E la nave va
Kammerspiele E la nave va nach Federico Fellini
Bestandsaufnahme
Ein Jahrhundert später und doch scheint die Zeit still zu stehen. An den Beginn des 1. Weltkrieges, die Zeit unmittelbar nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajewo, legte der bekannte italienische Filmemacher Federico Fellini die Geschichte von der Bestattung der großen Diva Edmea Tetua. Um eine letzte große Geste ringend, bat sie ihre Asche vor der Insel auf der sie geboren, ins Meer zu streuen. Der Film „E la nave va“ erschien 1983 und orientierte sich am Untergang der Donaumonarchie, in menschlicher wie in geschichtlicher Weise. Das Schiff fährt immer noch und auch heute befinden wir uns in einer Zeit, in der man sich in sogenannten großen Gesten gefällt, von Spenden und Wohltätigkeit, bis zum Produzieren von Biografien. Auch herrschen zunehmend kriegerische Konflikte, die Waffenproduktion steigt, die Luxusschiffe werden immer luxuriöser, die abgehobenen Kreise blicken pikiert auf den Rest der Gesellschaft herab. Das „Traumschiff“ stampft über die Ozeane, durch die Fernsehkanäle, und läuft die Wunschziele der Produzenten an. Die Kluft zwischen Oberdeck und Maschinenraum scheint unüberbückbarer denn je.
Die Oper, als die umfassende theatrale Bühnenwelt, bildete den Mittelpunkt um den sich eine illustre Gesellschaft versammelt hatte. Vereinen sich doch in ihr Schicksale, Musik und Text mit überzeugenden Gesten und menschlicher Kunstfertigkeit. Hier findet der Ausdruck der Gefühle über die Arie seinen hörbaren Höhepunkt. Die Oper kann als Gipfel der Kultivierung eines Rollenverständnisses, einer Maske, aber auch von Manieriertheit stehen. Die Masken der Darsteller verdeutlichten diese Form von Erstarrung in einer Pose. „Gesichter sind die Lesebücher des Lebens.“, meinte Fellini. Es ist eine Gratwanderung, zwischen Ideal und Persiflage zu changieren.
Die Zeichnung eines Passagierschiffs nahm den Platz des Vorhangs ein. Orlando (Stephan Bissmeier), ein Journalist, welcher die Reise als Berichterstatter begleitete, trat auf den Pier. Markant prägten die übergroßen Augen sein Gesicht. Nachdem er sich vorgestellt und auf den Ton der Nebelhörner verwiesen hatte, erklang Musik. Verdi. Der Beginn mit „Lacrymosa dies illa“. An diesem Tag mit Tränen genoss man im Salon nach dem Ablegen das gute Leben. Prosit – Aufbruch im Triumph. Der Stil der Commedia dell`Arte diente als Vorlage für den Spielgestus der Künstler im schwarz/weiß dekorierten Salon und an Deck. Im Hintergrund tobte der Ozean. Männer (Stefan Merki, Pierre Bokma) übernahmen perfekt die Rollen von Frauen – Theater wie zu Shakespeares Zeiten – findet doch zunehmend Rollentausch statt, auch in der Realität. Der Kapitän (Stefan Hunstein) wurde seekrank, die Gemeinschaft verging sich verbal an der toten Diva, Ricotin (Kristof Van Boven) wurde Mittelpunkt einer Seance und der Großherzog (Oliver Mallison) stellte lakonisch fest: „Mir fällt nichts ein ... Alles ist so kompliziert.“ Monika (Brigitte Hobmeier) schwebte als weißer, das Leben suchender Engel durch die Szenen. Die schiefe glatte, den Untergrund überdeckende, Ebene des Oberdecks stand nur gerade, wenn es galt zeitweilig den Blick auf das Innere, den Eingang zum Maschinenraum frei zu geben.
