Kammerspiele/Bayern-Kaserne Die Perser von Aischylos | Wiedergegeben von Durs Grünbein
Das erste (erhaltene) Theaterstück ist ein Antikriegsstück. Aischylos wagte das Unerhörte. Er versetzt sich in die geschlagenen und aufgeriebenen Gegner Athens, also auch in seine eigenen Gegner, und beklagte deren Leid, das sie durch ihre Aggression erlitten hatten. Die Rede ist von den Persern, das seinerzeit mächtigste asiatische Reich, unter Xerxes. Der, angespornt von seiner eigenen Hybris, drängte darauf, die Schlappe seines Vaters Dareios, Großkönig des persischen Achämenidenreichs, wettzumachen. Dareios war 490 v.Chr. in der Bucht von Marathon von dem Heer der Athener vernichtend geschlagen worden. Darüber hinaus gierte Xerxes nach dem Gold der Athener. 480 v.Chr. startete er seine Expedition und erlag der um zwei Drittel kleineren Seemacht Athens in der Schlacht von Salamis. Die Flotte wurde größtenteils vernichten. Xerxes entkam dem Tod oder der Gefangennahme nur um Haaresbreite.
Mit seinem Handeln hatte Xerxes auch den Gott Poseidon herausgefordert, denn er hatte mit seinem Brückenschlag am heiligen Hellespont das Meer in Ketten zu legen versucht. Diese Passage ist durchaus bedeutsam, denn letztlich betrachteten die antiken Bürger ein tragisches Schicksal immer als einen göttlichen Ratschluss. Nur gottgefälliges Tun kann gutes Tun sein. Hier werden die Grenzen der antiken Dichtung deutlich.
Dennoch zeugt es von wahrer menschlicher Größe, wenn ein Dichter, der an beiden Kriegen beteiligt war, der bitteren Klage seiner Feinde Ausdruck verleiht. Angesichts aktueller Vorgänge mag man meinen, wir seien weit hinter das demokratischen Denken der Menschen des perikleischen Zeitalters zurückgefallen. Also ist die Aufführung dieser Tragödie mehr als sinnfällig, um einige humanistische Werte wieder in das heutige Denken zu integrieren, die selbst der deutschen Kanzlerin abhanden gekommen zu sein scheinen.
Es ist zugegebenermaßen nicht einfach dieses Stück wirkungsvoll auf die Bühne zu bringen, denn es stammt aus der Entstehungszeit der Dramatik (472 v.Chr. uraufgeführt) und zeugt von Unvollkommenheit. Dramaturgisch wurde in diesem Stück der dramatische Konflikt noch nicht im Zwiegespräch, im dramatischen Streit ausgetragen. Es gab nur jeweils einen Protagonisten, der berichtete, und es gab den Chorführer, der im Namen der Bürgerschaft moralisch (gemäß den Vorgaben der Götter) reflektierte. Es war reines Deklamationstheater. Trotzdem reichte diese epische Form des Theaters aus, um eine Katharsis beim Betrachter auszulösen. Dass dies auch nach 2500 Jahren noch funktioniert, bewies die Inszenierung von Johan Simons in der Bayern-Kaserne.
Regisseur Simons wählte für seine Umsetzung der von Krieg erzählenden Tragödie einen adäquaten Spielraum, die ehemalige Bayern-Kaserne in Freimann, deren Geschichte von der Wehrmacht bis zur Bundeswehr reicht, und der heute als Flüchtlingsunterkunft für z.T. von Kriegen (Irak, Uganda und Bosnien) vertriebenen Menschen dient. Wenn er in seine Inszenierung eben diese Mitmenschen als Chor mit einbezieht, schafft das unbestritten Authentizität, kann aber nicht unwidersprochen hingenommen werden, da über den Verdacht einer Instrumentalisierung gemutmaßt werden kann, dieser vielleicht sogar nahe liegt.
Das Stück begann mit dem Monolog der Chorführerin über den Auszug des multiethnischen Perserheeres, über erste Siege und die Bezwingung des Hellesponts. Hildegard Schmahls Bericht donnerte, Gänsehaut erzeugend, als könnte sie allein mit der Wucht der Sprache und der Stimme das Heer der Griechen in die Knie zwingen. Unterschwellig, stimmlich sehr differenziert gestaltet, schwang die Sorge der zurückgebliebenen Frauen und Kinder um die kriegerischen Väter, Söhne und Brüder mit.
