Kammerspiele Glaube Liebe Hoffnung von Ödön v. Horváth


 

 

Wenn nichts anderes übrig bleibt …

Gerhard Matzig, Leitender Feuilleton Redakteur der Süddeutschen Zeitung, schrieb in dem im Programmheft abgedruckten Artikel "Horváths Lehren": "Horváth (…) bezog sich noch auf die Weimarer Republik und furchtbare Kämpfe um wirtschaftliche Lasten und sozialen Ausgleich. Man wähnte sich am Vorabend eines grausamen Bürgerkriegs, der dann in die Nacht eines sehr viel größeren Kriegs führte. Weit, sehr weit sind wir von solchen Zuständen entfernt." Sind Sie sicher, Herr Matzig? Glauben Sie, Herr Matzig, nur weil Gewalt - reale Gewalt - als unschicklich gilt, wird sie nicht mehr stattfinden? Viele kritische Geister, die über alles reden können, vornehmlich in Talkshows, und zu allen Fragen eine Meinung haben, ignorierten zu allen Zeiten ein gesellschaftliches Element, das unabdingbar in jeder gesellschaftlichen Katastrophe ein überragende Rolle spielt: die Trägheit der Masse. Gesellschaftliche Massen geraten sehr, sehr langsam in Bewegung, doch wenn sie in Bewegung geraten sind, besitzen sie soviel potenzielle Energie, dass nichts mehr steuerbar ist. Und dann reiben sich die Politiker, eine Bezeichnung, die längst nicht mehr zutreffend ist, die Augen und verstehen nicht.
 
   
 

André Jung, Brigitte Hobmeier

© Arno Declair

 

Dabei ist es doch ganz einfach. Man gehe in die Münchner Kammerspiele, schaue sich "Glaube Liebe Hoffnung", durchaus eine geschichtliche Parabel, an und lasse das Gesehene und Gehörte auf sich wirken. Dort wird die Geschichte der fahrenden Händlerin Elisabeth erzählt, die, einmal in die Mühlen der Justiz geraten, unaufhaltsam absteigt, bis nur noch der Tod ihr ein Ausweg sein kann. Elisabeth ist intellektuell nicht unbedingt gesegnet und an Schulbildung mangelt es ebenfalls. Aber sie liebt das Leben, glaubt, ein verbrieftes Recht darauf zu haben und lässt darum den Kopf nicht hängen. Nichts an der Geschichte ist unglaubwürdig, weder die menschliche Kälte derer, die die Gesellschaft ausmachen, noch die Unberührbarkeit des Staates, der, angeblich zum Wohle des Menschen geschaffen, einzelne Individuen zermalmt, und die Wohlfahrt einiger weniger beschützt. Dabei ist diese Geschichte nicht einmal Fiktion, sondern sie hatte einen authentischen Hintergrund.


Eine Empfehlung und als solche kann der Leser diese Besprechung getrost nehmen, sollte gut begründet werden. Der wichtigste Grund ist, dass die Geschichte nicht in der Bild- oder einer anderen Zeitung oder im TV gezeigt wird, sondern im Theater. Die ersten beiden Medien haben keine aufklärerische Funktion mehr. Sie wollen nur noch informieren, handeln also mit der Ware Information, was ein rein kaufmännischer Vorgang ist. Das Theater hingegen berührt den Zuschauer und verändert ihn durch emotionale Vorgänge, welche Entscheidungen herausfordern. Wenn man in "Glaube Liebe Hoffnung" ein Unbehagen fühlt, dann ist dieses Gefühl realistisch, weil es genau die Ängste freisetzt, die seit längerem schon in der Gesellschaft unter der Decke brodeln. Information (Medien) und Politik setzen alles daran, diese Ängste wegzuleugnen oder durch primitiv kausale Erklärungen zu entschärfen. (Siehe Unterschichtenddebatte, die nur zwei Wochen lang anhielt.) Doch Vorsicht, man sollte die Trägheit der Masse nicht unbeachtet lassen. Sie beginnt bereits, destruktive Energien aufzunehmen und zu speichern. "In jedem von uns schlummert zum Beispiel ein Attentäter."

