Träumen reißt, sprengt der Heißsporn in die Schlacht, um sie für seinen väterlichen Freund zu schlagen. Er ist der Held und gleichermaßen verloren, denn er missachtete die Befehle. Das Kriegsgericht kennt nur ein Urteil. Tod.
In wohl keinem Stück Kleists ist der Dichter selbst in seiner ganzen Zerrissenheit und Tragik so präsent wie im Drama "Prinz Friedrich von Homburg". Heinrich von Kleist, der einem der ältesten und erfolgreichsten Offiziersgeschlechter entstammte und mit sechzehn Jahren schon den Krieg als Soldat am eigenen Leib erfuhr, scherte aus der Familientradition aus. Dieser Schritt belastete ihn selbst schwer. Er fühlte sich lebenslang in der Pflicht, etwas Außergewöhnliches zu vollbringen, um seinen Schritt zu rechtfertigen. Den "Lorbeer wollte er Goethe vom Haupte reißen", wie er selbst gestand.
Die Philosophie sollte ihm zum Ruhm gereichen. Doch als ihm Kants Werke ("Kritik der reinen Vernunft" und "Kritik der Urteilskraft") in die Hände fielen, der meinte, die letzten Wahrheiten werden dem Menschen verschlossen bleiben, verlor er den Boden unter den Füßen.
Die Frauen, die er so heftig begehrte und verehrte, wollte er sich aus dem Herzen reißen. Einzig platonische Beziehungen erlaubte er sich, und um der "Qual" und den daraus erwachsenden Gefahren seiner Triebhaftigkeit zu entfliehen, zog er sogar eine Selbstentmannung in Erwägung. Eine vorzeitig erschöpfte Reisekasse verhinderte dies wohl. Als sich Kleist nach einem, wie er selber glaubte, erfolglosen Leben am 21.11.1811 nach einem gemeinsamen Picknick mit der krebskranken Freundin Henriette am Ufer des Kleinen Wannsees bei Berlin die Kugel gab, war er 34 Jahre alt. Wenige Wochen zuvor war dem Dichter, der nie eines seiner großartigen Stücke auf der Bühne sehen konnte, die Wiedereinstellung als Offizier in Aussicht gestellt worden.
Heinrich von Kleist, ein reiner und von höchsten Idealen erfüllter Mensch, musste immer wieder die Ironie des wahren Lebens erfahren, zuletzt noch bei seinem Freitod, denn er starb nicht durch die Kugel, sondern er erstickte an den Pulverdämpfen der in den Mund abgefeuerten Pistole.
Christoph Luser, Sandra Hüller, Paul Herwig © Arno Declair |
Wer kann angesichts der Lebensumstände Kleists die Ironie des Schicksals des Prinzen von Homburg als tiefe Selbsterfahrung des Dichters übersehen? Nun, viele Inszenierungen taten dies in der Vergangenheit und so war die "deutsche Sicht" auf den Konflikt nicht selten eine politische. Kleists Homburg rührt uns nicht an, weil eine vordergründig deutsche - oder schlimmer noch - preußische Geschichte erzählt wird, sondern weil von einem idealistisch beseelten liebenden Menschen die Rede ist, der in jedem Fall, wie auch Kleist selbst, an der Realität scheitern muss.
Regisseur Johan Simons verstand es, genau diese Sicht auf der Bühne der Kammerspiele zu erzeugen. Jan Versweyveld hatte ihm dafür den Raum geschaffen. Der Prinz verharrte in einem Spiegelkabinett, gefangen in Selbstreflexionen und in idealistischen Gaukeleien, die mit der Realität wenig gemein hatten. Einzig eine Kloschüssel erinnerte daran, dass im idealen Wesen auch ein animalisches Wesen steckt. Johan Simons ließ langsam spielen, Wort für Wort. Die Schönheit der Kleistschen Sprache, von kaum einem deutschen Dramendichter übertroffen, blühte in voller Pracht. Geschickte Brüche, von allen Darstellern fabelhaft gesetzt, verhinderten dabei jegliche Romantik und überbordendes Pathos. Simons Inszenierung erbrachte einmal mehr den Beweis, dass sowohl die Figuren wie auch der Konflikt heutig ist und es wohl auch immer bleiben wird.
Die dramaturgischen Eingriffe waren dabei erheblich. Von den dutzenden Rollen ließ man ganze sechs übrig, ohne dass es dem Erlebnis Abbruch tat. Paul Herwig gab einen sensiblen, gelegentlich somnambulen Homburg, der innere Kämpfe mit vergleichsweise wenigen Mitteln deutlich machen konnte. Ihm zur Seite Christoph Luser, der als Graf Hohenzollern einen glaubhaft mitfühlenden jugendlichen Freund gab. Seine Gestaltung war von äußerster Klarheit und Prägnanz bestimmt. Sandra Hüller, sie war als Natalie von Kostümbildnerin Nadine Grellinger eher androgyn gezeichnet worden, entfaltete in entscheidenden Augenblicken die vom Zuschauer ersehnte weibliche Sinnlichkeit. Anré Jung durchbrach als Kurfürst von Brandenburg immer wieder die staatsmännische Pose und erzeugt über dezente Momente der Komik echte Menschlichkeit. Das Ensemblespiel war perfekt und fesselnd. Und das war auch notwendig, denn es gab keine deutlich sichtbaren Szenenwechsel. Alles spielte sich in einem verspiegelten Quadrat ab. Einzig Auf- und Abgänge waren Hinweise dafür, dass sich Raum und Zeit änderten. Dennoch blieb alles überschaubar und verständlich.
Johan Simons Inszenierung hatte viele Qualitäten. Die bedeutendste war unbestritten ihre Unambitioniertheit in Bezug auf die Aussage. Ohne vordergründige oder gar aufgesetzte Botschaft entließ sie die Zuschauer mit der klaren und wohl auch unbestechlichen Sicht auf den Konflikt. Die Schlüsse kann zwar jeder für sich ziehen und doch wird die Übereinstimmung beim Finden der Antworten groß sein. Selbst die starken militaristischen Momente, die leider im Stück nicht zu umgehen sind, verloren ihre unbestreitbar propagandistische Potenz.
Johan Simons intelligente und wegweisende Inszenierung könnte die Kopf- und Visionslosigkeit heutigen "modernen Theaters" überwinden helfen. Leider ist der semantische Unterschied zwischen Theater der Moderne und modisches Theater weitestgehend unbekannt. Daher wird mir der begeistert artikulierte Satz eines Zuschauers beim Verlassen des Theater lange im Bewusstsein bleiben. Markiert er doch einen wesentlichen Aspekt heutigen Theaters. "Man kann Kleist also auch modisch machen." Ja, die Sprache ist verräterisch …
Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich v. Kleist
André Jung, Annette Paulmann, Sandra Hüller, Paul Herwig, Stephan Bissmeier, Christoph Luser Regie: Johan Simons |