Kammerspiele Die Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist


 

 

Kleist im heutigen Spiegel

Wir Deutschen sind ein bedauernswertes Volk. Obgleich unsere Nation eine bewegte und komplizierte Geschichte hat, in aller Welt hochgeachtet ist und gelegentlich auch bewundert wird, verfügt das Volk der Deutschen über kein Nationalepos, das identitätsstiftend wirkt. Wir können einige verheerende Kriege vorweisen, die keine rühmlichen Kapitel der Geschichte werden wollen, so sehr man sich unter Beanspruchung der Deutungshoheit auch anstrengt. Die geeinte deutsche Nation wurde zudem nach einer schmählichen Militärexpedition im Ausland ausgerufen. Also, unterm Strich findet sich nichts, was aus dem Dilemma retten könnte. Die „Nibelungen“ waren ein peinlicher Versuch, denn welchen Sinn macht ein Epos, in dem am Ende alle tot sind?

Heinrich von Kleist fand immerhin ein geschichtliches Ereignis, das nach außen hin allen Ansprüchen genügen könnte, die  Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Christus. Hermann der Cheruskerfürst führte die geeinten Stämme der Germanen gegen die römischen Eindringlinge und rieb drei feindliche Legionen in einem Guerillakampf auf. Wie gern erinnert sich die deutsche Geschichte an den verzweifelten Ruf Augustus: „Quintili Vare, legiones redde!“  Wendet man sich von der holzschnittartigen Heroenverehrung ab, weist allerdings auch diese Geschichte einige Peinlichkeiten auf. Der große Held Herman, der übrigens eine römische Erziehung genossen hatte, starb beispielsweise nicht durch die Hand eines Feindes; die Klinge führte ein Germane.

Kleist war bei aller Begeisterung für das Militär und den Krieg hellsichtig genug, vom Vorhaben, eine Nationalepos zu schaffen, abzusehen. Das Stück entstand 1808. Die späteren deutschen Gebiete, von einem Nationalstaat war man noch mehr als ein halbes Jahrhundert entfernt, wurden von den Truppen Napoleons besetzt gehalten. Kleists Intentionen bestanden vornehmlich darin, mit seinem Drama eine militärische Strategie gegen den übermächtigen Feind anzuregen, den Guerillakrieg. Dass so ein Stück starken propagandistischen Charakter haben muss, liegt auf der Hand. So sind die Figuren überzeichnet, vereinfacht und der Konflikt provoziert Nationalismus.

Immer wieder hört man mit dem Unterton der Schamhaftigkeit: Das Stück ist nicht mehr spielbar. Dass es immer wieder in den Spielplänen der deutschen Theater auftaucht, hat vornehmlichen einen Grund: Die Sprachgestaltung der Kleistschen Dramatik ist ein Höhepunkt in der deutschen Literaturgeschichte. Der Reiz scheint unüberwindbar zu sein. Warum dieses Stück spielbar ist, beweist die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen unter Federführung von Armin Petras. Regisseur Petras hat eine eigene Spielfassung erstellt, die auch das Drama Grabbes aus dem Jahr 1835 mit gleichem Titel einbezieht. Die Begründung seiner Wertschätzung für diese beiden Autoren ist nicht nur hinreichend, sie ist geradezu zwingend: "Kleist ist mein Lieblingsautor. Aber Grabbe gehört auch zu meinen liebsten Autoren. Ich finde, dieser kranke Größenwahn beschreibt Deutschland natürlich sehr schön und in der Mischung aus Größenwahn und extremer Verzweiflung sind Grabbe und Kleist sich sehr nahe."

Bei der Erarbeitung einer zeitgemäßen Dramaturgie griffen die Macher auf Quellen zurück, die die historischen Protagonisten unverblümt beschreiben. Tacitus (um 55 bis 120) formulierte in seiner ethnografischen Studie über die Germanen an den Nordgrenzen des römischen Reichs einen erstaunlich nüchternen und objektiven Bericht, bei dem unsere Vorfahren keineswegs schmeichelhaft davon kamen. Als rau, grob und auch wenig berechenbar in ihrer animalischen Lebensführung, die nicht selten sauf- und rauflustig mit tödlichen Ausgang war, wurden sie eingestuft. Armin Petras flocht diese Eigenschaften als Grundton in seiner Inszenierung ein.