Aber da es sich ja um ein Theaterereignis handelt, kann die gesellschaftliche Relevanz allein kein überzeugender Grund für ein Empfehlung sein. Befragt, ob man sich dem künstlerischen Ideal - Einheit von Inhalt und Form - nähern konnte, gibt es nur eine Antwort: in höchstem Maße. Stefan Kimmig schuf eine Inszenierung, die sich auf zwei Säulen stützt, den Text und die Darstellung der Schauspieler. Das gelungene Bühnenbild von Martin Zehetgruber ist schwerlich als ein solches zu bezeichnen, bestand es doch lediglich aus einem den halben Bühnenraum verblendenden Plastikvorhang und eine mit Wasser geflutete Vorderbühne. Es gab kein einziges Requisit, außer der Dinge, die die Darsteller bei sich trugen. Kimmig erreichte damit ein völlige Zeitlosigkeit und vermied jede vordergründige Anspielung auf reale Vorgänge, was ein Höchstmaß an Bühnenrealität und ein geradezu diabolische Suggestion schuf. Die Szenenwechsel bedurften keiner Auf- oder Abgänge, Vorhänge oder ähnliches. Das Licht steuerte den Fortgang der Geschichte. An und Aus bedeuteten bei Kimmig alles, Zeit, Raum und Fortschreiten.

Wer nun glaubt, diese düstere Geschichte sei ausschließlich niederdrückend und depressiv, der kennt Horváth nicht. Regisseur Kimmig kennt ihn nicht nur, er muss ein tieferes Verhältnis zu diesem genialen Künstler haben, denn er folgte den Einflüsterungen des Meisters und verschenkte nichts. Das Publikum hatte viel, sehr viel zu lachen. Dieses Lachen wurde nicht durch Gags oder dramaturgische Einschübe erzeugt, sondern entsprang der Fantasie der Zuschauer, die die allgemeingültigen menschlichen Schwächen in aller Deutlichkeit sahen und der ironisierenden Sicht- und Denkweise der Inszenierung folgten. Dieser Vorgang war nicht nur voller Wahrheit, sondern auch voller Schönheit, der Schönheit eines kollektiven Traums, der ohne Wenn und Aber in das Publikum schwappte. Der wichtigste Grund für diesen Erfolg war zweifellos in der Darstellung zu finden. Stephan Kimmig verführte die Akteure zu einem sehr menschlichen, aber auch wohlbemessenen artifiziellen Spiel. So fand im abstrakten Umfeld der bezugslosen Bühne eine gesellschaftlicher Reigen - oder Totentanz, wie Horváth es nennt - statt, der die Fantasie des Zuschauers zügellos machte. Das Ensemble war durchweg exzellent. Hervorgehoben sein dennoch André Jung, dessen Selbstentfremdung in der Rolle des Präparators soweit führte, dass er seinen eigenen sozialen Aufstieg nicht einmal mehr wahr nahm. Gundi Ellert verkörperte als Frau Amtsgerichtsrat eine Figur, die in allen Horváth - Stücken zu finden sind. Es handelt sich um die Menschen, die auch in schier aussichtslosen Situationen um Menschlichkeit ringen. Wie komisch dieses Bemühen ausschauen kann, führte Gundi Ellert exemplarisch vor. Und wenn von komischen Rollen die Rede ist, soll Wolfgang Pregler nicht unerwähnt bleiben, der als Baron, Amtsgerichtsrat und Vizepräparator gleich in drei Rollen schlüpfte, die von Horváth als demaskierend angelegt waren. Am wichtigsten war diese Inszenierung zweifellos für Brigitte Hobmeier, die mit ihrer Leistung als Elisabeth im Ensemble der Kammerspiele angekommen ist.

Zurück zum Inhalt des Stückes. Nein, die Moral von der Geschichte soll nicht angehängt werden, vielmehr ein Denkanstoß in Bezug auf die Realitäten außerhalb des Theaters. Ödön von Horváth meinte: "Ich habe keine Angst mehr vor dem Denken, seit mir nichts anderes übrig bleibt." Was geschieht, wenn das Pisaprekariat - dieses Wort sollten Sie genießen - voranschreitet? Das Denken wird dann nicht die vornehmliche Eigenschaft der Massen sein. Dann würde es heißen: "Wir haben keine Angst mehr vor dem Handeln, seit uns nicht anderes übrig bleibt."

 
Wolf Banitzki

 

 


Glaube Liebe Hoffnung

von Ödön v. Horváth

Brigitte Hobmeier, Edmund Telgenkämper, André Jung, Stephan Bissmeier, Wolfgang Pregler, Gundi Ellert, Michaela Steiger, Lena Lauzemis, Peter Brombacher, Bernd Moss

Regie: Stephan Kimmig