Aus dem Kreis der Darsteller trat Edmund Telgenkämper (Heizer Yank) hervor. Das lag zum einen an der Gestaltungskraft des Darstellers, zum anderen daran, dass er die einzige Bühnenrolle, die dem Theaterstück „Der haarige Affe“ von Eugene O`Neill entstammt, innehatte. Wenngleich er kaum erkennbare Unterstützung erfuhr, so unterschied sich sein Part doch durch klassische Auseinandersetzung mit einem Gegenüber - die blasse Tochter der reichen Sängerin und die besitzende Klasse - von den Rollen der kunstvollen Selbstdarsteller. Darüber hinaus ging Yank ebenso in seiner Tätigkeit auf, wie die Opernsänger, der Direktor und der Kapitän, wenngleich die öffentliche Wahrnehmung und Bewertung doch deutlich unterscheidet. Die Bühnenfassung der Geschichte durch Johan Simons und Matthias Günther folgte weitgehend der Filmvorlage, setzte aber auch eigene Akzente. So bestand der Text aus Erzählung und Beschreibung, wurde der Sängerwettstreit im Maschinenraum kurzerhand verboten, aus dem mitfahrenden Nashorn wurde ein Affe und ein serbischer Terrorist zerstörte das Kriegsschiff durch eine kleine Handbombe. Die Inszenierung gefiel sich in großen Gesten, agierte in verschiedenen Facetten und Ansätzen, ohne einem Faden, einer eigenen Handschrift zu folgen. Allein die musikalischen Einlagen wirkten uneingeschränkt bewegend.
Kunst allein überdauert die Zeiten. In ihren Werken und mit ihren Werken, unterschiedlichster Ausprägungen, überdauern einzelne Künstler ihre Lebenszeit. Sie dienen auch als „Masken“ für neue Arbeiten, befördern Einzigartiges und Klischees.
Manieriertheit und Selbstgefälligkeit beherrschen die Bühnen und das Zusammenleben. Ein Man(n) zog im Theater die Schuhe aus, streckte die Beine und legte die Füße in den Socken dicht neben den vor ihm Sitzenden. So wurde der Zuschauerraum, ein ehemals öffentlicher, also gemeinschaftlicher Raum zur Kunstbetrachtung, zum persönlich gemütlichen Wohlfühlraum.
Das Schlussbild gestattete verschiedene und doch nur eine Betrachtungsweise: Das übergroße Tier wurde im Käfig an Deck gebracht – „Es braucht frische Luft“, wie der Kapitän bemerkte. Und der ehemals wilde Heizer Yank betrat die nun verlassene Fläche, öffnete den Käfig und ließ die Äffin frei, die ihn in umarmte, erdrückte. Das Bild konnte durchaus unter dem Aspekt verstanden werden, in dem ein „Über-Muttertum“ die Szene beherrscht und den Rest Männlichkeit in falsch verstandener „Liebe“, Besitzergreifung tötet. Oder: Der wilde Mann, welcher die technische Entwicklung vorantrieb, fällt seinem Alter Ego, dem eigenen tierischen Trieb zum Opfer, da er ihn nicht im Käfig - in einer entwickelten Persönlichkeit gefangen hält - sondern einfach durch falsches Verständnis von der Rolle befreit, ihn ins Tierische entlässt und somit durch ihn zu Tode kommt.
Der Versuch, das Ideal „Mensch“ in der Welt voran zu bringen und die errungenen Ansätze zu erhalten, scheiterte. Das ist keine Frage mehr, sondern allseits bekannt und akzeptiert. Es verbleiben verschiedenste Tiergattungen, welche die Erde behorden. Unter diesem Gesichtspunkt beispielsweise konnte die Inszenierung als aktuell und hochinteressant betrachtet werden. So gab es für jeden Geschmack, für jede Einstellung die passenden erkennbaren Bilder. Es blieb dem Zuschauer überlassen, wie er den Auftritt aller Mitarbeiter des „Schiffes Kammerspiele“ im Chor der Heizer auffasste. Die zeitgemäße comedyhafte Darstellungsform und die Alltagssprache ließen es zu, die Aufführung auch als bloße Unterhaltung wahrzunehmen. Eine Aufsehen erregende Inszenierung.
E la nave va
nach Federico Fellini
In der Fassung von Johann Simons & Matthias Günther unter Verwendung von Eugene O’Neills Der haarige Affe Stephan Bissmeier, Stefan Hunstein, Marc Benjamin, Stefan Merki, Brigitte Hobmeier, Benny Claessens, Kristof Van Boven, André Jung, Pierre Bokma, Walter Hess, Oliver Mallison, Katharina Hackhausen, Niko Holonics, Edmund Telgenkämper, Affe: Adiran Huber / Nicolai Huber / Pierre Bokma Serben: Schüler der Otto-Falckenberg-Schule – Helene Blechinger, Anika Herbst, Susanne Lemke, Regina Speiseder, Isabel Thierauch, Dan Glazer, Ilja Rossbander, Sven Schelker, Anton Schneider,Johannes Sima Chor der Heizer: Mitarbeiter der MK Regie: Johann Simons |