Katrin Bracks Bühne war minimalistisch. Große Schaumstoffquader und –würfel, auf einen chaotischen Haufen geworfen, beschrieben ein wüstes, unkultiviertes Land. Wenn die Schaumstoffteile gemäß der Handlung umgeschichtet wurden, blieb die Landschaft doch immer ordnungslos. Armin Petras vermied es, martialische Einlassungen in des Spiel zu integrieren. Sobald die Geschichte auf Auseinandersetzungen zusteuerte, traten die Musiker des Modern String Quartets in Erscheinung und suggerierten mit rasantem Streichersound, was auf der Bühne dankenswerter Weise vermieden wurde.

Die Darsteller umgingen nahezu jede heroische Pose, erschienen sehr menschlich, selbst dann, wenn der Text Anderes verlangte. Peter Kurths Hermann war verschlagen und klarsichtig. Er steuerte die Geschehnisse zumeist nur mit Andeutungen. Wuchtig in seiner Erscheinung, bewies er trotz schäumenden Hasses stets Sinn für Pragmatismus. Ihm zur Seite agierte Wiebke Puls als „Tus-chen“ (Tusnelda) mit grandios vielschichtiger Weiblichkeit. Der Gegenspieler Vorort war Ventidius, römischer Legat. Edmund Telgenkämper erschien im Smoking und demonstrierte damit die kulturelle Überlegenheit der Römer. Auch er war ein berechnender Politiker, der als Don Juan offen ließ, wie weit seine Zuneigung zu Tusnelda gediehen war. Lasse Myhr (Eginhard), Jochen Noch (Wolf), Horst Kotterba (Thuiskomar) und Michael Tregor (Selgar) stellten die Stammesfürsten auf gänzlich unheldenhafte Weise dar. Körperlich wenig herkulanisch und mental eher schlicht gestrickt, kamen sie in ihren Darstellungen den Beschreibungen des Tacitus vermutlich sehr nahe.

Armin Petras fand durchgängig exzellente szenische Lösungen und sparte dabei ästhetisch Grenzwertiges nicht aus. Als Hally (Katharina Hackhausen), die Tochter des Waffenschmiedes (ebenfalls Michael Tregor) von den römischen Besatzern geschändet wurde, töteten die engstirnigen Germanen sie und bespieen den Leichnam. Diese Begebenheit wurde dann als Anlass zum Widerstand gegen die Römer genommen. Zum militärischen Aufstand wurden die Schaustoffteile zum Wall der Teutoburg errichtet, was in Schwerstarbeit für die Schauspieler ausartete. Als die Schlacht geschlagen war, erschienen die teutonischen Helden mit langen Schwertern auf der Bühne, die sie, ehe sie abgingen, dem zum Führer aller Germanen avancierten Hermann in die Hose steckten. Der hatte dann sichtliche Mühe, die Bühne zu verlassen. Diese wunderbare Metapher kann nur als Geniestreich der Regie bezeichnet werden, nahm sie doch die unselige militaristische Geschichte Deutschlands vorweg.

Das umstrittene Drama Kleists wurde unter den Händen von Armin Petras zu einer historischen Farce, was sicherlich nicht den Intentionen Kleists entsprach, aber eine sinnfällige Übertragung in eine heutige Lesart war. Petras ließ Kleists grandiose Sprache unbehelligt, verkehrte aber den Sinn des Stücks gegen sich selbst. Die furiose Inszenierung strotzte nur so vor Komik und stellte damit den vielleicht besten Weg dar, Kleist in seinem militaristischen Ethos zu überwinden. Die Botschaft von Armin Petras war unverkennbar.
„Die Hermannsschlacht“ an den Kammerspielen München wird mit Sicherheit Furore machen. Also: Nicht entgehen lassen!

 

Wolf Banitzki

 

 


Die Hermannsschlacht

von Heinrich von Kleist

Katharina Hackhausen, Horst Kotterba, Peter Kurth, Modern String Quartet, Lasse Myhr, Jochen Noch, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper, Michael Tregor

Regie: Armin Petras
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