Hildegard Schmal wurde abgelöst von Sylvana Krappatsch, die als Königinmutter Atossa vibrierend und in ihrer Standfestigkeit erschüttert, von einem Traum berichtete. Darin waren zwei Frauen gleichen Stammes, eine persisch, die andere dorisch gekleidet, in Streit geraten. Ihr Sohn Xerxes versuchte den Streit zu schlichten, indem er beide ins Joch spannen wollte. Während die eine dies geschehen ließ, bäumte sich die andere auf und schleifte den Wagen unter den Augen von Dareios zügellos davon. Xerxes stürzte vom Wagen und der Vater riss sich schamerfüllt die Kleider vom Leib. Als Atossa in ihrem Traum den Göttern für die Unversehrtheit ihres Sohnes opfern will, muss sie mit ansehen, wie sich ein Adler einem angreifenden Habicht ergibt. Diesen Traum, der Zuschauer ahnte bereits Schlimmes, zu deuten, beauftragte Atossa den Ältestenrat.
Eine Deutung erübrigt sich, denn ein Bote trat auf, um von der Niederlage zu künden. Stefan Hunstein berichtete, das Unfassliche nicht fassen könnend, das Grauen auf dem Antlitz tragend, von der totalen Vernichtung des Heeres und damit Persiens. Ein Hoffnungsschimmer blieb. Xerxes hatte überlebt und war auf dem Weg nach Susa, der Residenz und Hauptstadt des Reiches Elam. Atossa forderte die Chorführerin auf, den Geist Dareios zu beschwören, um mit ihm zu beratschlagen.
Wolfgang Pregler © Andrea Huber |
Wolfgang Pregler zeigte sich als toter Dareios entsetzt. Hatte er seinen Söhnen doch einzuschärfen versucht, nicht nach Athen zu greifen. Den Hellespont zu überqueren würde Poseidon herausfordern. Das Orakel hatte ihm den Untergang geweissagt. Nun hatte es sich erfüllt. Pregler gab seinen toten König weitestgehend nüchtern resümierend, doch immerhin fassungslos der Tatsache gegenüber, dass Persien in Schutt und Asche versinken würde. Ganz Asien war vom Reich abgefallen. Der Untergang, dessen war er sich sicher, war göttlicher Ratschluss.
Das Finale bestritt der Chor und Xerxes. Nico Holonics erschien, physisch völlig am Ende, geistig im Taumel, um sich selbst zu zerfleischen. Ihm blieb nur der Jammer, den er mit dem Chor gemeinsam bestritt. Chor: „Ich will dir zur Seite stehen, untröstlich, bereit zur Klage.“ Damit, und mit archaisch anmutenden Klängen der Musiker Carl Oesterhelt, Salewasi und Mathis Mayr verhallte die wuchtige und aufwühlende Tragödie.
Die von Durs Grünbein 2001 erstellte übersichtliche, wortgewaltige und eindringliche Fassung entfaltete in der Einrichtung durch Johan Simons eine mythische Kraft, die den Betrachter erschauern ließ. Zweifelsohne hinterließ der Abend eine kathartische Wirkung. Er stellte allerdings auch die Frage, warum der Mensch, warum wir, nachdem die Wahrheiten seit 2500 Jahren festgeschrieben sind, nicht daraus lernen und immer wieder von Menschenfängern in Kriege oder zumindest zur Zustimmung zu Kriegen getrieben werden?
Während sich die antiken Völker hernach in Klage ergingen, sollten wir eigentlich auf einer höheren Kulturstufe angelangt sein. Was hält uns nur davon ab? Wir selbst.
Die Perser
von Aischylos | Wiedergegeben von Durs Grünbein
Rania Abdulkarim, Reyhan Abdulkarim, Isra Haitham Hussein, Afra Haitham Hussein, Chenar Hamid, Peter Hartel, Nico Holonics, Walter Hub, Stefan Hunstein, Bruno Jäger, Barbara Klipstein, Sylvana Krappatsch, J. L., Rosemarie Leidenfrost, A. M. M., Mathis Mayr, Adnan Mujic, Dzana Mujic, Kalikedan Mulugeta, Carl Oesterhelt, Angelika Pietrzik, Wolfgang Pregler, Anis Puhovac, Salewski, Hildegard Schmahl, Jasmina Taric, Jürgen von Salisch, Theodora Winter, Christof Yelin Regie: Johan Simons |