Kammerspiele Die Probe (Der brave Simon Korach) von Lukas Bärfuss


 

 

Wenn die Stimme des Blutes verstummt

Peter Korach, Sohn des sich im Wahlkampf befindenden Politikers Simon Korach, hat einen Vaterschaftstest machen lassen. Verführt dazu hat ihn Franzeck, Ex-Junkie, der bei den Korachs ein Zuhause gefunden hat. Er meint, "sicher könne man nie sein". Peter steht dem Ergebnis wie einem apokalyptischen Ereignis gegenüber. Simon dessen Wahlkampf in die entscheidende Phase eintritt, ist überfordert und lässt die Mutter einfliegen. Die hält sich zum "Atmen" in einem indischen Ashram auf. Die Familie ist komplett und ringt um Lösungen. Die Geschichte darf erst einmal nicht an die Öffentlichkeit gelangen, warnt Franzeck, der gerade nach dunklen Punkten in der Vergangenheit des Gegenkandidaten Gruber sucht. Und schließlich meint man, Peter solle sich doch nicht so haben. Immerhin denken und fühlen alle humanistisch und da sei es doch gar nicht so von Belang, wer der biologische Vater sei. Doch diese Überlegenheit schwindet sehr schnell, als auch bei Simon Zweifel darüber aufkommen, ob Peter tatsächlich sein Sohn ist.

Lukas Bärfuss, Jahrgang 1971 und einer der erfolgreichsten Dramenautoren unserer Zeit, verfasste das Stück "Die Probe" im Auftrag der Münchner Kammerspiele. Diese Zusammenarbeit erwies sich als äußert fruchtbar. Heraus kam ein aktueller Diskurs in gelungener dramatischer Form, die zudem noch kongenial von Regisseur Lars-Ole Walburg in Szene gesetzt wurde. Autor Bärfuss nähert sich dem Thema von zwei Seiten. Er zeigt auf, welche Konsequenzen die neuen Technologien in der Medizin für die Psyche der Menschen haben. Zwar konnte man bislang "nie wirklich sicher sein", aber herausfinden konnte man es auch nicht. Das ist anders geworden. Der zweite Aspekt ist der des Marktes. Die Tests sind Angebote, die verkauft werden sollen und wo ein Bedürfnis nicht da ist, muss es geweckt werden. Das hat natürlich fatale Folgen. Männer lassen diese Proben häufig heimlich machen und hintergehen damit vorsätzlich ihre Frauen. Die Großartigkeit des Gefühls Vertrauen hat keine Existenzberechtigung mehr, denn man kann ja schließlich wissen. Vielleicht ist es genau dieser Vorgang, der einen Paradigmenwechsel im Gefühlsuniversum des modernen Menschen eingeläutet hat. Dass es einen Wandel zur pragmatischen und leidenschaftslosen Beziehung gibt, ist unbestritten.
 
   
 

Hans Kremer, Gundi Ellert, Stefan Merki

© Arno Declair

 

Leider konnte Lukas Bärfuss die entscheidenden Antworten nicht geben, die es in der Psychologie längst gibt. In einer Welt, die auf Besitz gründet, werden auch Kinder (für den Besitzenden mehr oder weniger deutlich) als Besitz begriffen. Dieser Eigentumsanspruch gründet sich auf die Tatsache, dass "mein Kind" aus "meinem Fleisch und Blut" ist. Wenn sich nun herausstellt, dass dem nicht so ist, erlischt dieser Anspruch automatisch. Das natürliche Verhältnis der Vaterschaft gründet sich jedoch auf eine starke "Bezogenheit". Sie und kein anderer Ansatz ermöglicht echte Vaterschaft.


Vorbei an dieser grundsätzlichen Einsicht, die wohl auch aus kommerziellen Gründen keine breite Basis in der Bevölkerung hat, wurde vom Autor Bärfuss breit diskutiert. Schaut man sich das Interview mit ihm im Programmheft an, so wird deutlich, dass er intensiv über die Konsequenzen in ihrer ganzen Komplexität nachdachte. Eine wirkliche Hilfe war das den (möglicherweise auch im Publikum) Betroffenen nicht.

Der Leser sollte sich nicht schrecken lassen von all der Theorie. Auf der Bühne hat das Ganze einen sehr unterhaltsamen, spannenden und überraschenden Charakter. Lars-Ole Walburg, der sich auch in München einen Namen als (Text) Zerstörer gemacht hat, leistete in dieser Inszenierung erstaunliches und demonstrierte mit dieser Arbeit, dass er durchaus konstruktiv gestalten kann. Ohne szenische Ausschweifungen organisierte er das Spiel diszipliniert und hoch artifiziell. Auf einer kippbaren Drehbühne von Robert Schweer, die alle Wohnbereiche des Korachschen Hauses deutlich beschrieb, versanken die Protagonisten allmählich in ihren eigenen Verletzlichkeiten, Unzulänglichkeiten und Erbärmlichkeiten.

Hans Kremer gab den Simon abgeklärt und erst in der höchsten Not wurde der Politiker menschlich. In diesen Augenblicken der Wahrheit unterschied sich der moralisch ach so integere Mann nicht mehr von seinen Zeitgenossen. Oliver Mallisons Peter startete mit einem wuchtigen Prolog in höchster Verzweifelung, erkannte später die Chance der Liebe und versank nach seinem Ableben in bildhaftem Zynismus. Ehefrau und Mutter Helle Korach wurde von Gundi Ellert gespielt, die einmal mehr ihre darstellerische Brillanz durchschimmern ließ. Umwerfend komisch und erschütternd zugleich gab Stefan Merki den Franzeck, der in seiner Anlage durchaus Züge des Woyzeck trug. Seine Gestaltung zeichnete im Wesentlichen für die beklemmende Grundstimmung verantwortlich, der man sich auch oder gerade wegen der tragisch-komischen Momente nicht entziehen konnte. Er, der keine Familie hatte und vergebens um den letzte Bezug rang, wurde verstoßen und in den Alkohol zurück geschleudert. Stefan Merki ließ den Betrachter erschauern.

Es ist ein bemerkens- und empfehlenswerter Abend, thematisch und künstlerisch fesselnd. Denn, "wenn die Stimme des Blutes verstummt", zeigt sich wie vorurteilfrei und aufrichtig die Liebe war. Das sind dann die Augenblicke, in denen die Menschen echte Größe zeigen können und nicht selten in ihrer Krämerseligkeit kläglich versagen.

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Probe (Der brave Simon Korach)

von Lukas Bärfuss

Hans Kremer, Oliver Mallison, Katharina Lorenz, Stefan Merki, Gundi Ellert

Regie: Lars-Ole Walburg
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