Kammerspiele Alles nur der Liebe wegen von Andreas Kriegenburg


 

 

Die unerträgliche Traurigkeit der Liebe
 
Was könnte dabei herauskommen, wenn sich ein begnadeter Regisseur und acht hochkarätige Schauspieler ohne einen vorgefertigten Text auf eine Bühne begeben, und spielerisch über das Thema Liebe, das Thema schlechthin, nachdenken? In jedem Fall werden die Erfahrungen von neun Menschen einfließen, was schon mal ein Vorzug gegenüber einer einigen „letzten“ Ansicht zum Thema ist, denn eins ist sicher: Zu diesem Thema kann es keine „letzten“ Ansichten geben. Sicher ist auch, dass sich das Verhältnis des Menschen zum Thema Liebe unter jedem neuen gesellschaftlichen Vorzeichen wandelt. So kann das Ergebnis, wie es auf der Bühne der Kammerspiele in Augenschein genommen werden kann, nur ein temporäres sein. Es ist, obgleich sicherlich nicht repräsentativ, erschütternd und anrührend zugleich, denn zur gelebten und erfüllten Liebe kommt es nicht. Es gibt unendlich viel Gründe, die dagegen sprechen.
 
Andreas Kriegenburg strukturierte den Abend in drei thematische Blöcke: Der erste Teil behandelte die Liebe als ein (wenig) probates Mittel gegen die Einsamkeit. Der zweite Teil untersuchte die Liebe als Möglichkeit, die Einsamkeit mit einem Partner zu teilen, und im dritten Teil beschrieben die Schauspieler Situationen ohne erfüllende Liebe und die daraus resultierenden Ergebnisse: Destruktion und Gewalt. Regisseur Kriegenburg erfand für die Darstellung eine ebenso einfache wie geniale Lösung zur Sichtbarmachung (oder besser Hörbarmachung) innerer Vorgänge. Stefan Merki agierte als Gedankenleser. Wann immer er sich einer der Personen zuneigte, wurden deren innerste Beweggründe und Gedanken für die Zuschauer vernehmlich. Der Rest, eine wahre Augenweide, waren Haltungen, Bewegungen und mimische Ausdrücke.
 
Es war eine poetische Abrechnung mit der erbärmlichen Unfähigkeit des Menschen, das vielleicht natürlichste und wunderbarsten Gefühl, welches dem Menschen gegebenen ist, lebbar zu machen. Nur wenige Szenen entbehrten aufgrund der Überzeichnungen einer zwingenden Komik. Gerade diese Komik zeigte das Licht am Ende des Tunnels, denn eigentlich gäbe das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit jedem Menschen alles an die Hand, um den Missstand zu beenden. Und dennoch kann man sich erfahrungsgemäß darauf verlassen, dass das Desaster unverändert weiter existiert. Das hängt nicht zuletzt auch mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten zusammen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Haben, das Sichaneignen, der illusionäre Besitz von Liebe alle zwischenmenschlichen Beziehungen beherrscht. Dabei funktioniert Liebe nur als ein Sichverschenken, um zu stimulieren und so in positivem Sinn zu sein. Erich Fromm ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte: „Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Missbrauch des Wortes, um zu verschleiern, dass in Wirklichkeit nicht geliebt wird.“ (Haben oder Sein)
 
Andreas Kriegenburgs Inszenierung bestärkte diese radikal auf den Punkt gebrachte Ansicht Fromms, denn in jeder Szene wurde der egomanische Ansatz der vermeintlich liebenden, der sich nach Liebe sehnenden oder der um Liebe buhlenden Personen deutlich. Es entstand ein trauriges, ein desillusionierendes Bild zum Thema Liebe, dass bei aller Unvollkommenheit doch immerhin zum Nachdenken und zur Selbstreflexion anregte. Da aber das Thema im Theater abgehandelt wurde, hatte es zugleich einen unterhaltenden und eine ästhetischen Wert, der den Abend in jedem Fall rechtfertigte.
 
Das Bühnenbild, ebenfalls von A. Kriegenburg, bestand aus einem Saal mit Säulen und rosafarbenem Marmorwänden, der das Foyer eines aus dem 19. Jahrhundert stammenden Theaters oder eines Museums sein könnte. Er fungierte im Verlauf der Handlung, die keine durchgängige war, auch als Tanzhalle. In seiner Unbestimmtheit ließ der Raum alles zu und beeinträchtigte nichts. Der Reigen menschlicher Verhaltensweisen war angefüllt mit erstaunlichen, erschreckenden, aber auch bezaubernden szenischen Einfällen, die an dieser Stelle nicht beschrieben werden sollen, da sich das Anschauen unbedingt lohnt.
 
Die Darsteller, die durchweg brillant agierten, nahmen dabei sehr natürliche, aber auch grotesk überzeichnete Haltungen ein, ohne dabei nur ein einziges Mal unglaubhaft zu werden. Weder ordinär-brutale noch sensibel-sehnsuchtsvolle Szenen wurden ausgespart. Das Mosaik um das Thema schien vollkommen zu sein. Einzig glückliche Augenblicke fanden nicht statt und das hatte einen guten Grund. Liebe ist eine Illusion. Allein das Bemühen darum hatte große poetischen Momente. Sowohl die Musikauswahl, als auch die lyrischen Einsprengsel schafften Hoffnung, das wohl Einzige, was uns bei allen Enttäuschungen noch immer sehnsuchtsvoll an die Liebe glauben lässt und es zu allen Zeiten zu einem großen Thema machte und macht.
 
Es war ein ungewöhnlicher Theaterabend, geschuldet auch der Art seiner Entstehung, da Texte und Inhalte im Kollektiv errungen werden mussten. Dabei entstand nichts Zwanghaftes oder Lebensfremdes. Die tatsächliche Qualität lag allerdings in der ästhetischen und komödiantischen Umsetzung, denn letzte Antworten konnte das Bemühen aller Beteiligten nicht erbringen. Und obwohl am Ende eine große unerträgliche Traurigkeit zum Thema Liebe zurückblieb, gab es Momente, in denen man von einer tiefsinnigen Heiterkeit über die (eigenen) menschlichen Unzulänglichkeiten erfasst wurde. Über deren Bewältigung und die eigenen Möglichkeiten dazu muss sich jeder mit sich selbst ins Einvernehmen setzen.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


UA Alles nur der Liebe wegen

Ein Projekt von Andreas Kriegenburg

Walter Hess, Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis, Oliver Mallison, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper

Regie: Andreas Kriegenburg
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